Aussicht auf lange und blühende Ranken in Sommertagen gaben. Ein Grasflecken und einige Einfassungen umgrenzten das Haus. Die Einfassungen bestanden jetzt nur aus schwarzem Schlamm, ausgenommen wo in geschützteren Winkeln die ersten Knospen von Schneeglöckchen oder Krokus, grün wie Smaragd, aus der Erde hervorbrachen. Der Lenz war verspätet. Es hatte einen strengen und langen Winter gegeben. Eben war der letzte tiefe Schnee nach dem gestrigen Regen verschwunden, doch leuchteten auf den Hügeln noch weiße Überbleibsel desselben, befleckten die Schluchten und krönten die Gipfel. Der Grasplatz grünte nicht, sondern war bleich geworden, wie das Gras an den Dämmen und unter der Hecke am Weg. Drei lieblich gruppierte Bäume erhoben sich neben dem Haus. Sie waren nicht sehr hoch, da sie aber keine Nebenbuhler in der Nähe hatten, sahen sie beeindruckend und schön aus. Dies war Mr. Moores Heimat. Ein freundliches Nest an Zufriedenheit und Beschaulichkeit, aber auch eines, worin die Flügel der Tatkraft und des Ehrgeizes nicht lange gefaltet bleiben konnten.
Seine Miene bescheidener Bequemlichkeit schien für dessen Besitzer keine besondere Anziehungskraft zu haben. Anstatt geradezu ins Haus zu treten, holte er einen Spaten aus einem kleinen Schuppen und begann in dem Garten zu arbeiten. Eine Viertelstunde lang grub er ununterbrochen, endlich aber öffnete sich ein Fenster und eine weibliche Stimme rief ihm auf Französisch zu: »Eh, bien! Tu ne déjeûnes pas ce matin?«8
Die Antwort wie der übrige Teil der Unterhaltung wurde auch auf französisch geführt.
»Ist das Frühstück fertig, Hortense?«
»Versteht sich, schon vor einer halben Stunde.«
»Dann bin ich auch fertig. Ich habe teuflischen Hunger.« Er warf nun seinen Spaten weg und ging ins Haus. Der enge Gang führte ihn in einen kleinen Salon, wo ein Frühstück bestehend aus Kaffee, Brot und Butter mit der etwas unenglischen Begleitung von Birnenkompott auf dem Tisch stand. Diesen Gerichten saß die Dame, die aus dem Fenster gesprochen hatte, vor. Ich muss sie noch beschreiben, ehe ich weitergehe.
Sie schien etwas älter als Mr. Moore zu sein, sie war vielleicht fünfunddreißig, groß und kräftig. Sie besaß sehr schwarzes Haar, das sich gegenwärtig in Papierwickeln befand. Ihre Wangen waren hochgerötet, ihre Nase klein, ihre Augen ebenso und schwarz. Der untere Teil ihres Gesichts war im Verhältnis zu dem oberen breit, ihre Stirn schmal und etwas gerunzelt. Sie sah einigermaßen verdrießlich, doch nicht bösartig aus. Es lag etwas in ihrem ganzen Aussehen, von dem man fühlte, dass es einen halb ärgern und halb unterhalten werde. Das Sonderbarste war ihre Garderobe, ein wollener Unterrock und ein gestreiftes baumwollenes Jäckchen. Der Unterrock war kurz, und ließ recht gut ein paar Füße und Knöchel sehen, die sehr viel in Bezug auf Symmetrie zu wünschen übrig ließen.
Der Leser wird denken, ich hätte das Bild einer völlig liederlichen Person gezeichnet – doch keineswegs. Hortense Moore (sie war Mr. Moores Schwester) war eine sehr ordentliche und ökonomische Person. Der Unterrock, das Jäckchen und die Papierwickel waren ihr Morgenkostüm, in welchem sie des Vormittags stets gewohnt gewesen war, in ihrem Vaterland ihren Haushalt zu beschicken. Sie hielt es nicht für notwendig, englische Moden anzunehmen, weil sie in England zu leben genötigt war, sondern hing ihren alten belgischen Gebräuchen an, überzeugt, dass es ein Verdienst sei, dies zu tun.
Mademoiselle hatte eine vortreffliche Meinung von sich selbst, eine nicht ganz unverdiente Meinung, denn sie besaß einige gute und hervorragende Eigenschaften, aber sie überschätzte die Art und den Grad dieser Eigenschaften und vergaß es ganz, gewisse kleine Mängel in Abrechnung zu bringen, die ihnen zugesellt waren. Man würde sie nie davon überzeugen können, dass sie vorurteilsvoll und engherzig sei, dass sie es in Hinsicht ihrer eigenen Würde und Bedeutung zu hoch nehme und sich zu leicht durch Kleinigkeiten beleidigt fühle. Aber alles dies traf dennoch zu. Wo aber ihren Ansprüchen auf Auszeichnung nicht entgegengetreten und ihre Vorurteile nicht verletzt wurden, konnte sie gut und freundlich sein. An ihren beiden Brüdern (denn außer Robert gab es noch einen anderen: Gérard Moore) hing sie außerordentlich. Als die einzigen übrig gebliebenen Repräsentanten ihrer in Verfall gekommenen Familie waren beide Personen in ihren Augen fast heilig. Von Louis wusste sie jedoch weniger als von Robert. Er war bereits als Knabe nach England geschickt worden, und hatte seine Erziehung in einer englischen Schule genossen. Da sie nicht dazu geeignet war, ihn für den Handel geschickt zu machen, vielleicht auch sein Naturell nicht dazu nicht neigte, hatte er, als das Verlöschen erblicher günstiger Aussichten es für ihn nötig machten, selbst für sein Glück zu sorgen, die sehr schwere und bescheidene Laufbahn eines Lehrers ergriffen. Er war Unterlehrer in einer Schule geworden, und jetzt wie man sagte, Hauslehrer in einer Familie. Wenn Hortense Louis erwähnte, beschrieb sie ihn als jemand, der Mittel genug gehabt habe, der aber zu zurückhaltend und untätig gewesen war, dagegen war ihr Lob Roberts in anderer Weise weniger angemessen. Sie war sehr stolz auf ihn; sie hielt ihn für den größten Mann in Europa; alles, was er sagte und tat, war in ihren Augen ausgezeichnet, und sie erwartete, dass auch andere ihn nach denselben Gesichtspunkten betrachten sollten. Nichts konnte unverständiger, ungebührlicher und schändlicher sein, als irgendeine Art von Kritik gegen Robert, als höchstens eine solche gegen sie selbst.
Als sich daher Robert an den Frühstückstisch gesetzt und sie ihm zu einer Portion Birnenkompott verholfen und eine tüchtige belgische Butterschnitte bereitet hatte, begann sie in eine Flut von Verwunderung und Schrecken über die Vorgänge der letzten Nacht und die Zerstörung der Maschinen auszubrechen.
»Quelle idée, diese Zerstörung! Was für eine schändliche Tat! Quelle action honteuse! On voyait bien que les ouvriers de ce pays étaient à la fois betes et méchants. C’était absolument comme les domestiques anglais, les servantes surtout: rien d’insupportable comme cette Sarah, par exemple!«9
»Sie sieht aber doch nett und arbeitsam aus«, bemerkte Mr. Moore.
»Sieht aus? Ich weiß nicht wie sie aussieht, und ich sage nicht, dass sie schmutzig oder eitel sei, mais elle est d’une insolence!10 Gestern stritt sie mit mir eine Viertelstunde über das Rindfleischkochen. Sie sagte, ich zerkoche es zu Brei, und ein Engländer würde nie imstande sein, eine Schüssel unseres bouilli zu essen; ebenso sei auch die Bouillon nichts besseres als fettiges warmes Wasser, und was das choucroute11 betreffe, so könne sie es nicht anrühren. Die Tonne, die wir davon im Keller haben – köstlich von meiner eigenen Hand bereitet – nennt sie ein Fass mit Spülwasser, das sich allenfalls für Schweine eigne. Ich bin mit dem Mädchen geplagt, und kann sie doch nicht fortschicken, ohne dass ich vielleicht eine noch Schlimmere bekäme. Du bist in derselben Lage mit deinen Arbeitern, pauvre cher frère!12«
»Es tut mir sehr leid, dass du in England nicht sehr glücklich bist, Hortense.«
»Es ist meine Pflicht, Bruder, da glücklich zu sein, wo du bist, aber zudem gibt es freilich tausend Dinge, die mich meine Vaterstadt vermissen lassen. Alle Welt kommt mir hier schlecht erzogen vor. Ich finde, dass man meine Gewohnheiten für lächerlich hält. Wenn ein Mädchen aus deiner Fabrik zufällig in die Küche kommt und mich in meinem Unterrock und Jäckchen antrifft, wie ich das Essen zubereite – denn du weißt ja, ich kann Sarah nicht eine einzige Schüssel anvertrauen – dann lacht es. Nehme ich eine Einladung zum Tee an, was ich zwei bis drei Mal getan habe, muss ich bemerken, dass ich ganz in den Hintergrund gestellt werde, und nicht die Aufmerksamkeit erhalte, die man mir schuldig ist. Von was für einer vortrefflichen Familie sind die Gérards, wir wissen es, und die Moores auch! Sie besitzen das Recht, einen gewissen Respekt zu fordern, und sich verletzt zu fühlen, wenn er ihnen nicht gewährt wird. In Antwerpen wurde ich stets mit Achtung behandelt, hier aber sollte man glauben, dass, wenn ich den Mund in Gesellschaften auftue, ich mit einem lächerlichen Akzent englisch spreche, obgleich ich doch überzeugt bin, dass ich es vortrefflich spreche.
»Hortense, in Antwerpen kannte man uns als reich, in England galten wir immer nur als arm.«
»Freilich, und so kaufmännisch denken viele. Sieh, lieber Bruder, vorigen Sonntag, wenn du dich noch erinnerst, war es sehr nass, ich ging daher in meinen netten schwarzen Holzschuhen zur Kirche, die man freilich nicht in einer vornehmen Stadt anziehen würde, derer ich mich aber auf dem Land stets bedient habe, um auf schmutzigen Wegen voranzukommen. Glaub’s mir, dass, als ich, ruhig und still wie ich stets bin, durch