Arthur Rosenberg

Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik


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öffentliche Meinung, die über die bekannteren Generäle urteilt. In den bürgerlichen Demokratien pflegen die verantwortlichen Staatsmänner sehr sorgfältig auf die Stimme dieser öffentlichen Meinung des Heeres zu hören und demgemäß das Armeeoberkommando zusammenzusetzen. Diese Form der Führerauslese hat sich im modernen Frankreich und England ausgezeichnet bewährt. Zur Zeit des Kriegsausbruches hatte die französische Armee den denkbar besten Führer in General Joffre. Das an die Kolonialkriege gewöhnte englische Offizierskorps hat sich erst langsam den Verhältnissen des großen europäischen Krieges angepaßt. Aber es ist nicht zu leugnen, daß zu jeder Zeit des Weltkrieges die englische Oberste Heeresleitung das Beste an Kräften vereinigte, was im britischen Offizierskorps vorhanden war.

      Nach der Bismarckschen Verfassung dagegen lag die Ernennung des Generalstabschefs ausschließlich in der Hand des Kaisers. Wenn ein Regent die feine Menschenkenntnis und das erprobte militärische Urteil Wilhelms I. hatte, kamen tatsächlich die besten Männer in die Führung. Der preußische Generalstab verdankte seine Leistungen von 1866/71 nicht einer mystischen militärischen Begabung des Preußentums, sondern der Tatsache, daß Wilhelm I. den alten General Moltke herausfand und ihm die Armeeführung übertrug. Unter Wilhelm II. war die Besetzung der militärischen Kommandostellen eine Sache des Zufalls. Bestimmend war die eigene Meinung des Kaisers, die ohne tiefere Personen- und Sachkenntnis sich oft nach Äußerlichkeiten bildete, ferner waren es die Vorschläge des Militärkabinetts, die von allen möglichen persönlichen und höfischen Einflüssen getragen waren. So kam es, daß zu Kriegsbeginn der jüngere General von Moltke als Chef des Generalstabs das deutsche Heer zu führen hatte.

      General von Moltke war ein hochgebildeter Mann mit einem für einen hohen Offizier ungewöhnlichen, weichen und empfindsamen Charakter. Er litt im Kriege unendlich unter dem Blutvergießen, das die von ihm befohlenen Schlachten verursachten. Aber sein körperlicher und Nervenzustand war 1914 so schlecht, daß Moltke schon längst hätte pensioniert werden müssen. Bei jeder anderen Verfassungsform hätte die politische Leitung den Zustand des Generalstabschefs bemerkt und ihn in schonender Weise rechtzeitig entfernt. Man kann sich nicht denken, daß in Staaten wie Frankreich, England, Amerika und Sowjetrußland ein Mann wie Moltke die Armee in den Krieg hätte führen dürfen. Wilhelm II. beachtete das alles nicht und ließ Moltke den Oberbefehl. So hat die Bismarcksche Verfassung dahin geführt, daß die deutsche Politik im August 1914 von Bethmann-Hollweg und das deutsche Heer vom jüngeren Moltke geleitet wurde.

      Für die Operationen legte General von Moltke den Schlierffenschen Plan zugrunde2. Nur eine schwache deutsche Armee wurde in Ostpreußen aufgestellt, um die Österreicher bei der Abwehr der Russen zu unterstützen. Die Hauptmasse des deutschen Heeres marschierte im Westen auf, um durch Belgien hindurch in einer gewaltigen Umfassung von Norden her die feindlichen Streitkräfte zu erdrücken. Planmäßig mußte ungefähr in sechs Wochen der entscheidende Sieg im Westen erfochten sein, damit nachher das deutsche Heer den Russen entgegentreten konnte. Zahlenmäßig waren die Kräfte an der Westfront ungefähr gleich, da die Franzosen im ersten Abschnitt des Krieges nur von 100 000 Engländern und von ein paar belgischen Divisionen unterstützt wurden. Soweit richtete sich Moltke nach den Vorschriften Schlieffens. Aber er verdarb den Plan Schlieffens von vornherein dadurch, daß er ungefähr ein Drittel des deutschen Heeres in Elsaß-Lothringen stehen ließ, wo die Truppen für die Entscheidung nichts nützen konnten. Demgemäß war der Umfassungsflügel in Belgien viel zu schwach. Im Geiste von Schlieffen hätte in Elsaß-Lothringen nur eine Mindestzahl deutscher Truppen bleiben müssen. Wären die Franzosen hier eingebrochen, ja sogar über den Rhein gelangt, um so schlimmer für sie: Die französische Rheinarmee hätte nur gefehlt, während die Entscheidungsschlacht irgendwo zwischen Lille und Paris geliefert wurde. Sie hätte umkehren müssen und wäre der siegreichen deutschen Hauptarmee in die Arme gelaufen.

      Es scheint, daß Moltke sich bei der Veränderung des Schlieffenschen Planes von politischen Erwägungen leiten ließ. Er wollte dem deutschen Lande um jeden Preis eine größere feindliche Invasion ersparen. Das Prestige von Kaiser und Armee sollte nicht darunter leiden, daß der Feind ins Land kam. So erklärt sich offenbar die militärisch verfehlte Truppenanhäufung in Elsaß-Lothringen sowie die Panikstimmung im Großen Hauptquartier, als später die Nachricht vom Russeneinfall in Ostpreußen eintraf. Diese innere Schwäche hat die französische Oberste Heeresleitung nicht gehabt. General Joffre hat sich in seinen Plänen durch die deutsche Invasion nie beirren lassen.

      Als der Aufmarsch im Westen vollendet war, kam es in Lothringen und vor Verdun zu verlustreichen Schlachten, bei denen die deutschen Armeen etwas Raum gewannen, ohne Wesentliches zu erreichen. Dagegen zeigte im Norden trotz aller Verstümmelungen der Schlieffensche Plan seine sieghafte Kraft. Die deutschen Truppen umfaßten, über Lüttich und Brüssel vorbrechend, den Nordflügel der Ententeheere. So brachte die große Schlacht bei Charleroi einen deutschen Sieg. Die Franzosen und Engländer zogen sich schleunigst nach Süden zurück, um aus der Umklammerung herauszukommen. Die Reste des belgischen Heeres gingen in die Festung Antwerpen. Waren die deutschen Armeen in Belgien so stark gewesen, wie der ursprüngliche Plan Schlieffens es erforderte, so hätte die Umfassung schon Ende August den entscheidenden Sieg bringen können. So mußte man sich mit der Verfolgung des auf Paris weichenden Feindes begnügen.

      General Joffre überblickte die Situation mit vollkommener Klarheit. Die Gefahr für die Ententeheere lag in der ständigen Umfassung ihres linken Flügels durch die Deutschen. Diese Gefahr mußte erst einmal ausgeschaltet und damit der Schlieffensche Plan vereitelt werden. Joffre nahm ohne Rücksicht auf alle Stimmungsmomente seine Truppen bis weit südlich von Paris zurück. Der deutsche rechte Umfassungsflügel war zahlenmäßig zu schwach, um rechts und links an Paris vorbeizugehen. So mußten die Deutschen östlich an Paris vorbeimarschieren. Unterdessen hatte Joffre mehrere entbehrliche Armeekorps aus der elsaß-lothringischen Front mit der Eisenbahn nach Paris geworfen. Denn Joflre wußte im Gegensatz zu Moltke, wo die Entscheidung fiel und wo nicht. Die äußerste rechte Flanke der deutschen Umfassungstruppen war bisher die I. Armee (Befehlshaber General von Kluck, Generalstabschef General von Kuhl) gewesen. Die äußerste linke Flanke der Entente waren bisher die Engländer. Also marschierte Anfang September die Armee Kluck östlich an Paris vorbei nach Süden, um die Engländer weiter zu verfolgen. Da tauchte eine neue französische Armee, aus Paris hervorbrechend, im Rücken von Kluck auf. In diesem Moment war der Plan Schlieffens gescheitert. Die deutsche Armee umfaßte nicht mehr, sondern wurde selbst umfaßt. Auch jetzt konnten die Deutschen im Westen noch Siege erfechten, aber sie konnten sich damit höchstens aus der Umklammerung befreien und den Gegner frontal zurückwerfen. Es war jetzt keine Feldzugsentscheidung durch Vernichtung der feindlichen Macht mehr möglich.

      Inzwischen saß die deutsche Oberste Heeresleitung in Luxemburg und verlor von Tag zu Tag mehr die Fühlung mit den Frontarmeen. Weit davon entfernt zu führen, wußte General von Moltke kaum, was an der Front vorging. In jenen ersten Kampfwochen haben die Heeresberichte aus dem Großen Hauptquartier, gezeichnet vom Generalquartiermeister von Stein, das deutsche Volk begeistert. Aber mit den wirklichen Vorgängen hatten sie nicht viel gemein. Ein Wille zur Täuschung lag nicht im entferntesten vor. Aber die Oberste Heeresleitung konnte nicht mehr berichten, als was sie selbst wußte. Als in den letzten Augusttagen von den Armeen überall Siegesmeldungen kamen, war die Stimmung des Generals von Moltke überaus optimistisch. So erklären sich die berühmten Heeresberichte aus jenen Tagen.

      Zur selben Zeit mußte der in Ostpreußen kommandierende General von Prittwitz melden, daß zwei ihm an Zahl weit überlegene russische Heere in Preußen eingebrochen waren. Mit solchen Vorfällen mußte die Oberste Heeresleitung bei der ganzen Anlage des Kriegsplans rechnen. Besondere Fehler waren dem General von Prittwitz nicht nachzuweisen. Trotzdem wurde er sofort abgesetzt. An seine Stelle trat General von Hindenburg mit General Ludendorff als Generalstabschef. Darüber hinaus hielt Moltke es für notwendig, die Truppen in Preußen durch zwei Armeekorps aus dem Westen zu verstärken. Er nahm sie aber nicht dort fort, wo sie entbehrlich waren, aus der Lothringer Front, sondern vom rechten Umfassungsflügel des deutschen Heeres. In der Marneschlacht hat das Fehlen der beiden Korps an der entscheidenden Stelle das Resultat wesentlich bestimmt. Um ein weiteres zu tun, befahl Moltke neben der Hauptoffensive der deutschen Heere bei Paris noch eine Nebenoffensive der Lothringer Truppen in Richtung Nancy, die unter schwersten Opfern scheiterte.

      Inzwischen ergriff