sein würde.«
»Das müsste wundervoll sein! Und wenn Sie auch arm wären – und immer nur arm – so wäre es doch wundervoll. Gute Nacht, Robert.«
»Ich versprach Ihnen ja, Sie bis zur Pfarrei zu begleiten.«
»Das weiß ich, aber ich glaubte, Sie hätten es vergessen, und wusste nicht recht, wie ich Sie daran erinnern sollte, obgleich ich es zu tun wünschte. Aber ist es Ihnen auch nicht unangenehm zu gehen? Die Nacht ist kalt, und da Fanny gekommen ist, besteht keine Gefahr –«
»Da ist Ihr Muff – wecken Sie Hortense nicht auf! – Kommen Sie!«
Die halbe englische Meile bis zum Pfarrhaus war bald zurückgelegt. Im Garten trennten sie sich ohne Kuss, bloß mit einem Händedruck, Robert aber entließ seine Cousine aufgeregt und fröhlich bewegt. Er war an diesem Tag so außerordentlich freundlich zu ihr gewesen. Nicht in Worten, Redensarten, Ausdrücken, aber im Benehmen, im Blick, in sanftem und freundlichem Ton.
Er selbst kam ernst, beinahe verstimmt, nach Hause. Als er ganz allein an sein Hoftor gelehnt stand und in das wässrige Mondlicht blickte, die versteckte, dunkle Fabrik vor ihm, die hügelumgebene Schlucht ringsum – rief er plötzlich aus:
»Das geht nicht! Das ist Schwäche – das ist der Weg in den Untergang. Jedoch«, fügte er mit matterer Stimme hinzu, »dieser Wahnsinn ist bald verflogen, das weiß ich sehr wohl. Ich hatte ihn schon zuvor. Er wird morgen vorüber sein.«
VII – Die Hilfsgeistlichen beim Tee
Caroline Helstone war gerade achtzehn Jahre alt, und mit achtzehn Jahren soll jetzt ihre wahre Lebensgeschichte beginnen. Zuvor sitzen wir da und lauschen einem Märchen, einer wunderbaren Dichtung, manchmal erfreulich, manchmal traurig, fast immer unwirklich. Zu dieser Zeit ist unsere Welt heroisch, ihre Einwohner Halbgötter oder Halbteufel, ihre Szenen sind Traumszenen. Finsterere Wälder und seltsamere Berge, hellerer Himmel und gefahrvollere Gewässer, süßere Brunnen und verführerischere Früchte, größere Ebenen und traurigere Wüsten, sonnigere Felder, als sie je in der Natur gefunden werden, bedecken unseren bezaubernden Erdball. Was für ein Mond, zu dem wir in dieser Zeit aufblicken! Wie hoch unsere Herzen bei seinem Anblick für dessen unaussprechliche Schönheit schlagen! Was aber die Sonne betrifft, so ist sie ein brennender Himmel – eine Götterwelt.
Zu dieser Zeit – mit achtzehn Jahren, leben wir nahe an den Grenzen des Täuschenden und der leeren Träume. Hinter uns liegt das Elfenland, vor uns steigen die Küsten der Wirklichkeit auf. Noch sind diese Küsten entfernt. Sie sehen so blau, so sanft, so lieblich aus, und wir sehnen uns danach, sie zu erreichen. Im Sonnenlicht sehen wir unter dem Azur eine grüne Fläche, wie eine Frühlingswiese. Wir erhaschen Lichtblicke silberner Linien und glauben das Plätschern von Wasserfällen zu hören. Könnten wir dieses Land nur erreichen, so wäre an Hunger und Durst nicht mehr zu denken, da ja viele Wüsten und oft der Strom des Todes oder Ströme der Sorgen, so kalt und schwarz wie der Tod, durchwandert werden müssen, ehe wahre Glückseligkeit erreicht werden kann. Jede Freude, die das Leben gibt, muss geerntet werden, ehe sie gesichert ist, und wie sauer die Ernte ist, weiß nur der, der nach hohen Preisen gerungen hat. Das Herzblut muss mit roten Tropfen die Stirn des Streiters schmücken, ehe der Kranz des Sieges darüber rauscht.
Mit achtzehn Jahren verstehen wir das nicht. Der Hoffnung wird, wenn sie uns zulächelt und für morgen Glückseligkeit verspricht, unbedingt geglaubt. Liebe, wenn sie wie ein verlorener Engel an unsere Tür tritt, wird sogleich eingelassen, willkommen geheißen, umarmt, ihren Köcher sieht man nicht, dringt ihr Pfeil ein, ist die Wunde gleich dem Zucken eines neuen Lebens, keine Furcht vor Gift erwacht, keine vor den Widerhaken, die keines Arztes Hand herausziehen kann, diese gefährliche Leidenschaft – stets ein Todeskampf in mancher ihrer Phasen, bei manchen ein immerwährender – wird für ein unberechenbares Gut gehalten, kurz, mit achtzehn Jahren tritt man erst in die Schule der Erfahrung ein, und ihre demütigenden, zermalmenden, quälenden, aber auch reinigenden und kräftigenden Lehren müssen erst gelernt werden. Ach, Erfahrung! Kein anderer Lehrmeister hat ein so finsteres und frostiges Gesicht wie du! Keiner führt eine so schwere Rute, keiner trägt ein so schwarzes Gewand, keiner treibt mit so unerbittlicher Hand den Zögling so streng zu seiner Aufgabe und zwingt ihn mit unwiderstehlicher Autorität zu deren Vollendung. Nur durch deine Lehre allein können Mann und Frau den richtigen Pfad durch die Wüsten des Lebens finden; ohne ihn straucheln sie und verirren sich! Sie geraten auf verbotene Wege, sie stürzen in schreckliche Abgründe!
Nachdem Caroline von Robert nach Hause begleitet worden war, wünschte sie nicht, den übrigen Teil des Abends mit ihrem Onkel zu verbringen. Das Zimmer, in dem er saß, war geweihter Boden für sie. Nur selten trat sie in dasselbe und auch heute hielt sie sich fern, bis die Gebetsglocke ertönte. Ein Teil des kirchlichen Abendgottesdienstes wurde in Mr. Helstones Haus gehalten. Er las mit seinem gewöhnlichen Nasal-Ton deutlich, laut und monoton. Als dies vorüber war, trat seine Nichte, wie gewöhnlich, zu ihm.
»Guten Abend, Onkel!«
»Ei! Du bist ja den ganzen Tag außer Haus gewesen, hast Besuche gemacht, außerhalb gegessen und was noch alles!«
»Bloß in Hollow’s Cottage.«
»Und hast du deine Lektionen gelernt?«
»Ja.«
»Und ein Hemd genäht?«
»Nur einen Teil davon.«
»Gut, so ist es recht! – Halte dich nur immer an die Nadel – lerne Hemden und Röcke zu machen und Pasteten zu backen, und du wirst einmal eine tüchtige Hausfrau werden. Jetzt geh zu Bett. Ich bin hier mit einer Flugschrift beschäftigt.«
*
Nun finden wir die Nichte in ihrer kleinen Kammer. Die Tür ist geschlossen, ihr weißes Nachtkleid angezogen, das lange Haar gelöst und dick, sanft und wallend über ihren Rücken fallend, und als sie, von der Mühe es auszukämmen ausruhend, die Wange in die Hand stützte und ihre Augen auf den Teppich richtete, stiegen die Traumbilder, die man mit achtzehn Jahren sieht, vor ihr auf.
Ihre Gedanken sprachen mit ihr, sprachen angenehm, wie es schien, denn sie lächelte, als sie ihnen lauschte. So nachdenklich war sie reizend, aber etwas noch Glänzenderes als sie befand sich in diesem Gemach – der Geist jugendlicher Hoffnung. Bei diesem schmeichelnden Propheten kannte sie keinen Kummer mehr, fühlte keine Kälte: Sie war in die Morgendämmerung eines Sommertages getreten, keine falsche Dämmerung, sondern der wahre Lenz des Morgens – und ihre Sonne sollte schnell aufgehen. Es war unmöglich für sie, jetzt den Verdacht zu hegen, einer Täuschung aufgesessen zu sein. Ihre Erwartungen schienen sicher, der Grund, auf dem sie beruhten, fest.
»Wenn Leute lieben, dann ist der nächste Schritt, einander zu heiraten«, war ihr Argument. »Nun liebe ich Robert, und fühle mit Gewissheit, dass Robert mich liebt. Ich habe es so oft zuvor gedacht, doch jetzt fühle ich es. Als ich ihn anblickte, nachdem ich Cheniers Gedicht vorgetragen hatte, sandten seine Augen – und was für schöne Augen er hat! – die Wahrheit in mein Herz. Oft fürchtete ich mich, mit ihm zu sprechen, dass er mich für zu dreist, zu voreilig halten könnte, denn ich habe meine überströmenden, überflüssigen Worte oft bitter bedauert und gefürchtet, ich hätte mehr gesagt, als er von mir erwartet hatte, und dass er dies missbilligen werde, da er mich für indiskret halten könne. Jetzt aber, heute Abend, hätte ich es wagen können alle meine Gedanken auszusprechen, da er so nachsichtig gegen mich war. Wie gut er war, als wir übers Feld gingen! Er schmeichelt nicht oder sagt alberne Dinge; sein Liebhaben (ich meine seine Freundschaft, denn meinen Liebhaber kann ich ihn jetzt doch noch nicht nennen, obgleich ich hoffe, dass er es eines Tages sein wird) ist nicht so wie das, was man in Büchern liest – es ist weit besser – originell, ruhig, männlich, aufrichtig. Ich habe ihn gern, ich würde ein vortreffliches Weib für ihn sein, wenn er mich heiratete; ich würde ihm seine Fehler nennen (denn er hat deren einige), aber auch für seine Bequemlichkeit sorgen und ihn lieben und mein Möglichstes tun, ihn glücklich zu machen. Nun, ich bin gewiss, dass er morgen nicht kalt sein wird; ich fühle die innere Überzeugung, dass er morgen Abend entweder hierher kommt oder mich bittet, zu ihm zu kommen.«
Sie