hinein und füllte es. Er wusste, dass ich Jesus gehorchen wollte, also sagte er mir, dass er mich an Ort und Stelle taufen würde, damit ich öffentlich meinen Glauben bekennen konnte. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich ins kalte Wasser kletterte und mich hinkniete. Ich gab mein Zeugnis und sagte meinen Lieblingsvers auf. Dann hielt ich mir die Hände vors Gesicht und mein Vater taufte mich. Auch an die Erleichterung kann ich mich erinnern und an die Freude, die meine Seele so spürbar überkam wie das kalte Wasser, das an mir herabtriefte. Ich war gehorsam gewesen.
Als ich dann endlich das magische Alter erreichte, das mein Pastor für die »echte« Taufe vorgesehen hatte, nahm ich freudig daran teil. Doch ich wusste genau, dass es nur eine Fortsetzung dessen war, was ich bereits vor Jahren ausgedrückt und begonnen hatte.
Das Vorbild der sich aufopfernden Liebe, das Christus am Kreuz vorlebte, war die Richtschnur für das Leben, das meine Eltern führten. Ihre Liebe zu uns war nicht von der Art Autorität geprägt, in der es darum ging, wer das Sagen hatte. Es war vielmehr eine Liebe, die sich ganz für uns einsetzte. Auch in alltäglichen Dingen, indem sie sich zum Beispiel die Zeit nahmen, die Sorgen eines Kleinkindes oder die eines gereizten Teenagers anzuhören. Sie brachten uns bei, dass ihre Autorität nur begrenzt notwendig war, was bedeutete, dass sie ihre Entscheidungen mit uns besprachen, unsere Meinungen anhörten und respektierten, und sich mit uns zusammensetzten, um gemeinsam Lösungen zu finden. Das hieß nicht, dass kein Gehorsam nötig war oder dass wir sie dazu überreden durften, ihre Meinung zu ändern. Aber wir konnten jederzeit und mit allen Belangen zu ihnen kommen und wurden ernst genommen. Gleichzeitig konnten wir ihren Entscheidungen vertrauen – auch denen, die uns nicht gefielen –, weil wir ihnen vertrauten.
Doch ich lernte nicht nur, dass Liebe zuhört und hört, sondern auch, dass Liebe handelt und beschützt.
Als ich etwa sieben Jahre alt war, hatten meine Geschwister und ich uns den ganzen Tag über gezankt, über jede Kleinigkeit gejammert und uns schlichtweg geweigert, Mama zu gehorchen, wenn sie uns etwas auftrug. Gegen Ende des Tages hatte sie genug und flüchtete an den einzigen Ort, an dem eine Mutter gelegentlich die Tür abschließen und sie auch geschlossen lassen kann – das Badezimmer. Als meine Geschwister und ich erkannten, dass wir uns selbst überlassen waren, hörten wir sofort auf zu streiten und wurden zu Komplizen, die ihre Unabhängigkeit in vollen Zügen genossen. In trotziger, ausgelassener Freude hüpften wir so hoch und so wild wir konnten auf den Betten unseres Zimmers herum und katapultierten mit jedem Sprung Stofftiere und Babypuppen durch die Gegend. Wir wussten ganz genau, dass Mama schon lange über den Punkt hinaus war, an dem sie uns hätte aufhalten können. Natürlich hegten wir alle den leisen Verdacht, dass sich unsere wilde Party am Ende nicht lohnen würde. Doch da wir die Grenze, von der an es kein Zurück mehr gab, bereits überschritten hatten, wollten wir es in vollen Zügen genießen. Bis Papa nach Hause kam.
Schon kurze Zeit später hörten wir ihn im Flur nach unserer Mutter rufen, die sich noch immer im Badezimmer aufhielt. Wir wurden sofort still. Die Puppen hörten auf, durchs Zimmer zu fliegen, und wir rutschten ernüchtert, und mit dem unangenehmen Gefühl, dass uns Ärger drohte, von den Betten. Einige Augenblicke später kam unser Vater aus dem Badezimmer und rief nach mir. Sein ernster, tiefer Tonfall war ein Vorbote dafür, dass der Spaß nun definitiv vorbei war und die Abrechnung bevorstand. Ich ging in der Erwartung zu ihm, zu hören zu bekommen, wie ungezogen wir gestritten hatten oder auf den Betten herumgesprungen waren und dass wir für unser Verhalten bestraft werden würden. Stattdessen verlagerte er den Fokus.
»Hast du gewusst, dass deine Mutter im Badezimmer sitzt und weint?«, wollte er wissen.
Ich hatte nicht geahnt, dass es so schlimm war, obwohl das ihre Abwesenheit in den letzten dreißig Minuten erklärte. Schweigend schüttelte ich den Kopf.
»Das ist meine Frau.« Seine Stimme drückte unmissverständliche Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit aus. Ich spürte, wie sich eine Last auf meine Schultern legte.
»Das ist meine Frau«, wiederholte er. »Dein Verhalten heute hat meiner Frau wehgetan, und du musst eines wissen: Ich liebe sie und ich werde sie beschützen.«
Ich weiß heute nicht mehr, welche Konsequenzen es gegeben hatte, gegen die Regeln zu verstoßen. Aber an eines erinnere ich mich ganz genau: Meine Mutter wurde beschützt. Und sie wurde beschützt, weil mein Vater sie liebte.
Was ich ebenfalls lernte war, dass Liebe danach strebt, aufeinander zuzugehen und den anderen zu verstehen. Auch das war Bestandteil der Liebe, die mir vorgelebt wurde.
An einem warmen Sommertag schaute meine Mutter gerade noch rechtzeitig aus ihrem Schlafzimmerfenster, um zu sehen, wie ich mich mit einem gewaltigen Satz auf meinen kleineren, fünfjährigen Bruder stürzte. Ich war kein aggressives Kind, aber in jenem Sommer war ich ständig wütend. Ich hatte starke Allergien und bekam wöchentlich Spritzen, zudem lief meine Behandlung nicht besonders gut. Mein Arzt war ein düsterer, ernster Mann. Er war groß, dünn und kahl und sah auf unheimliche Weise wie Captain Jean-Luc Picard von Star Trek aus – nur ohne das entwaffnende Lächeln und die freundliche Stimme.
Er kümmerte sich gewissenhaft um seine Patienten, aber seine Fürsorge äußerte sich in unverblümten, schroffen und sachlichen Eigenarten, die wenig dazu beitrugen, dass ich mich umsorgt fühlte oder offener für die wöchentlichen Injektionen wurde. Es half auch nicht, dass er das Serum selbst mischte, um die richtige Dosierung zu erhalten, was zu einem grauenvollen Kreislauf aus Versuch und Irrtum führte, der sehr schwere und oft schmerzhafte Reaktionen auslöste.
Damals merkte ich selbst nicht, wie wütend ich war. Ich wusste nur, dass ich keine Wahl, keine Stimme und keine Möglichkeit hatte, die Behandlung zu beenden. Aber meine Mutter verstand mich. Zuerst rettete sie meinen Bruder und stellte sicher, dass es ihm gut ging, dann holte sie mich nach drinnen. Ich wusste, dass ich jetzt fällig war. Doch statt mich sofort zu bestrafen oder wütend zu sein, beugte sich meine Mutter zu mir herunter und umarmte mich.
»Ich weiß, dass du gerade wütend bist«, sagte sie. »Das ist keine einfache Zeit für dich und du hast keine andere Wahl, als das zu ertragen, was dir wehtut. Ich weiß, dass es wirklich schwer für dich ist.«
Sie sprach mit mir über alles – wie krank ich war und wie frustriert und wütend ich mich fühlen musste, weil ich gezwungen war, etwas so Schmerzhaftes zu erdulden.
»Ich kann nicht zulassen, dass du anderen wehtust«, sagte sie mir. »Aber ich will dir helfen, das hier durchzustehen und Wege zu finden, deine Gefühle auszudrücken, ohne andere zu verletzen.« Und dann weinte sie mit mir.
Liebe versucht zu verstehen und zu kommunizieren. Statt frustriert und wütend darüber zu sein, was ich getan hatte, versuchte mich meine Mutter mit Liebe zu erreichen, ohne dabei die Wahrheit zu beschönigen oder andere ungeschützt zu lassen.
Auch meine Eltern baten um Entschuldigung, wenn sie etwas falsch gemacht hatten. Die Verantwortung für getroffene Entscheidungen zu übernehmen, war in unserer Familie genauso wenig verhandelbar wie demütig genug zu sein, falsche Entscheidungen zuzugeben und um Vergebung zu bitten. Es war einer der Aspekte unseres Familienlebens, die ich am meisten schätzte, weil ich gesehen hatte, was geschehen konnte, wenn dies nicht der Fall war.
In meiner frühen Kindheit erlebte ich, wie eine uns nahestehende Familie infolge von Missbrauch auseinanderbrach. Der Vater hatte ein massives Wutproblem. Wenn irgendetwas nicht nach seinem Willen lief, ließ er es an seiner sanften Frau und seinen kleinen Kindern aus. Nicht körperlich, doch sein verbaler, emotionaler und psychischer Missbrauch hinterließ Wunden auf ihren Seelen, die nicht weniger schmerzhaft waren als Faustschläge. Er hatte immer Gründe und verteidigte sich damit, sie hätten etwas getan, um seine Wut zu verursachen. Hin und wieder gab er zwar zu, dass er anders hätte reagieren sollen, doch auf seine Entschuldigungen folgte immer ein »Aber ihr …!«.
Der Tag, an dem sich alles zuspitzte, war meine erste Erfahrung mit einem Missbrauchsopfer.
Die Frau war in ihren Dreißigern. Ich war neun und werde nie vergessen, wie ich auf Zehenspitzen stand und versuchte, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, während ich die weinende Frau umarmt hielt. Mir war ganz schlecht vor Kummer über das, was man ihr angetan hatte.