»Lieber Herr, nehmen Sie etwas Wein und Wasser zu sich!« ordnete Mr. Helstone an. Wein und Wasser waren Wachholderbranntwein und Wasser, wie Mr. Sykes entdeckte, als er einen vollen Becher davon gemischt und getrunken hatte. Es wandelte ihn innerhalb von zwei Minuten um, brachte die Röte in sein Gesicht zurück und machte ihn wenigstens mit Worten mutig. Er erklärte jetzt, dass er sich nicht mehr von dem gemeinen Volk wolle mit Füßen treten lassen, dass er entschlossen sei, die Unverschämtheit der arbeitenden Klasse nicht mehr zu ertragen, dass er darüber nachgedacht und sich vorgenommen hätte, es aufs Äußerste zu treiben, könnten Geld und Mut diese Aufrührer zu Paaren treiben, so sollte dies gewiss geschehen. Mr. Moore möge tun, was er wolle, aber er – Christian Sykes – werde seinen letzten Penny für die Gerichte opfern, ehe er sich abbringen lasse, er wolle sie zu Paaren treiben, oder man solle sehen –.
»Trinken Sie noch ein Glas!« drängte Moore.
Mr. Sykes hatte nichts dagegen einzuwenden. Es war ein kalter Morgen (Sugden hatte ihn warm gefunden), in dieser Jahreszeit musste man auf sich achten – man musste etwas nehmen, um den Nebel abzuhalten. Er hatte schon einen kleinen Husten (er begann hier zur Bekräftigung dieser Tatsache zu husten) so etwas von der Art (damit hob er die schwarze Flasche in die Höhe) sei etwas sehr Gutes, wenn es als Medizin genommen werde (er goss das Arzneimittel in seinen Tummler). Eine Angewohnheit dürfe es durchaus nicht werden, starke Getränke morgens zu sich zu nehmen, aber gelegentlich erfordere es die Vorsicht, solche Maßregeln anzuwenden.
»Sehr weise, und nehmen Sie sie also jedenfalls«, drängte der Wirt.
Mr. Sykes wandte sich an Mr. Helstone, der am Feuer stand, seinen Schaufelhut in der Hand, und ihn mit seinen kleinen scharfen Augen bedeutungsvoll ansah.
»Ja, Sir, als ein Geistlicher sage, fühle ich, dass es unangenehm ist, bei solchen Auftritten von Zank und Streit, und ich darf wohl sagen, Gefahr, zugegen zu sein. Ich fürchte, dass Ihre Nerven es nicht aushalten werden.«
»Sie sind ein Mann des Friedens, Sir, aber wir Fabrikanten, die wir in der Welt und stets in Unruhe leben, werden dadurch ganz kämpferisch. Es entsteht bei dem Gedanken an Gefahr wahrhaftig eine Glut in mir, die mein Herz höher schlagen lässt. Wenn Mrs. Sykes befürchtet, dass dies Haus angegriffen und gestürmt werde – worin sie auch recht hat – so reizt mich das geradezu auf. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, Sir, ich habe das Gefühl, dass, wenn wirklich etwas käme – Diebe oder sonst etwas – so glaube ich, dass ich mich darüber freuen würde, so mutig bin ich.«
Das herzliche, obgleich kurze und leise, in keiner Weise jedoch beleidigende, Gelächter war des Pfarrers Antwort. Moore würde dem heldenmutigen Fabrikbesitzer noch einen dritten Tummler eingeredet haben, wenn nicht der Geistliche, der die Grenzen des Anstandes nie überschritt, noch duldete, dass sie von anderen in seiner Gegenwart überschritten würden, ihn davon abgehalten hätte.
»Genug ist genug, nicht wahr, Mr. Sykes?« sagte er, und dieser gab es zu, setzte sich dann und ließ sich auf ein Zeichen Helstones die Flasche mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf den Lippen und einem bedauernden Leuchten in seinen Augen wegnehmen. Moore sah aus, als wenn er ihn mit größtem Vergnügen noch ein wenig zum Besten gehalten hätte. Was würde eine gewisse junge Verwandte gesagt haben, würde er ihr als ihr lieber, guter, großer Robert – ihr Coriolanus – gerade jetzt erschienen sein?
Würde sie in diesem widrigen, sardonischen Gesicht dasselbe Antlitz erblickt haben, zu dem sie mit so viel Liebe emporgesehen, welches vergangenen Abend sich mit solcher Freundlichkeit über sie gebeugt hatte? War das der Mann, der einen so ruhigen Abend mit seiner Schwester und seiner Cousine verbracht hatte – so sanft für die eine, so zärtlich für die andere – beim Lesen des Shakespeare und Anhören des Chenier?
Und doch war es derselbe Mann, nur von einer anderen Seite betrachtet, einer Seite, die Caroline bis jetzt noch nicht genau gesehen hatte, obgleich sie vielleicht Scharfsinn genug besaß, deren Vorhandensein leise zu vermuten. Auch Caroline hatte zweifellos ihre fehlerhafte Seiten. Sie war ein Mensch, sie musste also sehr unvollkommen sein, und hätte sie Moore selbst von seiner schlechtesten Seite gesehen, würde sie dies wahrscheinlich zu sich selbst gesagt und ihn entschuldigt haben. Liebe kann alles entschuldigen, außer Gemeinheit. Diese aber tötet die Liebe, verkrüppelt selbst natürliche Zuneigung, ohne Achtung kann wahre Liebe nicht bestehen. Moore konnte bei all seinen Fehlern Achtung verdienen, denn er hatte keine moralischen Fehler in seiner Gesinnung, keine hoffnungslose, befleckte Färbung, wie z. B. die der Falschheit, auch war er nicht der Sklave seiner Lüste. Das aktive Leben, zu dem er geboren und erzogen worden war, hatte ihm etwas anderes zu tun gegeben, als ihn der erbärmlichen Klasse der Vergnügungsjäger zuzugesellen. Er war ein Mann, der sich niemals erniedrigt hatte, der Zögling der Vernunft, nicht der Diener der Sinne. Dasselbe konnte man von dem alten Helstone sagen. Keiner von beiden konnte eine Lüge sehen, denken oder aussprechen. Für keinen von beiden hatte die unselige schwarze Flasche, die man eben beiseite gesetzt hatte, einen Reiz. Beide konnten mit kräftigem Erheben auf den stolzen Titel ›Krone der Schöpfung‹ Anspruch erheben, denn kein animalisches Laster war ihr Gebieter. Sie waren höheren Wesens als der arme Sykes und ihre Haltung zeigte es.
Jetzt hörte man mehrfache Schritte im Hof, und dann trat eine Pause ein. Moore ging ans Fenster, Helstone folgte ihm. Beide standen an derselben Seite, der schlanke Jüngere hinter dem untersetzten Älteren, vorsichtig so hinaussehend, dass sie von dort nicht sichtbar waren. Die einzige Bemerkung, die sie über das machten, was sie sahen, war ein spöttisches Lächeln, als ihre strengen Blicke einander trafen.
Jetzt hörte man ein unnatürliches, gekünsteltes Hüsteln, dem der Ausruf: »Pst!« folgte, um, wie es schien, das Getöse mehrerer Stimmen zu stillen. Moore öffnete das Fenster einen Zoll breit, um besser hören zu können.
»Joe Scott«, begann eine dumpfe Stimme – Scott stand als Schildwache an der Kontor-Tür – »dürfen wir fragen, ob Ihr Herr darin ist und man ihn sprechen kann?«
»Er ist darin«, erwiderte Joe unbefangen.
Wollten Sie wohl die Güte haben, ihm zu sagen, dass zwölf Männer ihn zu sprechen wünschen?«
»Er wird wohl fragen, weshalb?« versetzte Joe. »Ich möchte ihm das doch gleich sagen.«
»Eines Geschäfts wegen«, war die Antwort.
Joe ging hinein.
»Da sind zwölf Männer, Sir, die Sie wegen eines Geschäfts zu sprechen wünschen.«
»Gut, Joe, ich bin ihr Mann. Sugden kommen Sie wenn ich pfeife.«
Moore ging mit einem trockenen Lachen hinaus. Er schritt im Hof vor, die eine Hand in der Tasche, die andere in der Weste, den Mützenrand über den Augen, sodass deren tieffunkelndes, höhnisches Leuchten halb beschattet wurde. Zwölf Männer warteten im Hof, einige in ihren Hemdsärmeln, andere in blauen Hemden; zwei davon zeigten sich vor allen an der Spitze ihrer Gesellschaft. Einer, ein kleines, flinkes, sich brüstendes Männchen mit Stupsnase, der andere ein breitschultriger Mensch, der sich ebenso durch sein gravitätisches Gesicht und seine katzenähnlichen, falschen Augen, als durch ein hölzernes Bein und trockenen Husten auszeichnete. Es lag etwas Gezwungenes auf seinen Lippen, er schien sich über jemand oder irgendetwas ins Fäustchen zu lachen, seine ganze Miene drückte alles andere, nur nicht Ehrlichkeit aus.
»Guten Morgen, Mr. Barraclough«, sagte Moore, als er vor ihm stand.
»Friede sei mit Ihnen!« war die Antwort, und als er sie gab, schloss Mr. Barraclough seine von Natur aus halbgeschlossenen Augen gänzlich.
»Ich danke Ihnen. Friede ist eine vortreffliche Sache; ich wünsche mir nichts mehr. Aber das ist doch wohl nicht alles, was Sie mir zu sagen haben? Ich bilde mir ein, dass Friede nicht Ihr Geschäft ist.«
»Was unser Geschäft betrifft«, erwiderte Barraclough, »so ist es eines, das sonderbar und fast töricht in Ihren Ohren klingen mag, denn die Kinder dieser Welt sind in ihrer Art weiser, als die Kinder des Lichts.«
»Zur Sache, wenn ich bitten darf, und lassen Sie mich hören, was es ist.«
»Sie