nicht mehr möglich gewesen war. Es war einfach zu teuer.
Inzwischen war ich elfeinhalb, also ein paar Jahre zu alt, um ernsthaft eine Karriere als Turnerin zu beginnen. Trotzdem wollte ich zurück in die Turnhalle. Alles daran faszinierte mich. Ich liebte die Kombination aus geistiger und körperlicher Fähigkeit, die der Sport erforderte. Den hohen Grad an Perfektion und die vielen Wiederholungen, die nötig waren, um jede Bewegung makellos und schön auszuführen. Ich staunte über die körperliche Stärke und Gelenkigkeit der Turnerinnen sowie über ihren Fleiß und ihre Entschlossenheit. Es gefiel mir, dass man diesen Sport nicht halbherzig oder nebenbei erlernen konnte. Ich war Perfektionistin und wollte einen Sport, der genau das von mir verlangte.
Nach diesem Abend, an dem ich zugesehen hatte, wie unser Team sich die Goldmedaille holte, begann ich, meine Eltern darum zu bitten, wieder Turnunterricht nehmen zu dürfen. Ich flehte und bettelte, bis meine Mutter bei ein paar Vereinen anrief. Aber die Gebühren waren selbst für Einsteiger ziemlich hoch und stiegen danach rapide an.
Als wir wieder einmal darüber diskutierten, platzte ich plötzlich heraus: »Ich werde mithelfen, das Geld dafür aufzutreiben.«
»Wie bitte?«, fragte meine Mutter ein wenig erschrocken.
»Ich werde helfen, dafür zu bezahlen«, wiederholte ich.
Sie schwieg einen Moment. »Du willst es wirklich so gerne?«
»Ja.« Ich atmete tief durch. »Ja, ich will es wirklich.«
Ich arbeitete schon seit einiger Zeit als Babysitterin und war es gewohnt, Geld beizusteuern, wenn ich etwas Besonderes haben wollte. Für meinen Klavierunterricht half ich Mama bereits, das Haus meines Klavierlehrers zu putzen – ein freundliches Entgegenkommen meines Lehrers, welches es mir und meinen Geschwistern ermöglichte, ein Instrument zu erlernen. Die Idee, für meine Turnstunden zu arbeiten, erschien mir also völlig logisch. Alles, was ich wollte, war eine Chance.
»Na gut«, antwortete meine Mutter. »Wenn es dir wirklich so viel bedeutet, werden wir einen Weg finden, es möglich zu machen.«
Ein paar Wochen später stand ich in einem kleinen Turnstudio, inmitten eines Einkaufszentrums. Ich sah zu, wie ein Mädchen einen Handstützüberschlag vorwärts übte – in einem winzigen Vorraum, der noch dazu mit Plastikstühlen vollgestopft war. Der renovierte Laden, in dem sich auch eine Turnhalle befand, war so klein, dass nur eine halbe Tumbling-Bahn, ein verkürzter Sprunganlauf, ein Stufenbarren und ein paar Schwebebalken hineinpassten. Einige Matten und die nötige Ausrüstung fürs Männerturnen rundeten die kleine, vollgestellte Arena ab. Es war kaum etwas los – nur eine Handvoll Mädchen im Wettbewerbs-Team und ein paar Freizeitkurse.
Nebenan boten die Angestellten von Claire’s Boutique duftende Lotionen und glitzernde Haarspangen feil, während einen Raum weiter Turnerinnen mit blutenden Händen und zweckmäßigen Pferdeschwänzen durch die Luft wirbelten. Man konnte den Kreidestaub in der Luft riechen. Ich liebte es.
Meine Mutter freundete sich sofort mit der Empfangsdame an, und später bemerkte sie, wie gut sie es fand, dass die Eltern alles sehen und hören konnten, was in der Turnhalle vor sich ging. Wir hatten beide noch keine Ahnung von der dunklen Seite, die mein Lieblingssport mit sich bringen würde, aber meine Mutter besaß eine große Portion gesunden Menschenverstand. Zu wissen, was mit ihren Kindern geschah, war für sie immer sehr wichtig. Sie hatte auch keine Scheu davor, die einzige Mutter zu sein, die immer dabei war, um alles zu beobachten, auch wenn andere Eltern sich deshalb über sie lustig machten.
»Es ist egal, was die anderen sagen oder denken«, sagte sie mir. »Dein körperliches und geistiges Wohl sind es mir wert, als Spinnerin angesehen zu werden!«
Als wir die Turnhalle an jenem Tag verließen, war ich für den Anfängerkurs angemeldet, besaß meinen ersten Turnanzug (aus Baumwolle, mit graublauem Karomuster) und war so aufgeregt, dass ich Schmetterlinge im Bauch hatte. Die fünf Tage, die ich auf meine erste Stunde warten musste, fühlten sich wie eine Ewigkeit an.
Als ich in der darauffolgenden Woche aus dem kleinen Studio trat, war ich erschöpft, aber beschwingt. Mein Trainer war der Betreiber der Turnhalle, ein ehemaliger Goldmedaillengewinner aus Osteuropa. Er übernahm die meiste Trainingsarbeit – angefangen bei dem großartigen Mädchen, das ich am ersten Tag über die halbe Tumbling-Bahn hatte wirbeln sehen, bis hin zu Anfängerinnen wie mir.
Was mich betraf, ich sah lächerlich aus und wusste es. Mit meinen fast zwölf Jahren war ich 1,67 Meter groß, schlaksig, mit langem Oberkörper. Ganz und gar nicht wie die winzigen Athletinnen, mit denen ich trainierte, die kompakte Muskeln und einen perfekten Körperbau hatten. Doch ich wusste, was ich wollte und dass ich alles erreichen konnte, wenn ich nur hart genug dafür arbeitete. Eigentlich reichte es mir schon, es einfach nur um der Freude willen zu tun, die es mir brachte.
Das erste einstündige Training verließ ich wie im Rausch. Nicht nur, weil ich endlich turnen durfte, sondern weil ich nun eine Vorstellung davon hatte, was ich tun musste. Mein Trainer war von der alten Schule, ich hatte vorher keinen anderen getroffen, der seine Athleten so konditionierte wie er. Als Hobby-Turnerin auf Level 1 bestand meine erste Trainingseinheit aus Sprints, sechzig Liegestützen, sechzig Rumpfbeugen, lächerlichen Klimmzug-Versuchen mit Ober- und Untergriff, Froschsprüngen, Relevés (wie eine Ballerina auf die Zehenspitzen stellen), ausgiebigem Dehnen und einer Einweisung in grundlegende Techniken. Ich wusste, dass ich eine unermüdliche Arbeitsmoral brauchte, wenn ich es jemals auf Wettkampfniveau schaffen wollte, und der Ablauf des ersten Trainings gab mir eine Vorlage, nach der ich arbeiten konnte.
An diesem Abend dehnte ich mich zwei Stunden lang und wiederholte das gesamte Konditionstraining. Es gab nicht viel, was ich zu Hause üben konnte, aber ich wollte so stark und gelenkig wie möglich werden, um meine knapp bemessene Zeit in der Turnhalle voll auszuschöpfen. Auch die darauffolgenden Abende dehnte und trainierte ich noch mindestens eine Stunde lang bis zur Schlafenszeit. Innerhalb von zwei Wochen beherrschte ich jeden Spagat perfekt und konnte die verlangten Konditionsübungen mit relativ korrekter Technik und Form ausführen. Es war nicht viel, aber es war ein Anfang.
Den ganzen Herbst, Winter, Frühling und Sommer lang übte ich in der kleinen Turnhalle im Einkaufszentrum und ergänzte mein Training zu Hause. Ich saß im Spagat, während ich meine Schularbeit erledigte, trainierte eine Stunde vor dem Schlafengehen und drehte Pirouetten auf unserem Küchenboden. Den größten Teil der naturwissenschaftlichen Literatur für die Schule las ich kopfüber, im halben Handstand an der Tür zum Wäschezimmer. Das Sofa nutzte ich häufiger, um Überspagat zu üben, als um darauf zu sitzen, und die rauen Holzbretter, mit denen neu gepflanzte Bäume in unserem Garten eingezäunt wurden, dienten mir als Schwebebalken.
Neun Monate nachdem ich zum ersten Mal die kleine Turnhalle betreten hatte, sage mein Trainer die Worte, auf die ich gewartet hatte: »Ich würde gerne darüber sprechen, dass Rachael dem Wettkampfteam beitritt.«
Für eine zwölfjährige Turnerin, die nicht »ins Profil passte«, konnte es nichts Besseres geben. Ich war nicht fürs Collegeturnen gemacht, geschweige denn für die Olympischen Spiele. Viele Trainer hätten mich links liegen lassen, aber meiner gab mir eine Chance. Endlich würde ich zu einem Mitglied von USA Gymnastics werden. Ich würde die Anstecknadel, den Mitgliedsausweis und einen echten Wettkampfanzug bekommen. Das war es, wofür ich so hart gearbeitet hatte, ich war begeistert.
»Was meinst du?«, fragte meine Mutter.
Wir waren beim Infotreffen gewesen, um zu erfahren, was es bedeuten würde, Teilnehmer des Wettkampfprogramms zu werden. Neben der Anzahl der Trainingstage und -stunden ging es vor allem um die finanziellen Anforderungen. Die Gebühren für die Turnhalle, die Wettkämpfe und die Kleidung sowie die »Nebenkosten« für Dinge wie Gelenkstützen und zusätzliche Trainingsanzüge waren zusammengenommen höher, als es sich meine Familie leisten konnte. Und meine Mutter hatte noch andere Bedenken. Sie wusste, dass zum einen Probleme mit dem eigenen Körperbild weit verbreitet waren und es zum anderen häufig Verletzungen gab. Aber ich wollte es. Ich wollte es unbedingt.
»Ich habe doch den Teilzeitjob als Babysitterin«, schlug ich vor. »Einen Teil von dem Geld brauche ich,