Charlotte Bronte

Shirley (Deutsche Ausgabe)


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einen großen Teil des Tages mit Ordnen und Andersordnen und Wiederordnen und Gegenordnen verbrachte) ihr Buch zu Robert ins Kontor zu bringen, und sich die schwere Stelle durch ihn leicht machen zu lassen.

      Mr. Moore besaß einen hellen, ruhigen, eigenen Sinn. Sobald er nur auf Carolines kleine Schwierigkeiten blickte, schienen sie sich unter seinen Augen aufzulösen. In zwei Minuten erklärte er ihr alle. Zwei Worte gaben den Schlüssel zu dem Rätsel. Sie dachte dann, wie viel schneller sie lernen würde, wenn Hortense es ihr auch so beibringen könne! Dann bezahlte sie ihn durch ein bewunderndes und dankbares, mehr zu seinen Füßen als in seine Augen gerichtetes Lächeln, und verließ ungern die Fabrik, um in das Cottage zurückzukehren, und wünschte dann, während sie die Aufgabe vollendete oder die Summe herausrechnete (denn Mademoiselle Moore lehrte sie auch Arithmetik) die Natur hätte sie statt zum Mädchen zum Knaben bestimmt, damit sie Robert bitten könne, sie zu seinem Sekretär zu machen und so mit ihm im Kontor statt mit Hortense im Salon sitzen zu können.

      Gelegentlich – aber nur selten – verbrachte sie auch den Abend in Hollow’s Cottage. Manchmal war Moore während eines solchen Besuchs nicht zugegen, sondern auf einem Markt, manchmal war er zu Mr. Yorke gegangen, oft mit einem männlichen Besuch in einem anderen Salon beschäftigt, aber manchmal war er auch zu Hause, ohne Geschäfte und frei, um mit Caroline sprechen zu können. Wenn dies der Fall war, gingen die Abendstunden wie im Fluge vorüber, waren vorbei, ehe man sie zählen konnte. Kein Zimmer in ganz England war dann so reizend wie der kleine Salon, wenn sich die drei Verwandten darin befanden. Hortense war, wenn sie nicht lehrte, schalt oder kochte, von jeder üblen Laune weit entfernt. Gewöhnlich war sie gegen Abend nachsichtig und freundlich zu ihrer englischen Cousine. Auch gab es ein Mittel sie vergnügt zu stimmen, indem man sie dazu brachte, ihre Gitarre zu nehmen und zu spielen und zu singen. Dann wurde sie ganz freundlich, und da sie sehr geschickt spielte und eine wohltönende Stimme besaß, war es nicht unangenehm ihr zuzuhören, ja, man hätte dies mit großem Vergnügen tun können, wenn ihr förmlicher und selbstbewusster Charakter nicht ebenso ihren Vortrag geregelt hätte, wie er auf ihr Benehmen Einfluss hatte und ihr Äußeres formte.

      Vom Geschäftsjoch ausgespannt, war Mr. Moore wenn auch nicht selbst lebhaft, doch ein williger Zuschauer von Carolines Lebendigkeit, ein gefälliger Zuhörer ihrer Plaudereien, ein bereitwilliger Antwortgeber auf ihre Fragen. Noch etwas charmanter war er, wenn er sich zu ihr setzte, sich zu ihr hinneigte, sie ansprach und anblickte. Aber manchmal war er noch besser als all das, ganz munter, ganz sanft, ganz freundlich.

      Die Folge davon war, dass er am nächsten Morgen ganz gewiss wieder wie erfroren war, und obgleich er in seiner ruhigen Weise an diesen geselligen Abenden Vergnügen zu finden schien, veranlasste er doch selten ihre Rückkehr. Diese Erfahrung war für den unerfahrenen Kopf seiner Cousine ein Rätsel.

      »Hätte ich ein Mittel zur Hand, um glücklich zu sein«, dachte sie, »würde ich dieses Mittel oft anwenden, ich würde es durch Gebrauch glänzend erhalten, und es nicht wochenlang beiseite legen, bis es rostig wird.«

      Doch wagte sie nicht, ihre Theorie praktisch anzuwenden. So sehr sie einen Abendbesuch im Cottage liebte, stattete sie doch nie einen ab, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Oft schlug sie es ab, wenn Hortense sie zum Kommen nötigte, weil Robert es nicht ebenfalls tat, oder wenigstens jene Bitte nur halbherzig unterstützte. Diesen Morgen hatte er zum ersten Mal mit eigenem, ungebetenen Wunsch eine solche Einladung ausgesprochen und es so freundlich getan, dass sie, als sie ihn so sprechen hörte, ein Gefühl von Glückseligkeit hatte, das sie den ganzen Tag über fröhlich stimmte.

      Der Morgen ging wie gewöhnlich vorüber. Mademoiselle verbrachte ihn atemlos geschäftig, indem sie von der Küche zum Salon hin- und herging, Sarah ausschalt und dann wieder Carolines Aufgaben besah oder ihre Lektion abhörte. So glücklich nun auch alles vollbracht sein mochte, so räumte sie das doch nie ein. Es war ihre Maxime, dass Lob sich mit der Würde eines Lehrers nicht vertrage, und dass Tadel in mehr oder weniger unbeschränktem Maß unvermeidlich dazu gehöre. Sie hielt unaufhörliche Verweise, streng oder mild, für durchaus nötig zur Aufrechthaltung ihrer Autorität, und wenn es nicht möglich war, einen Irrtum bei der Lektion zu finden, so war es Gang, Miene, Kleidung oder Haltung des Zöglings, die verbessert werden mussten.

      Der gewöhnliche Lärm kam vom Mittagsessen her, welches sie, nachdem Sarah es endlich in das Zimmer gebracht hatte, auf den Tisch hinschleuderte und dies mit einem Blick, der deutlich sprach: »Solches Zeug habe ich in meinem Leben noch nicht aufgetragen! Es ist kaum gut genug für die Hunde!« Trotz Sarahs Verachtung und Zorn war es recht schmackhaft. Die Suppe war eine Art Erbsenmus, welches Mademoiselle mit schwerem Jammern, dass in dieser unseligen Gegend von England keine feinen Bohnen zu haben wären, zubereitet hatte. Dann kam ein Fleischgericht, unbekannter Natur, aber als ein Mancherlei anzunehmen, eigentümlich mit Brotkrumen bestreut, ganz speziell, obgleich nicht unangenehm gewürzt und in einer Form gebacken; ein sonderbares, doch keineswegs unschmackhaftes Gericht. Seltsam gekochtes Gemüse bildete die Beilage, und eine Fruchtpastete, nach einem Rezept der Madame Gérard, Moores Großmutter, erfunden, und wobei dem Geschmack nach Sirup statt Zucker gebraucht worden war, vollendete das Diner.

      Caroline hatte gegen diese belgische Kocherei nichts einzuwenden, sie hatte sie sogar zur Abwechslung gern, und tat wohl daran, denn hätte sie irgendein Missfallen dabei kundgegeben, hätte dieses ihr Mademoiselles gute Meinung für immer geraubt. Ein wahres Verbrechen hätte viel leichter verziehen werden können, als ein Zeichen der Abneigung gegen diese fremden Gerichte.

      Bald nach Tisch half Caroline ihrer Gouvernante und Cousine in dem oberen Zimmer beim Ankleiden. Hier zu verstehen zu geben, dass der Rock, das Jäckchen und die Papierwickel hässliche Dinge, und nicht vielmehr höchst verdienstvolle Gegenstände wären, wäre ein schweres Verbrechen gewesen. Jeder vorzeitige Versuch ihr Verschwinden zu bewirken, war daher unklug und würde leicht dazu geführt haben, sie während des ganzen Tages beibehalten zu sehen. Sorgfältig daher Klippen und Flugsand vermeidend, gelang es dem Zögling jedoch, dass er unter dem Vorwand eine andere Aussicht zu haben, seine Lehrerin in das obere Stockwerk brachte, und als sie dort einmal im Schlafzimmer war, überredete er sie, dass es der Mühe nicht wert sei, noch einmal zurückzukommen, daher sie denn lieber ihre Toilette jetzt machen möchte. Während nun Mademoiselle eine feierliche Predigt über ihr eigenes unvergleichliches Verdienst, alle Frivolitäten der Mode nicht zu beachten, von sich gab, befreite Caroline sie von dem Jäckchen, zog ihr einen anständigen Rock an, brachte Krause und Haar usw. in Ordnung und machte sie ganz vorstellbar. Die letzten Ausschmückungen hatte Hortense sich jedoch selbst vorbehalten, und diese bestanden aus einem dicken Taschentuch, das um den Hals gebunden wurde, und einer großen schwarzen, mägdeartigen Schürze, die alles verhüllte. Um keinen Preis würde Mademoiselle in ihrem eigenen Haus ohne das dicke Taschentuch und die voluminöse Schürze erschienen sein. Das erste war eine unerlässliche Angelegenheit der Moral – es war geradezu unanständig kein Halstuch zu tragen und das zweite, das Kennzeichen einer echten Hausfrau. Sie schien zu glauben, dass sie dadurch große Ersparnisse in ihres Bruders Einkommen mache. Sie hatte mit eigener Hand Caroline eine ähnliche Garderobe gefertigt und angeboten, und der einzige ernsthafte Streit, den sie je miteinander gehabt hatten, und der noch eine Bitterkeit in der älteren Cousine zurückgelassen hatte, war aus der Weigerung der jüngeren entstanden, sowohl dieses elegante Geschenk anzunehmen als auch Gebrauch davon zu machen.

      »Ich trage ein hochgeschlossenes Kleid und eine Krause«, sagte Caroline, »und würde also ersticken, wenn ich noch ein solches Tuch hinzufügte, meine kurzen Schürzchen verrichten dieselben Dienste wie diese langen. Ich möchte daher nichts daran ändern.«

      Und dennoch würde Hortense durch ihre Halsstarrigkeit sie wahrscheinlich dazu gebracht haben, diese Änderung vorzunehmen, hätte nicht Mr. Moore zufällig einem Streit über dieses Thema zugehört, und entschieden, dass Carolines kleine Schürzchen genügten, und dass nach seiner Meinung, da sie nur noch ein Kind sei, man sie für jetzt mit dem Halstuch verschonen möchte, besonders da ihre Haare so lang wären und fast bis auf die Schultern herabfielen.

      Gegen Roberts Meinung gab es keine Appellation, daher musste seine Schwester nachgeben, aber sie missbilligte die pikante Nettigkeit von Carolines Kostüm, und die damenhafte Grazie ihres Erscheinens, etwas solideres und häuslicheres würde sie ›für viel angemessener‹