Charlotte Bronte

Shirley (Deutsche Ausgabe)


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Ihr eigenes Talent und eigene Güter Ihnen erlauben werden. Sie sind dazu geschaffen, groß zu sein. Sie werden es auch sein.«

      »Jetzt möchte ich wissen, wenn Sie wirklich so von Herzensgrund sprachen, welches Rezept Sie mir vorschreiben werden, um diese Größe zu erlangen. Aber ich weiß es besser als Sie selbst. Würde es wirksam sein? Würde es zu etwas führen? Ja – zu Armut, Elend, Bankrott. Oh, das Leben ist nicht so, wie Sie es sich denken, Lina!«

      »Aber Sie sind, wofür ich Sie halte.«

      »Ich bin es nicht.«

      »Sie sind also besser?«

      »Weit schlimmer.«

      »Nein, weit besser. Ich weiß, Sie sind gut.«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Weil Sie so aussehen und ich fühle, dass Sie es sind.«

      »Wo fühlen Sie das?«

      »In meinem Herzen.«

      »Ah! Sie beurteilen mich mit Ihrem Herzen, Lina. Sie sollten mich mit Ihrem Kopf beurteilen.«

      »Das tue ich auch und bin dann ganz stolz auf Sie, Robert. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was ich alles über Sie denke.«

      Mr. Moores dunkles Gesicht veränderte die Farbe. Seine Lippen lächelten und waren doch zusammengepresst. Sein Auge lachte und doch runzelte er entschlossen die Brauen.

      »Denken Sie bescheidener von mir, Lina«, sagte er.

      »Die Männer sind im Allgemeinen eine Art Abschaum, sehr verschieden von irgendetwas, wovon Sie eine Vorstellung haben. Ich erhebe keinen Anspruch darauf, besser als die anderen zu sein.«

      »Täten Sie es, würde ich Sie nicht so hoch schätzen. Weil Sie bescheiden sind, habe ich solches Vertrauen in Ihre Verdienste.«

      »Wollen Sie mir schmeicheln?« fragte er, sich rasch zu ihr wendend und mit scharf durchdringenden Augen ihr Gesicht suchend.

      »Nein«, sagte sie, über diesen plötzlichen Eifer lachend. Sie schien es nicht für nötig zu halten, diese Beschuldigung energischer von sich zu weisen.

      »Es scheint Ihnen einerlei, ob ich glaube, dass Sie mir schmeicheln oder nicht.«

      »Nein.«

      »Sind Sie Ihrer eigenen Absichten so gewiss?«

      »Ich glaube es wenigstens.«

      »Und diese sind, Caroline?«

      »Einzig und allein, meinen Geist zu erleichtern, indem ich einmal sage, was ich denke, und dann auch, um Sie zufriedener mit sich selbst zu machen.«

      »Indem Sie mir versichern, dass meine Cousine meine aufrichtige Freundin ist.«

      »Ja, ja, ich bin auch Ihre aufrichtige Freundin, Robert.«

      »Und ich bin – wie und wozu mich die Umstände machen werden.«

      »Doch nicht zu meinem Feind?«

      Die Antwort wurde durch Sarah und ihre Herrschaft, die recht aufgeregt in die Küche traten, unterbrochen. Sie hatten die Zeit, die Mr. Moore und Miss Helstone im Zwiegespräch zugebracht hatten, zu einem kurzen Streit über den ›Milchkaffee‹ verwendet, von dem Sarah behauptete, dass er das verkehrteste Getränk sei, das sie je gesehen habe, und eine Verschwendung der guten Gaben Gottes, da es die Natur des Kaffees sei, in Wasser gekocht zu werden, und von welchem Mademoiselle behauptete, dass er ein königliches Getränk und tausendmal zu gut sei für die geringe Person, die dagegen stritt.

      Die sich zuvor in der Küche Aufhaltenden begaben sich jetzt in den Salon. Ehe Hortense ihnen dahin folgte, hatte Caroline nur noch Zeit zu der Frage: »Nicht mein Feind, Robert?« Und Moore hatte, Quäkern gleich, mit einer anderen Frage geantwortet: »Wäre das möglich?« Dann hatte er, sich an den Tisch setzend, Caroline an seine Seite Platz nehmen lassen.

      Caroline hörte kaum auf den Ausbruch von Hortenses Zorn, als sie wieder zu ihnen kam. Die lange Deklamation derselben »über die unwürdige Aufführung dieser boshaften Kreatur« klang in ihren Ohren so wirr, wie das lärmende Klappern des Porzellans. Robert lächelte dabei ein wenig auf sehr nachgiebige Weise und versicherte dann seiner Schwester, indem er sie höflich und ruhig bat, sich nicht mehr zu ärgern, dass, wenn ihr dies einige Genugtuung geben könnte, sie unter all den Mädchen in seiner Fabrik sich selbst ihre Bedienung auswählen solle, nur fürchte er, dass ihr schwerlich eine anstehen werde, da die meisten von ihnen, wie man ihm gesagt hatte, gänzlich unwissend in der Haushaltung wären, dagegen Sarah, so lebhaft und eigenwillig sie auch war, vielleicht doch nicht schlechter als die Mehrzahl der Frauen ihrer Klasse sei.

      Mademoiselle gab die Wahrheit dieser Vermutung zu. Ihrer Ansicht nach waren diese »englischen Bäuerinnen samt und sonders unausstehlich«. Was gäbe sie nicht für eine »gute Antwerpener Köchin« mit der hohen Mütze, dem kurzen Unterrock und den sittsamen Holzschuhen, wie sie sich für ihre Klasse gehörten, doch jedenfalls besser als eine unverschämte Kokette in einem mit Volants besetzten Kleid und gänzlich ohne Mütze! (Denn Sarah teilte, wie man sieht, durchaus nicht die Meinung des heiligen Paulus: »Es ist eine Schande für ein Weib, unbedeckten Hauptes zu gehen«, sondern weigerte sich vielmehr, sich zu der entgegengesetzten Doktrin bekennend, aufs Entschlossenste, mit Leinen oder Musselin die vollen Flechten ihres blonden Haares zu verhüllen, das sie gewöhnlich am Hinterkopf mit einem Kamm befestigte und sonntags vorn in Locken trug.)

      »Soll ich’s versuchen und dir ein Antwerpener Mädchen besorgen?« fragte Mr. Moore, der, obgleich finster im öffentlichen Leben, doch sehr freundlich im Privatverkehr war.

      »Schönen Dank dafür!« war die Antwort. »Ein Antwerpener Mädchen würde es hier keine zehn Tage aushalten, da sie von all den jungen Weibsstücken in deiner Werkstatt ausgelacht werden würde.« Dann aber sanfter: »Du bist sehr gut, lieber Bruder, verzeih meine Heftigkeit, doch wahrhaftig, meine Leiden mit dem Gesinde sind gewaltig, obgleich ich glaube, dass sie nun einmal meine Bestimmung sind, denn ich entsinne mich, dass unsere verehrte Mutter Gleiches zu dulden hatte, wenn sie auch unter den besten Mägden von Antwerpen wählen konnte. Dienerschaft ist in aller Herren Länder ein verdorbenes, unbändiges Pack.«

      Mr. Moore hatte auch gewisse Erinnerungen über die Anfechtungen seiner verehrten Mutter. Sie war ihm eine gute Mutter gewesen und er ehrte ihr Andenken, aber er erinnerte sich auch, dass sie ein ebenso strenges Küchenregiment in Antwerpen geführt hatte, wie seine treue Schwester hier in England. Er ließ also diesen Gegenstand fallen und als das Kaffeegeschirr abgeräumt worden war, versuchte er Hortense dadurch zu trösten, dass er ihre Musikalien und Gitarre holte, das Band ihres Instruments mit ruhiger, brüderlicher Freundlichkeit, von der er wusste, dass sie ihre verdrießliche Laune besänftigen werde, um ihren Nacken schlang und sie bat, ihm einige Lieblingsgesänge ihrer Mutter zum Besten zu geben.

      Nichts veredelt so, wie Zuneigung. Familienzwist drückt nieder, Familieneinigkeit erhebt. Hortense, durch ihren Bruder erfreut und ihm dankbar, sah, als sie die Gitarre berührte, wahrhaft bezaubernd, ja fast schön aus. Ihr mürrischer Alltagsblick war für einen Augenblick verschwunden und hatte einem gütevollen Lächeln Platz gemacht. Sie sang die gewünschten Lieder mit Gefühl. Sie erinnerten sie an eine Mutter, der sie wahrhaft ergeben gewesen war. Sie erinnerten sie an ihre jungen Tage. Sie bemerkte auch, dass Caroline mit aufrichtiger Anteilnahme zuhörte. Dies vermehrte ihre gute Laune und der Ausruf am Schluss des Gesanges: »Ich wollte, ich könnte spielen und singen wie Hortense!« vollendete das Werk und machte sie für den ganzen Abend liebenswürdig.

      Allerdings folgte noch eine kleine Predigt an Caroline über die Eitelkeit des ›Wünschens‹ und die Pflicht ›des Versuchens‹. Wie Rom, wurde zu verstehen gegeben, nicht in einem Jahr erbaut worden war, so sei auch Mademoiselle Gérard Moores Erziehung nicht in einer Woche oder durch den bloßen Wunsch, wohlerzogen zu werden, vollendet worden. Nur durch Anstrengungen sei dieses große Werk zustande gekommen. Immer habe sie sich durch ihre Beharrlichkeit und durch ihren Fleiß ausgezeichnet. Ihre Lehrer hatten bemerkt, dass es ebenso entzückend wie ungewöhnlich