Roland Lazenby

Kobe Bryant


Скачать книгу

9

      DAS ROTE FAHRRAD

      Jeden Sommer packten die Bryants ihre Sachen und flogen zurück nach Philly, wo Joe in der Baker League spielte und gleichzeitig als Coach in der Sonny Hill Liga aushalf. Nach zwei Saisonen in Rieti, zogen die Bryants für die Saison 1986/87 nach Reggio Calabria, einer Küstenstadt an der Südspitze Italiens mit einem ähnlichen Klima wie San Diego. Nach der nächsten Off-Season in Philadelphia kehrte die Familie nach Italien zurück und wieder einmal in eine neue Stadt. Kobe war nun in ein Alter kommen, in dem er bereits Aufgaben am Court übernehmen konnte.

      Joes neues Team war in Pistoia, ein kleines aber geschichtsträchtiges Städtchen in der Toskana, das sich gerade auf seine Saison in der zweiten italienischen Liga vorbereitete. Auf Empfehlung seines Sohnes hatte der Präsident von Olimpia Pistoia, Piero Becciani, Joes Vertrag von Reggio Calabria um für Italien sagenhafte 150 Millionen Lire (damals etwa 115.000 Dollar) erworben. Das Team aus Pistoia hatte sich hohe Ziele gesetzt und wollte mit einer Offensivattraktion beim Publikum punkten und das Momentum der Begeisterung zum Bau einer neuen Halle nutzen. Leon Douglas, der zweite Amerikaner, der für die Saison 1987/88 vom Team unter Vertrag genommen wurde, erinnert sich, dass die Verpflichtung von Joe und ihm Pistoias letzter verzweifelter Versuch war, das Team zu retten, welches im ersten Jahr seine Heimspiele nicht einmal zu Hause austragen konnte. Stattdessen musste die Mannschaft für ihre Heimspiele in das mehr als 40 Kilometer weit weg gelegene Florenz reisen.

      Bryant war die Offensivunterhaltung, die sie brauchten, um die Fans zu begeistern, sagt Douglas und fügt hinzu, dass er acht Jahre lang gegen Joe in Italien gespielt hatte und dabei war, als Joe einmal 70 Punkte in einem Spiel erzielte.

      „Er hatte ein ganzes Arsenal an Waffen“, meint Alessandro Conti, der im Marketing- und Kommunikationsbereich des Vereins tätig war. „Joe Bryant war eine Berühmtheit im italienischen Basketballsport. Pistoia musste viel Geld auf den Tisch legen, um ihn zu bekommen.“

      Das Risiko hatte sich gelohnt. Wo auch immer Pistoia spielte, kamen enthusiastische Fans in Scharen und feuerten Joseph Bryant an.

      Sie verehrten ihn wie einen Gott, erinnert sich Jacomo Vittori, Kobes Freund aus der Kindheit. „Alles, was er tat oder sagte, war, als käme es aus Gottes Mund. Kobe hatte das gleiche Selbstvertrauen.“

      Vittori lernte Kobe im ersten Jahr kennen, als sie beide als Putzkommando für das Team in den Pausen fungierten und Schweiß und Schmutz vom Parkett in der Halle in Florenz wischten. „Er war eines der Kinder, die den Schweiß vom Parkett wischten“, sagt Leon Douglas.

      „Als Balljunge war ich immer knapp am Spielgeschehen“, erinnert sich Kobe. „So bekam ich ein Gefühl für die Geschwindigkeit und Körperlichkeit des Spiels.“

      Jene, die ihn sahen, erinnern sich an Kobe als einen Jungen, der das Rampenlicht liebte. So sehr, dass er sogar rauslief, um den Boden aufzuwischen, obwohl es gar nicht nötig war, nur weil er das Publikum brauchte. In der Halbzeit ging Kobe auf den leeren Court und übte sein Schattenbasketball sowie seine Dribblings und Würfe. Oft auch unter Applaus und zum Erstaunen der Zuseher, die ihre Fähnchen schwangen, sangen und Vater und Sohn zujubelten.

      „Wenn eine Auszeit genommen wurde, warf mir der Referee den Ball zu“, erzählt Bryant. „Dann habe ich ein wenig gedribbelt, bin aufs Parkett, machte einen Korbleger und ein paar Freiwürfe, bis das Spiel wieder weiterging.“ „In der Halbzeit unserer Spiele gab es immer die Kobe-Show“, erinnert sich Douglas. „Er ging raus und begann zu werfen. Als wir nach der Halbzeit aus der Kabine kamen, mussten wir ihn quasi vom Court jagen.“

      Jahre später spielte Kobes ehemaliger Teamkollege von den Lakers, Metta World Peace, sein erstes Spiel in der italienischen Liga vor einer jubelnden Menge in Pistoia. Gleich nach dem Spiel rief er Kobe an und sagte zu ihm: „Gut, jetzt weiß ich, warum du so spielst, wie du spielst.“

      Die amerikanischen Fans sind nicht annähernd so leidenschaftlich wie die Fans in Italien, sagt Leon Douglas über Pistoia. Alessandro Contis Freundin bestätigt das. Sie reiste in die USA und sah sich ein Spiel im Madison Square Garden an, dem angeblichen Mekka des Basketballs, und war erstaunt, dass ein Großteil der Fans dort das Spiel gar nicht richtig mitverfolgte.

      „Diese Leidenschaft der Fans in Italien prägte Kobe in seiner Jugend“, sagt Conti.

      „Er wuchs hier in Pistoia auf und sah unsere Fans“, erklärt Jacomo Vittori. „Hier hat er gelernt, alles zu geben und zu kämpfen.“

      „Viele Kids kommunizieren oder reden kaum mit anderen, wenn sie jung sind“, meint Leon Douglas. „Sie sind introvertiert. Kobe war überhaupt nicht introvertiert. Er kommunizierte. Er wusste, wie man mit Erwachsenen umging. Er war vielleicht noch ein Kind, doch er konnte sein Verhalten je nach Bedarf im Handumdrehen an Erwachsene sowie an seine Altersgenossen anpassen.“

      Kobe hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, im Mannschaftsbus zu den Spielen mitzufahren. Er hatte schon so viele Videos gesehen, dass ihm bewusst war, dass sein Vater für einen zweitklassigen italienischen Verein spielte, weit abseits des Glanzes der NBA.

      „Einmal sagte Kobe etwas sehr Tiefsinniges“, erinnert sich Douglas. „Er sagte: ‚Wenn ich einmal älter bin, zeige ich euch, wie man spielt.‘ Er sagte, dass er einmal ein großer Spieler werden würde. Dieser Gedanke war schon damals tief in ihm verankert.“

      „Ich erinnere mich an den kleinen Kobe und seine wunderbare Familie“, sagt Eugenio Capone, der damals auch für Pistoia spielte. „Ich werde nie vergessen, wie Joe nach dem Training oder einem Spiel mit ihm eins-gegen-eins spielte oder mit ihm den Umgang mit dem Ball und Werfen übte. Sie hatten viel Spaß dabei, aber gleichzeitig war es ein richtig ernstes Training.“

      Während dieser Zeit war Joe stets Freund und Begleiter. Die Enttäuschung über seine eigene Karriere bestärkte ihn darin sicherzustellen, dass seinem Sohn dieses Schicksal nicht wiederfahren würde. Doch so sehr Joe auch einen erfolgreichen Sohn wollte, so war es doch Kobes eigene Motivation, die ihn antrieb.

      „Mein Vater kam niemals zu mir und sagte: ‚Komm Junge, du musst jetzt dies oder das machen‘“, erklärt Kobe. „Ich ging zu ihm und suchte seine Hilfe, wenn ich sie benötigte.“

      Kobe hatte seine eigenen Vorstellungen, was Basketball anbelangte und diese Träume wurden durch ganz andere Dinge angefacht als den Einfluss seines Vaters.

      Ciriglio

      Mit dem Umzug nach Pistoia suchten Joe und Pam ein Zuhause, wo sie mehr Ruhe hätten, abseits des hektischen Treibens der Stadt, und fanden es in einer großen Villa in dem kleinen Dorf Ciriglio, am Ende einer sich auf einen Hügel hinaufwindenden Straße. Es war ein idyllisches Fleckchen Erde. Die Einwohner dort sprechen noch immer davon, als Joe Bryant zum ersten Mal ins Dorf kam, eigenartig über das Lenkrad seines Volvo Kombi gebeugt, und einen Zwischenstopp im örtlichen Café einlegte, wo er einen Cappuccino in einer riesigen Tasse bestellte.

      „Joe Bryant war wie der Bürgermeister von Ciriglio“, sagt Roberto Maltinti lachend. Sein Lächeln, seine Anwesenheit in den örtlichen Cafés, seine wunderbare Familie und seine schon beinahe legendäre Persönlichkeit halfen ihm, schnell die Herzen der Menschen zu erobern. Noch Jahre später dachten die Dorfbewohner sowie der Teambesitzer gerne an die Bryants zurück.

      Maltinti erinnert sich, dass Kobe seinen ersten Werbevertrag im Alter von neun Jahren erhielt. Die Liga hielt gerade ihr All-Star-Spiel in Rom ab und Kobe bot sich als Balljunge an. Maltinti hatte nichts dagegen, verlangte aber, dass Kobe dabei einen Pulli mit dem Logo von Maltintis Firma tragen sollte. Kobe erklärte sich einverstanden, doch er war ein guter Verhandler. Er wollte ein neues Fahrrad. Am Morgen nach dem Spiel rief er bei Maltinti an. „Ich will ein rotes Fahrrad“, sagte er.

      Endlich hatte Kobe einen fahrbaren Untersatz. Damit konnte er den kurzen Weg von Ciriglio den Berg hinunter bis zum Basketballplatz vor der Schule zurücklegen, um dort mit den älteren Burschen des Dorfes Basketball zu spielen. An Tagen, an denen niemand anderer dort war, spielte er eben wieder gegen sich selbst. „Er kam heim, machte seine Hausaufgaben und verließ