wonnereiche Selbstgefälligkeit endlich eingewiegt, nahm sie ihren Strick-strumpf und setzte sich ruhig hin. Zugezogene Vorhänge, ein helles Feuer und eine sanft scheinende Lampe verliehen nun dem kleinen Salon seinen schönsten Abendzauber. Es ist wahrscheinlich, dass die drei darin Befindlichen diesen Zauber fühlten, denn sie sahen alle glücklich aus.
»Was sollen wir nun anfangen, Caroline?« fragte Mr. Moore, zu seinem Sitz am Kamin zurückkehrend.
»Was wir anfangen sollen, Robert?« antwortete sie scherzend. »Entscheiden Sie!«
»Schach spielen?«
»Nein.«
»Oder Dame oder Backgammon?«
»Nein, nein. Wir lieben beide keine stillen Spiele, die bloß die Hände beschäftigen, nicht wahr?«
»Ich sollte meinen. Also ein wenig lästern?«
»Über wen? Nehmen wir hinreichend Interesse an jemand, um ein Vergnügen daran zu finden, seinen Charakter in Stücke zu zerreißen?«
»Das ist eine Gewissensfrage. Ich für meinen Teil – so unfreundlich es auch klingen mag – ich muss sagen: nein.«
»Und ich auch. Aber sonderbar ist es doch, obgleich wir keiner dritten, vierten, wollte ich sagen«, setzte sie hastig mit einem zerknirschten Blick auf Hortense hinzu, »lebenden Person unter uns bedürfen, so selbstsüchtig sind wir in unserer Glückseligkeit, obgleich wir nicht an die Gegenwart zu denken brauchen, so wäre es doch angenehm, in die Vergangenheit zurückzukehren, Menschen zu hören, die Jahrhunderte lang in Gräbern gelegen haben, die jetzt vielleicht keine Gräber mehr sind, sondern Gärten und Felder, wie sie zu uns sprechen und uns ihre Gedanken erzählen und uns ihre Ideen mitteilen.«
»Wer soll der Sprecher sein? Welche Sprache sollen wir sprechen? Die französische?«
»Ihre französischen Vorfahren sprechen nicht so süß, nicht so feierlich, nicht so eindrucksvoll wie Ihre englischen, Robert. Heute sollen Sie ganz englisch sein. Sie sollen ein englisches Buch lesen.«
»Ein altes englisches Buch?«
»Ja, ein altes, eines das Sie lieben, und ich will eine Stelle daraus wählen, die ganz im Einklang mit etwas in Ihnen ist. Sie soll Ihr eigenstes Wesen aufwecken, Ihren Geist mit Mystik erfüllen, soll wie eine geschickte Hand über Ihr Herz streifen und dessen Saiten ertönen lassen. Ihr Herz ist eine Harfe, Robert, aber das Los Ihres Lebens ist kein Sänger gewesen, um sie zu spielen, und sie ist oftmals still. Lassen Sie den glorreichen William nahen und Sie berühren, Sie sollen sehen, wie er die englische Kraft und Melodie Ihren Saiten entlocken wird.«
»Ich soll Shakespeare lesen?«
»Sie sollen seinen Geist vor sich haben, Sie sollen seine Stimme mit den Ohren Ihrer Seele hören, Sie sollen etwas aus seiner Seele in die Ihre aufnehmen.«
»In der Absicht mich besser zu machen: wie eine Predigt zu wirken?«
»Um Sie aufzuregen, um Ihnen neue Gefühle zu geben, um Sie Ihr Leben voll empfinden zu lassen, nicht bloß Ihre Tugenden, sondern auch Ihre Fehler und Verkehrtheiten.«
»Dieu! Que dit-elle!«13 rief Hortense, die bis dahin Maschen in ihrer Strickerei gezählt und nicht allzu sehr auf das, was gesprochen wurde, gehört hatte, deren Ohren aber jetzt diese beiden starken Worte wie mit einer Zange anfassten.
»Lass es gut sein, liebe Schwester. Lass sie immer schwatzen. Lass sie gerade jetzt etwas sagen, das ihr Spaß macht. Sie liebt es manchmal, deinem Bruder etwas zu necken. Das amüsiert mich, lass sie also nur.«
Caroline war auf einen Stuhl gestiegen und hatte im Bücherschrank gesucht. Jetzt kam sie mit einem Buch zurück.
»Hier ist Shakespeare«, sagte sie, »und da ist Coriolanus14. Jetzt lesen Sie, und entdecken Sie durch die Gefühle, die das Lesen in Ihnen wecken, wie niedrig und wie hoch zugleich Sie stehen.«
»Nun, setzen Sie sich näher zu mir und verbessern Sie mich, wenn ich etwas falsch ausspreche.«
»So bin ich dann der Lehrer und Sie mein Schüler?«
»Ainsi, soit-il!«15
»Und Shakespeare ist unsere Aufgabe, die wir studieren werden?«
»Allerdings.«
»Und Sie wollen nicht Franzose, nicht skeptisch und hohnlächelnd sein? Sie wollen es nicht für ein Zeichen von Weisheit halten, sich der Bewunderung nicht hinzugeben?«
»Ich will es nicht.«
»Tun Sie es, so nehme ich Ihnen den Shakespeare weg, und werde mich in mich selbst verkriechen und meine Haube aufsetzen und nach Hause gehen.«
»Setzen Sie sich, ich fange an.«
»Noch eine Minute, wenn du so gut sein willst, Bruder«, unterbrach Mademoiselle.
»Wenn der Herr einer Familie liest, müssen die Damen notwendigerweise nähen. Caroline, liebes Kind, nehmen Sie Ihre Stickerei, Sie können heute Abend noch drei Blumen zu Ende bringen.«
Caroline sah verdrießlich drein. »Ich kann bei Lampenlicht nicht sehen, meine Augen sind angegriffen, und ich kann auch nicht zwei Dinge zugleich tun. Wenn ich sticke, kann ich nicht zuhören, und wenn ich zuhöre, nicht sticken.«
»Fi donc! Quel enfantillage!«16 schalt Hortense. Mr. Moore trat wie gewöhnlich sanft dazwischen.
»Erlaube ihr doch die Stickerei für diesen Abend liegen zu lassen. Ich wünschte, sie wendete ihre ganze Aufmerksamkeit meinem Akzent zu, und um dies zu können, muss sie dem Lesen mit ihren Augen folgen, sie muss mit in das Buch sehen.«
Er legte das Buch nun zwischen sie beide, und seinen Arm über die Lehne von Carolines Stuhl und begann so zu lesen.
Die erste Szene aus ›Coriolanus‹ traf mit brennendem Genuss seinen vernünftigen Geschmack, und je weiter er las, desto begeisterter wurde er. Mit Hingabe trug er die hochmütige Rede des Cajus Marcius an die hungerleidenden Bürger vor. Er sagte nicht, dass er dessen unverständigen Stolz für Recht hielt, aber er schien ihn so zu fühlen. Caroline sah mit sonderbarem Lächeln zu ihm empor.
»Da liegt schon etwas Fehlerhaftes zugrunde«, sagte sie. »Sie haben Mitgefühl mit diesem stolzen Patrizier, der mit seinen ausgehungerten Mitbürgern nicht mitfühlt und sie beleidigt. Nun aber weiter.« Er fuhr fort. Die kriegerischen Passagen erhoben ihn nicht sehr; er sagte das alles wäre nicht zeitgemäß oder sollte es sein; der Geist, der darin vorherrsche, sei barbarisch, aber der Zweikampf zwischen Marcius und Tullus Aufidius entzückte ihn. Als er weiterlas, vergaß er zu kritisieren. Offenbar würdigte er die Kraft der Wahrheit jeder Stelle, und fing an, den engen Bereich seiner privaten Vorurteile zu verlassen, in dem breiten Gemälde der Menschennatur zu schwelgen und die Wahrheit zu fühlen, die jedem Charakter aufgeprägt war, der aus diesen Seiten zu ihm sprach.
Die komischen Szenen las er nicht gut und Caroline nahm ihm das Buch aus der Hand und las sie statt seiner. Aus ihrem Mund schienen sie ihn zu erfreuen, und in der Tat verlieh sie allen eine solche Lebendigkeit, die niemand von ihr erwartet hätte, einer solchen Eindringlichkeit, mit der sie unerwartet und nur für diesen kostbaren Augenblick begabt zu sein schien. Im Vorübergehen mag es bemerkt werden, dass der allgemeine Charakter ihrer Unterhaltung an diesem Abend weder ernst noch scherzend, finster oder freudig, sondern etwas ungeahntes, natürliches, innerliches, eigentümliches war, einmal vorübergegangen, geradeso nicht wieder hervorzubringen war, bald der glänzende Strahl eines Meteors, bald die Farben des Tautropfens, bald die Gestalt oder Färbung der Wolke beim Sonnenuntergang, bald das glitzernde, mannigfache, wogende Kräuseln des Plätschern eines Baches.
Coriolanus in Herrlichkeit. Coriolanus im Unglück. Coriolanus in der Verbannung folgten aufeinander wie Schatten eines vergangenen Riesen. Bei der Vision des Verbannten schien Moores Geist zu verweilen. Er stand am Feuer der Halle des Aufidius, das Bildnis gefallener Größe anschauend, aber noch größer denn je in diesem niederen Stand. Er