Charlotte Bronte

Shirley (Deutsche Ausgabe)


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schaltete sich die schöne, stolze Harriet ein. »Ich konnte ihn gar nicht ansehen. Ich hörte ihm mit geschlossenen Augen zu.«

      Miss Helstone fühlte ihre Unwissenheit und Unbedeutendheit. Da sie Broadbent nicht gesehen hatte, konnte sie ihre Meinung nicht sagen. Die dritte Pause trat ein. Während sie andauerte, fühlte Caroline in ihrem innersten Herzen, was für eine verträumte Närrin sie sei, was für ein unpraktisches Leben sie führe und wie gering ihr Geschick bei dem gewöhnlichen Umgang mit der gewöhnlichen Welt. Sie fühlte, wie ausschließlich sie sich an das weiße Cottage in der Schlucht gefesselt, wie sie auf die Existenz eines Bewohners desselben ihre ganze Welt übertragen hatte, sie empfand, dass dies nicht so weitergehen könne und dass sie eines Tages genötigt sein werde, daran etwas zu ändern. Man konnte nicht sagen, dass sie geradezu wünschte, den Damen vor ihr zu gleichen, aber sie wünschte sich mehr Selbstsicherheit, um durch deren Würde weniger eingeschüchtert zu werden.

      Das einzige Mittel, das sie zur Wiederbelebung des stockenden Gesprächs fand, war die Frage, ob sie zum Tee bleiben wollten, und es kostete sie einen schweren Kampf diesen höfliche Frage zu stellen. Mrs. Sykes hatte eben begonnen: »Wir sind Ihnen sehr verbunden, aber –« als Fanny wieder eintrat.

      »Die Herren werden zu Abend bleiben«, war die Botschaft, die sie von Mr. Helstone brachte.

      »Welche Herren sind denn bei Ihnen?« fragte jetzt Mrs. Sykes. Ihre Namen wurden genannt. Sie und ihre Töchter wechselten Blicke. Die Hilfsgeistlichen waren ihnen nicht das, was sie Caroline waren. Mr. Sweeting war ihr besonderer Liebling. Selbst Mr. Malone wurde geschätzt, weil er ein Geistlicher war. »Da Sie schon Gesellschaft haben, wollen wir ebenfalls bleiben«, bemerkte Mrs. Sykes. Wir werden eine recht hübsche Partie abgeben. Ich bin stets gern in der Gesellschaft von Geistlichen.«

      Und nun musste Caroline sie die Treppen hinaufführen, ihnen helfen die Schultertücher abnehmen, ihnen die Haare glätten und sie in Ordnung bringen, sie dann wieder in den Salon führen und die Bücher mit Kupferstichen oder andere unbedeutende vom Judenkorb gekaufte Dinge unter sie verteilen. Sie war genötigt, solche Sachen zu kaufen, da sie selbst nur sehr wenig dazu leistete, und wenn sie Geld genug gehabt hätte, als man ihn in die Pfarrei gebracht hatte – ein furchtbarer Alptraum – lieber das ganze Lager aufgekauft, als ein einziges Stecknadelkissen dazu beigetragen hätte.

      Es ist vielleicht nützlich für diejenigen, die nicht mit den Mysterien eines ›Judenkorbes‹ oder ›Missionarkorbes‹ vertraut sind, zu bemerken, dass diese aus Weide geflochtenen verschließbaren Körbe den Umfang eines Kleiderkorbes für eine ganze Familie haben, dazu bestimmt, eine monströse Sammlung von Nadelkissen, Nadelbüchsen, Arbeitsbeuteln, Papparbeiten, Artikel für Kinderkleidung usw., die von den willigen oder unwilligen Händen der christlichen Damen einer Pfarrgemeinde gefertigt und par force den heidnischen Männern derselben für ungeheuer hohe Preise verkauft werden, von Haus zu Haus zu befördern. Die Ergebnisse dieser gezwungenen Ankäufe werden dann zur Bekehrung der Juden, dem Aufsuchen der zehn vermissten Stämme oder der Umwandlung der interessanten farbigen Bevölkerung unseres Erdballes verwendet. Jede beitragende Dame hat die Verpflichtung, diesen Korb einen Monat lang zu behalten, dafür zu nähen, und was er enthält, einer widerstrebenden Mannsperson anzudrehen. Es ist ein aufregender Zeitpunkt, wenn dieser Umlauf geschieht. Einige tatkräftige Frauen mit einem tüchtigen Handelsgeist lieben es und haben viel Vergnügen an dem Spaß, über geizige alte Hagestolze zu triumphieren, indem sie für Artikel, die diesen gänzlich nutzlos sind, eine Summe von 400 bis 500 Prozent über dem Kaufpreis verlangen. Andere schwächere Seelen sind aber dagegen und sähen lieber den Fürst der Finsternis eines Morgens an ihre Tür klopfen, als diesen Gespensterkorb, der mit Mrs. Rouses Empfehlen und der Bemerkung überbracht wurde, ›dass, wenn es gefällig, nun an Ihnen die Reihe sei.‹

      Als Miss Helstone ihre Pflichten als Wirtin eher ängstlich als freundlich erfüllt hatte, begab sie sich in die Küche, um einen kurzen, geheimen Rat mit Fanny und Eliza über den Tee zu halten.

      »Was das für ein Unglück ist!« rief Eliza, die Köchin. »Und ich schob das Backen heute auf, weil ich glaubte, es werde Brot genug da sein bis morgen. Nun reichen wir damit nicht.«

      »Sind noch etwas Teebrötchen da?« fragte die junge Herrin. »Bloß drei und ein Stückchen. Ich wollte, dies vornehme Volk bliebe zu Hause bis man sie holen ließe. Ich kann nun meinen Hut nicht fertig machen.« (Mütze wollte sie sagen.)

      »Nun«, sagte Caroline, der die Wichtigkeit des dringenden Falles eine gewisse Energie gab, »dann muss Fanny hinunter nach Briarfield laufen und einige Buttersemmeln und Weißbrötchen kaufen, nebst etwas Zwieback. Ängstigen Sie sich nicht, Eliza, wir können es jetzt doch nicht ändern.«

      »Und was für Geschirr werden wir nehmen?«

      »Versteht sich, das Beste. Ich will das Silberservice holen«, und damit rannte sie die Treppe hinauf zu dem Geschirrschrank und brachte Teekanne, Milchkännchen und Zuckerschale herunter.

      »Und ist denn der Teekessel auch da?«

      »Ja, ja, und macht alles fertig, so schnell wie nur möglich, denn je eher der Tee vorbei ist, desto eher werden sie gehen. – Das hoffe ich wenigstens. Ach! Ich wollte, sie wären schon fort!« seufzte sie, als sie in den Salon zurückkam. »Und doch«, dachte sie, als sie an der Tür stehen blieb, ehe sie eintrat, wenn Robert eben jetzt käme, wie schön würde das alles sein! Und wie viel leichter die Aufgabe, diese Leute zu amüsieren, wenn er zugegen wäre! Wie interessant wäre es, ihn sprechen zu hören, obgleich er nie viel in Gesellschaft spricht, und in seiner Gesellschaft zu sprechen! Einen von denen drin zu hören oder mit ihnen zu sprechen, kann durchaus nicht interessant sein. Wie sie kichern werden, wenn die Hilfsgeistlichen eintreten, und welche Langeweile ich haben werde, ihnen zuhören zu müssen! Ich glaube wirklich, dass ich eine selbstsüchtige Närrin bin. Es sind doch recht respektable und gebildete Leute. Ich würde sicher stolz sein, wenn ich mich benehmen könnte wie sie. Ich will auch gar nicht sagen, dass sie nicht so gut wären wie ich – bewahre der Himmel – sie sind nur anders als ich.«

      Sie trat ein.

      Leute aus Yorkshire nahmen damals ihren Tee an einem runden Tisch ein. Dort saßen sie fest und streckten die Knie unter das Mahagoni-Tischblatt. Es gab eine Menge von Tellern mit Brot und Butter, verschieden in Art und überreich an Anzahl. Auch hielt man es für schicklich, dass auf der Mitte des Tisches eine Glasschüssel mit Marmelade stand, und neben dem Fleisch musste sich eine kleine Auswahl von Käsekuchen und Torten befinden. Konnte man einen Teller mit dünnen Schnittchen Schinken haben, mit grüner Petersilie garniert, war es umso besser.

      Des Pfarrers Köchin Eliza kannte glücklicherweise ihre Geschäfte. Sie war anfangs nur ein wenig unwirsch gewesen, als die Gäste in solcher Anzahl und so unerwartet gekommen waren, bald aber gewann sie mit der Tatkraft auch ihre Freundlichkeit wieder, denn in angemessener Zeit war der Tee auf die vortrefflichste Weise serviert, und weder Schinken, noch Torten, noch Marmelade fehlten in dessen Begleitung.

      Die Hilfsgeistlichen traten, als sie zu diesem freundlichen Mahl eingeladen wurden, fröhlich ein, aber auf einmal, als sie die Damen erblickten, blieben sie in der Tür stehen. Malone führte sie an. Er stutzte und trat zurück, Donne fast umstoßend, der hinter ihm kam. Dieser stolperte drei Schritte rückwärts und warf Sweeting in die Arme des alten Helstone, der die Reihe schloss. Es gab nun einiges Gekicher und Auseinandersetzungen. Malone wurde aufgefordert zu sagen, was es gebe und vorwärts zu gehen, was er auch endlich tat, obgleich ein bläuliches Purpurrot seine hohe Stirn bis an den Haaransatz färbte. Jetzt trat Helstone vor, schob die Hilfsgeistlichen beiseite, begrüßte alle seine schönen Gäste, schüttelte die Hände, scherzte mit jedem und setzte sich gemütlich zwischen die liebenswürdige Harriet und die stolze Hannah. Miss Mary bat er, sich auf den Platz ihm gegenüber zu begeben, damit er sie wenigstens sehe, wenn er sie nicht näher haben könne. Gegen junge Mädchen war sein Benehmen stets außerordentlich galant und unbefangen, sodass er ganz vertraut mit ihnen schien, im Herzen aber liebte er weder, noch achtete er das Geschlecht, und diejenigen, welche die Umstände in vertraute Verhältnisse mit ihm gebracht hatten, hatten ihn stets mehr gefürchtet als geliebt.

      Die Hilfsgeistlichen mussten nun für sich selbst sorgen. Sweeting, welcher der