drei Schlafzimmern, einer kleinen Küche und einem Bad, davor ein offener Hof, ein kleiner Garten dahinter.
Ich wurde 1970 geboren. Meine Eltern tauften mich Fatima, was man auf Arabisch »Fatmeh« ausspricht. Als älteste Tochter genoss ich, ebenso wie der erstgeborene Sohn, Privilegien: Zwar war ich verantwortlich für den Haushalt, konnte die Hausarbeit aber an meine jüngeren Schwestern delegieren.
Auf Unterstützung bei meinen Pflichten musste ich auch nicht lange warten. 1973 kam meine Schwester Maha auf die Welt. Maha war still und schüchtern, eine fleißige Schülerin, ganz anders als ich. Sie lernte gern, während ich mich lieber draußen aufhielt, mit Murmeln spielte, Springseil mit den Kindern aus der Nachbarschaft sprang oder mit meinen Freundinnen Jasmin pflückte, den ich zu Halsketten flocht. Wurde ich ins Haus gerufen, um Schularbeiten zu machen, setzte ich mich an den Tisch – und dann starrte ich aus dem Fenster: Der fantastische Blick auf Sham war weitaus reizvoller als der Lernstoff. Was in meinen Schulbüchern stand, interessierte mich wenig, aber ich presste meine Jasminblüten zwischen ihren Seiten, damit sie herrlich dufteten.
Schon in frühem Alter wollte ich Friseurin werden. Meinen ersten Haarschnitt verpasste ich einer großen, lebensechten Puppe mit blauen Augen und langen blonden Haaren, die Maha und mir gemeinsam gehörte. Syrische Mädchen trugen die Haare sehr lang. Das war modern. Meine eigene Mähne war mir allerdings lästig, und vielleicht erfüllte ich mir selbst einen Wunsch, als ich der Puppe die Haare abschnitt. Ganz kurze Haare! Ich fand das ausgesprochen schick. Maha war anderer Ansicht. Sie heulte wie ein Schlosshund, als sie sah, was ich angerichtet hatte.
Meine Beziehung zu Mohammad war völlig anders geartet. Wir waren beide Erstgeborene. Vielleicht stritten wir deshalb so oft. Unsere Eltern nannten uns immer Tom und Jerry, nach den Cartoonfiguren aus dem Fernsehen.
»Hol mir ein Glas Wasser«, befahl Mohammad zum Beispiel genau in dem Moment, in dem ich mich zu ihm vor den Fernseher setzen und meine Lieblingssendung sehen wollte.
»Hast du keine Beine? Kannst du nicht selbst laufen?«, herrschte ich ihn an. »Ich bin doch nicht deine Dienerin. Geh und hol es dir selber.«
»Ich will nichts von der Sendung verpassen«, gab er zurück, und dann übte er seine Karateschläge an mir. Das tat weh und ich schrie. Darauf stürzte Baba ins Zimmer und brüllte: »Ihr zwei seid wie Katz und Hund.« Ohne weiteren Kommentar machte er den Fernseher aus und schickte uns ins Bett.
Damals schliefen wir drei Kinder zusammen auf einer Matratze auf dem Boden. Kaum hatte mein Vater das Zimmer verlassen, begann Mohammad, mich zu treten. Meine arme Schwester Maha fand keinen Schlaf.
1976 wurde Abdullah geboren. Ich war begeistert von meinem kleinen Bruder, obwohl ich fürchtete, dass er wie viele andere Babys sein würde, die dauernd schreien und Rabatz machen. Meine Angst war unbegründet. Abdullah war ein süßes, zufriedenes Kind, wach immer lächelnd oder wie ein Engel schlafend. Von Anfang an hatte er eine enge Bindung zu meiner Mutter. Er konnte kaum laufen, da zeigte er schon auf sie und sagte: »Setz dich, Mama.« Er versuchte, für sie den Boden zu wischen, oder holte sich einen Hocker, damit er ihr helfen konnte, den Abwasch zu machen. Abdullah war der zuverlässige Junge, den sie jederzeit zu Besorgungen losschicken konnte. »Schatz, ich brauche eine Zwiebel und etwas Zucker«, sagte sie zum Beispiel, und Abdullah rannte die Straße hinunter, um bei einer Nachbarin zu klopfen, oder eilte hinter den Gemüsehändlern her, die mit ihren Karren vorbeizogen. Wo immer er vorbeikam, wurde er angesprochen und man hatte eine Kleinigkeit für ihn: »Hier, mein Süßer, nimm einen Kaugummi«, oder »Schau mal, eine neue Murmel für deine Sammlung«. Alle liebten Abdullah, alle verwöhnten ihn. Er stand ständig im Mittelpunkt und blieb dennoch, trotz aller Zuwendung, fröhlich und freundlich. Auch bei den üblichen Zankereien auf dem Spielplatz oder geschwisterlichen Rivalitäten hielt er die andere Wange hin. Nie war er jemandem böse.
1979 kam meine Schwester Shireen auf die Welt, und 1981 unsere Jüngste, Hivron. Shireen war ruhig und zurückhaltend. Hivron allerdings war ein echtes Trotzköpfchen. Ihren Schnuller gab sie noch lange, nachdem sie aus dem Nuckelalter raus war, nicht her. Hivron war blond, eine absolut begehrte Haarfarbe in Syrien. Alle in der Nachbarschaft waren fasziniert von Hivrons langen blonden Zöpfen. Doch jedes lebhafte kleine Mädchen weiß, wie lästig lange Haare sind. Eines Morgens griff meine kleinste Schwester sich eine Schere, kletterte auf den Waschtisch und schnitt einen ihrer langen Zöpfe kurzerhand ab.
»Was hast du getan?«, schrie meine Mutter entsetzt, als sie die Bescherung sah. »Sieh dir das an!«, sagte sie zu meinem Vater.
Baba schüttelte nur den Kopf. »Wir müssen Onkel Mahmoud rufen«, sagte er. Mahmoud war der Bruder meiner Mutter. Er hatte einen Friseurladen in Rukn al-Din. Mahmoud bemühte sich redlich, Hivrons Haare wieder in Fasson zu bringen. Aber sie waren dann doch sehr kurz.
Vielleicht war ich an Hivrons Aufbegehren nicht ganz unschuldig. Mit zwölf oder dreizehn hatte auch ich mir die Haare kurz geschnitten. Eine Art Shag, so, wie Prinzessin Diana ihn bei ihrer Hochzeit getragen hatte.
»Du siehst aus wie ein Junge«, hatte mein Vater gesagt.
Ich fand es klasse. Seit jenem Tag habe ich meine Haare nie mehr länger als schulterlang getragen.
Die Familie, in die ich hineinwuchs, war eine ganz normale Mittelschichtsfamilie. Wir lebten wie viele andere. Wir waren nicht reich, doch wir litten keinen Hunger. Wenn sich die Familie vergrößerte, bauten meine Eltern um, bis für alle Platz war. Aus dem Fenster unseres gemeinsamen Zimmers sahen Maha und ich auf die Dächer der Häuser nebenan. Manche Nachbarn hielten Palmtauben, eine in Sham beliebte Vogelart mit einem zarten, fluffigen Gefieder, das an Rosé-Sekt erinnert. Wenn sie die Käfige öffneten, flogen die Tauben hoch in den Himmel. Man hätte meinen können, sie tanzen. Hörten sie den Pfiff, kehrten sie brav in ihre Käfige zurück. Ich denke gern an die Palmtauben. Ich wünschte, wir alle könnten in der Gewissheit leben, dass es, gleichgültig wohin wir fliegen, immer ein Zuhause geben wird.
Mein Vater, der Experte für Heilpflanzen und Kräuter, ließ sich als Apotheker im Al-Buzuriyah-Souk im Zentrum von Damaskus nieder. Mama war eine begabte Schneiderin mit einem untrüglichen Gespür für aktuelle Trends. Mit ihrer großen, schweren Singer nähte sie für uns hübsche Kleider, oft mehrere Sets miteinander harmonierender Teile. Meine Eltern reisten in andere Länder und brachten elegante Mode aus der Türkei, Italien und sogar Deutschland mit.
In unserem Haus auf dem Berg lebten wir fast wie im Hotel: Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Zu unseren vielen Gästen zählten die Verwandten aus Kobane, Hama, Aleppo und Amude, Freunde der Familie aus dem Ausland, und gelegentlich auch Flüchtlinge, in den 1980er-Jahren zum Beispiel einige während des Libanonkriegs mit Israel vertriebene Libanesen. Mein Vater pflegte die Gastfreundschaft, die er selbst als Kind in Armut von den Nachbarinnen in Hama und Kobane erfahren hatte. Nun hatte er ein eigenes Zuhause, und er öffnete die Türen weit für alle, die eine anständige Mahlzeit und einen Platz zum Schlafen brauchten.
»Aber Baba«, jammerten Maha und ich gern, wenn Freunde und Familie eingeladen wurden, »wir haben keine Lust mehr, hinter den Leuten herzuräumen und zu putzen.« Unser Vater aber ließ unsere Klagen nicht gelten: »Schließt niemals eure Herzen oder eure Tür vor Menschen in Not. Ladet sie zu euch ein, lasst sie an eurem Tisch Platz nehmen.«
Die Menschen, die uns besuchten, kamen aus ganz Syrien, aus Homs, Daraa, Afrin und Bosra. Sie waren Alawiten, Schiiten, Christen, Palästinenser, Libanesen, Tscherkessen, und manchmal reisten sie auch aus dem Westen an. Wir lernten, jeden zu respektieren, unabhängig von seiner Kultur und Religion. Wir lernten, dass wir unabhängig von unserer Herkunft eins sind. Jeder in der Nachbarschaft war Teil der Familie. Alle sorgten füreinander. Eine unserer Nachbarinnen und beste Freundin meiner Mutter, Emira, war eine libanesische Hebamme. Sie begleitete Hivrons und viele andere Geburten in unserem Viertel. Selbst bei der Arbeit hing eine Zigarette in ihrem Mundwinkel. Emira liebte uns über alles, und vor allem unsere Jüngste hatte sie ins Herz geschlossen. Selbst konnte sie keine Kinder haben. Eines Tages, auf dem Weg zur Arbeit im Krankenhaus, hörte sie ein Baby weinen. Ein winziges Mädchen lag am Mülleimer neben dem Klinikeingang.