noch wahrscheinlicher verlieren.«
Als er die Federn geschnitten hatte, brachte man ein Pferd gesattelt und gezäumt an die Gartentür.
»Da ist mein Ross fertig. Ich muss gehen. Ich will nur noch einen Augenblick nachsehen, was der Frühling bereits an der südwärts gelegenen Grenze getan hat.«
Er verließ das Zimmer und ging in den Garten hinter der Fabrik. Einige Spitzen jungen Grüns und aufgeblühter Blumen, Schneeglöckchen, Krokus, selbst Primeln, blühten im Sonnenschein an den heißen Mauern der Werkstatt. Moore pflückte hier und da eine Blüte, ein Blatt, bis er einen kleinen Strauß beisammen hatte, dann ging er in den Salon zurück, nahm einen seidenen Faden aus dem Arbeitskörbchen seiner Schwester, band die Blumen damit zusammen und legte sie auf Carolines Tischchen.
»Nun, guten Morgen!«
»Vielen Dank, Robert. Das ist wunderschön. Es sieht aus, wenn es so daliegt, wie Funken von Sonnenschein und blauem Himmel. Guten Morgen!«
Er ging an die Tür – hielt an – öffnete die Lippen, als wolle er sprechen, sagte jedoch nichts und ging weiter. Er ging durch die Pforte und bestieg sein Pferd. Nach einer Sekunde sprang er schon wieder aus dem Sattel, übergab Murgatroyd die Zügel und ging wieder ins Cottage.
»Ich hatte meine Handschuhe vergessen«, sagte er, tat, als nähme er etwas vom Seitentisch, und bemerkte dann wie nach einer plötzlichen Eingebung: »Sie haben wohl heute keine bestimmte Beschäftigung, Caroline?«
»Die habe ich nie. Einige Kindersöckchen, die Mrs. Ramsden für den Judenkorb zu stricken bestellt hat. Aber es hat Zeit.«
»Judenkorb – zu verkaufen! Nie wurde ein Gerät zweckmäßiger benannt. Etwas jüdischeres als dieses, seinem Inhalt und seinem Preis nach, kann man sich nicht vorstellen. Aber da sehe ich so ein kleines Schmollen am äußersten Rand Ihrer Lippen, das mir sagt, Sie kennen dessen tatsächlichen Wert ebenso gut wie ich. Lassen Sie also den Judenkorb im Stich und verbringen Sie den heutigen Tag stattdessen hier. Ihr Onkel wird über Ihre Abwesenheit doch nicht traurig sein?« Lächelnd sagte sie: »Oh nein!«
»Der alte Kosak! Ich glaube nicht!« murmelte Moore. »Dann bleiben Sie und speisen mit Hortense zu Mittag. Sie wird große Freude über Ihre Gesellschaft haben. Ich komme zeitig wieder. Abends wollen wir etwas lesen. Der Mond geht nach halb acht auf und um neun Uhr will ich Sie dann in die Pfarrei zurückbegleiten. Ist es Ihnen so recht?« Sie nickte mit dem Kopf und schlug die Augen weit auf.
Moore blieb noch zwei Minuten. Er neigte sich über Carolines Tisch und blickte auf ihre Grammatik. Er ergriff ihre Feder, er hob ihren Strauß auf und spielte mit ihm. Ungeduldig stampfte sein Ross. Murgatroyd räusperte sich und hustete an der Hoftür, als wundere er sich, was in der Welt sein Herr nur zögere.
»Guten Morgen!« sagte Moore nochmals und verschwand endlich.
Als Hortense zehn Minuten später eintrat, stellte sie zu ihrer Verwunderung fest, dass Caroline ihre Aufgabe noch nicht angefangen hatte.
VI – Coriolanus
Mademoiselle Moore hatte an diesem Morgen einen etwas geistesabwesenden Zögling. Caroline vergaß die Erklärungen, die ihr gegeben wurden, immer und immer wieder, doch sie ertrug die Verweise für ihre Unaufmerksamkeit mit Heiterkeit. Im Sonnenschein am Fenster sitzend, schien sie in dessen milder Wärme einen Einfluss zu empfinden, der sie ebenso glücklich wie liebenswürdig machte. So gestimmt sah sie aufs Beste aus, und war eine liebliche Erscheinung.
Die Gabe der Schönheit war ihr nicht völlig versagt. Es war nicht durchaus notwendig, sie zu kennen, um Gefallen an ihr zu finden. Sie war schön genug, um auch auf den ersten Anblick einzunehmen. Ihre Formen passten zu ihrem Alter; sie waren mädchenhaft, leicht und biegsam. Jede Rundung war voller Anmut; jedes Glied im Ebenmaß. Ihr Gesicht war ausdrucksvoll und freundlich, ihre Augen schön und bisweilen von einem gewinnenden Strahlen, das zu Herzen ging, begabt mit einer Sprache, die sanft zum Gemüt redete. Ihr Mund war sehr schön. Sie besaß eine zarte Haut und wundervolles braunes Haar, das sie mit Geschmack zu ordnen verstand. Locken standen ihr sehr gut, und sie hatte sie in malerischem Überfluss. Ihre Art von Kleidung zeigte Geschmack. Sie war sehr wenig auffallend in der Mode, fern von Kostbarkeit im Stoff, aber in der Farbe passend zu dem schönen Teint, von dem diese abstach, und nach der schlanken Form gemacht, die sie umschloss. Ihr derzeitiges Winterkleid war aus Merino, ebenso mild braun wie ihr Haar. Die kleine Krause um ihren Nacken lag über einem dunkelroten Band und war mit einem ebensolchen Knoten befestigt. Eine anderen Schmuck trug sie nicht.
Dies zu Caroline Helstones Äußerem. Was ihren Charakter oder Verstand betraf, so müssen diese zu ihrer Zeit für sich selbst sprechen.
Ihre Verhältnisse sind bald geschildert. Sie war das Kind von Eltern, die sich bald nach ihrer Geburt infolge sich widersprechender Gemütsstimmungen getrennt hatten. Ihre Mutter war die Halbschwester von Mr. Moores Vater. Dadurch, obgleich nicht in eigentlicher Blutsverwandtschaft, war sie im entfernteren Sinne die Cousine von Robert, Louis und Hortense. Ihr Vater war der Bruder von Mr. Helstone. Er war ein Mann von solchem Charakter, dass Freunde keine Sehnsucht haben, sich an ihn zu erinnern, wenn der Tod einmal alle irdischen Beziehungen beigelegt hat. Er hatte seine Frau unglücklich gemacht. Nachrichten über ihn, die völlig begründet waren, hatten denen, die fälschlich über seinen besser gearteten Bruder zirkulierten, einen Anstrich von Wahrscheinlichkeit gegeben. Ihre Mutter hatte Caroline nie gekannt, denn sie war noch als Kind von ihr weggenommen worden und hatte sie seitdem nicht mehr gesehen. Ihr Vater starb verhältnismäßig jung, und ihr Onkel, der Pfarrer, war seit mehreren Jahren ihr einziger Beschützer gewesen. Er war, wie wir gesehen haben, weder von Natur, noch durch Gewohnheit geeignet, die Aufsicht über ein junges Mädchen zu führen. So hatte er sich denn sehr wenig mit ihrer Erziehung beschäftigt, er hätte vielleicht noch nicht einmal dies getan, wenn sie, da sie sich selbst als sehr vernachlässigt erkannte, nicht um ihrer selbst willen Angst bekommen und ihn dann und wann um ein wenig Aufmerksamkeit und um Mittel gebeten hätte, jene Kenntnisse zu erlangen, die doch gänzlich unentbehrlich sind.
Und immer noch hatte sie das drückende Gefühl, dass sie so weit zurückstehe, dass ihre Errungenschaften geringer wären, als die der meisten Mädchen ihres Alters und ihrer Stellung: Sie war daher höchst dankbar für das gütige Anerbieten, das ihre Cousine Hortense ihr bald nach ihrer Ankunft in Hollow’s Mill gemacht hatte, sie das Französische und die Stickerei zu lehren. Mademoiselle Moore fand dagegen ihrerseits Vergnügen an dieser Beschäftigung, weil sie ihr eine Art von Wichtigkeit gab. Sie liebte es, ein wenig über eine gelehrige, obgleich etwas flüchtige Schülerin zu befehlen. So nahm sie sich denn Carolines, wie sie glaubte, als eines noch ungebildeten, ja gänzlich unwissenden Mädchens an, und als sie bemerkte, dass sie schnelle und eifrige Fortschritte machte, schrieb sie es weder deren Talent, noch ihrem Fleiß, sondern lediglich ihrer eigenen, ganz außerordentlichen Lehrmethode zu. Als sie feststellte, dass Caroline, in der Routine noch ungeschickt, dennoch ganz eigene, obgleich ungeregelte, aber doch sehr vielfältige Kenntnisse besaß, verursachte ihr diese Entdeckung kein Erstaunen, denn sie bildete sich ein, dass das Mädchen, ohne es selbst zu wissen, diese Schätze aus ihren Unterrichtungen gesammelt habe. Ja, das glaubte sie selbst dann noch, als sie entdecken musste, dass ihr Pflegling von Gegenständen recht viel wusste, von denen sie sehr wenig wusste. Dieser Gedanke war zwar nicht logisch, doch Hortense hatte vollen Glauben an ihn.
Mademoiselle, die sich selbst ›eines positiven Geistes‹ und einer entschiedenen Vorliebe für trockene Studien rühmte, hielt ihre junge Cousine auch so viel wie nur möglich zu diesen an. Sie machte sie unablässig mit der französischen Grammatik vertraut, und wies ihr als eine nützliche Übung, die sie denken lehre, unaufhörliche ›logische Analysen‹ an. Diese Analysen waren durchaus kein Quell besonderen Vergnügens für Caroline. Sie glaubte, dass sie französisch auch ebenso gut ohne dieselben gelernt haben würde, und bedauerte die Zeit außerordentlich, die sie mit ›propositions, principales, et incidents‹; mit ›incidente déterminative‹ und ›incidente applicative‹, sowie mit Untersuchungen, ob die Proposition ›pleine‹, ›elliptique‹ oder ›implicite‹ sei, zubringen musste. Manchmal geriet sie darüber völlig durcheinander,