können, liebens-, ja selbst bewundernswürdige Charaktere geben konnte. Doch machte er selbst eine Ausnahme von seiner eigenen Regel. Es gab eine gewisse Geistesrichtung, offen, herzlich, Verfeinerung vernachlässigend, unfähig, das, was intellektuell an ihm war, zu würdigen, die aber zugleich bei seiner Rauheit nie Missvergnügen empfand, von seinen Sarkasmen nicht verwundet wurde und seine Reden, Taten oder Meinungen nicht ängstlich analysierte, bei der er sich besonders wohl fühlte und daher besonders gern mit ihr verkehrte. Unter solchen Charakteren fühlte er sich als Herr. Weil sie sich seinem Einfluss wie von selbst unterwarfen, sein Übergewicht nie anerkannten, da sie nie darüber nachdachten, waren sie vortrefflich zu behandeln, ohne doch die geringste Gefahr zu laufen, unterwürfig zu werden, und ihre unbedachte, flüchtige, kunstlose Unempfindlichkeit war ebenso angenehm für Mr. Yorke, weil sie ebenso bequem für ihn war, wie die des Stuhls, auf welchem er saß, und der Diele, aus der er trat.
Man wird bemerkt haben, dass er sich gegen Mr. Moore herzlich zeigte, aber er hatte zwei bis drei Ursachen, eine kleine Vorliebe für diesen Gentleman zu hegen. So sonderbar es auch klingen mag, war doch die erste derselben, dass Moore Englisch mit einem fremden und Französisch mit einem vollkommen reinen Akzent sprach, und dass sein dunkles, mageres Gesicht mit seinen feinen, obgleich etwas verlebten Linien ein sehr antibritisches und anti-yorkshirisches Aussehen hatte. Diese Punkte scheinen kleinlich und fast unfähig, auf einen Charakter wie den Yorkes einen Einfluss auszuüben; doch sie riefen in ihm alte, vielleicht freundliche Erinnerungen an seine Reisen und an seine Jugend hervor. Er hatte in italienischen Städten und Gegenden Gesichter wie das von Moore gesehen. Er hatte in Pariser Cafés und Theatern Stimmen gleich der seinen gehört. Er war damals jung, und wenn er den Fremden sah und hörte, schien er es wieder zu werden.
Zweitens hatte er Moores Vater gekannt und mit ihm zu tun gehabt. Dies war ein substantielleres, aber keineswegs angenehmeres Band, denn da seine Firma mit der Moores Geschäfte getätigt hatte, war er auch gewissermaßen in dessen Verlust verwickelt worden.
Drittens hatte er in Robert einen tüchtigen Geschäftsmann gefunden. Er sah Grund voraus, anzunehmen, dass er durch diese oder jene Mittel endlich zu Vermögen kommen werde, und er ehrte sowohl seine Entschlossenheit, als auch seinen Scharfblick, vielleicht auch seine Strenge. Ein vierter Umstand, der sie zueinander zog, war, dass Mr. Yorke einer der Vormünder der Minderjährigen war, auf deren Gut Hollow’s Mill lag, folglich hatte Moore im Verkehr wegen Veränderungen und Verbesserungen oftmals Gelegenheit, ihn um Rat zu fragen.
Was den zweiten, jetzt im Salon von Mr. Yorke gegenwärtigen Gast betraf, so existierte zwischen diesem und seinem Wirt eine doppelte Antipathie, die der Natur und die der Umstände. Der Freidenker hasste den Formalisten, der Freund der Freiheit verabscheute den Verehrer der Disziplin. Überdies hieß es auch noch, dass sie in früherer Zeit Nebenbuhler bei derselben Dame gewesen seien.
Mr. Yorke war als junger Mann vor allem wegen seiner Vorliebe für aufgeweckte und muntere Frauen bekannt gewesen. Ein auffallendes Äußeres und Benehmen, ein wahrhafter Witz und eine beredte Zunge schienen ihn besonders anzuziehen. Doch machte er keiner von all diesen glänzenden Schönen, deren Gesellschaft er suchte, ernsthafte Anträge und fiel auf einmal in ernsthafte Liebe und eifrige Werbung für ein Mädchen, das der vollständige Kontrast von allen denen war, die er bis jetzt bemerkt hatte, ein Mädchen mit einem Madonnengesicht, ein Mädchen wie lebender Marmor, die personifizierte Stille. Es tat nichts, dass, wenn er mit ihr sprach, sie bloß mit einzelnen Silben antwortete; nichts, dass seine Seufzer ungehört schienen, dass seine Blicke nicht erwidert wurden, dass sie nie auf seine Ansichten einging, selten bei seinen Scherzen lachte, ihm keine Achtung und Aufmerksamkeit zeigte; nichts, dass sie das Entgegengesetzte von allem Weiblichen schien, von dem man wusste, dass er es je in seinem Leben bewundert habe. Für ihn war an Mary Cave alles vollkommen, weil er sie aus irgendeinem Grund – denn er hatte zweifellos einen Grund – liebte.
Mr. Helstone, der damals Hilfsgeistlicher von Briarfield war, liebte Mary auch – oder bewarb sich wenigstens um sie. Verschiedene andere bewunderten sie, denn sie war schön wie ein Engel auf einem Denkmal, aber der Geistliche wurde wegen seines Amtes vorgezogen, weil dieses Amt ihn wahrscheinlich mit einer Art von Talmi-Glanz umgab, der beim Fortschreiten zu einer Heirat notwendig war, und den Miss Cave bei keinem der übrigen Wollhändler, ihren Anbetern, vorfand. Mr. Helstone besaß weder Mr. Yorkes verzehrende Leidenschaft für sie, noch gab er vor, sie zu besitzen. Er zeigte nicht die demütige Verehrung, welche die meisten ihrer Anbeter zu unterjochen schien. Anders als die Übrigen sah er sie eher so, wie sie wirklich war, und war folglich mehr Herr über sie und sich selbst. Sie nahm ihn auf sein erstes Ansuchen an, und sie wurden vermählt.
Die Natur hatte nie die Absicht gehabt, aus Mr. Helstone einen guten Ehemann, besonders für eine sanfte Frau, zu machen. Er glaubte, solange eine Frau still sei, verlangte sie nichts und ihr fehle nichts. Wenn sie sich nicht über Einsamkeit beklagte, konnte die Einsamkeit, so sehr sie auch andauerte, ihr nicht unangenehm sein. Wenn sie nicht sprach und sich vordrängte, eine Vorliebe für dieses und eine Abneigung gegen jenes ausdrückte, besaß sie weder Vorliebe noch Abneigung, und es war unnötig, ihren Geschmack zu befragen. Er erhob keinen Anspruch darauf, Frauen zu verstehen oder sie mit Männern zu vergleichen.
Sie gehörten in eine verschiedene, wahrscheinlich geringere Ordnung der Existenzen. Eine Frau konnte nicht ihres Mannes Gefährtin, noch weniger seine Vertraute, am wenigsten seine Stütze sein. Seine Frau war nach ein bis zwei Jahren in keiner Weise für ihn von großer Wichtigkeit und als sie eines Tages von ihm und dem Leben Abschied nahm, plötzlich, wie er glaubte – denn er hatte ihr Kränkerwerden fast gar nicht bemerkt, – wie andere jedoch glaubten, nach und nach, und in dem Ehebett nur noch eine immer noch schön gebildete Form aus Staub lag, aber kalt und weiß: so fühlte er sein Beraubtsein – wer mag sagen, wie wenig? Aber doch vielleicht mehr, als er es zu bemerken schien, denn er war kein Mann, dem das Leid leicht Tränen abpresste.
Seine trockenen Augen und seine einfache Trauer skandalisierten einen alten Verehrer und ebenso auch eine weibliche Dienerin, die Mrs. Helstone in ihrer Krankheit beigestanden und dabei vielleicht die Gelegenheit gehabt hatte, mehr von dem Wesen der verstorbenen Frau und ihrer Fähigkeit, zu fühlen und zu lieben, kennenzulernen, als deren Gatte selbst. Sie plauderten zusammen über die Verstorbene, erzählten Anekdoten mit Ausschmückungen wegen ihrer auszehrenden Krankheit und deren wahrer oder vermeintlicher Ursache, kurz, sie reizten einander gegenseitig zum Unwillen gegen den harten, kleinen Mann auf, der in einem benachbarten Zimmer über Papieren saß und nicht wusste, welcher Vorwürfe Gegenstand er war.
Mrs. Helstone war kaum unter der Erde, als sich in der Nachbarschaft das Gerücht verbreitete, sie sei an gebrochenem Herzen gestorben. Dieses steigerte sich schnell zu Mitteilungen über unfreundlichen Umgang und endlich über Einzelheiten der harten Behandlung ihres Mannes – Mitteilungen, die völlig unwahr, aber darum nicht minder eifrig aufgenommen wurden. Mr. Yorke vernahm sie auch und glaubte ihnen zum Teil. Schon vorher war er seinem glücklichen Nebenbuhler nicht freundlich gesinnt gewesen. Obgleich er jetzt selbst verheiratet und mit einer Frau verbunden war, die in allen Beziehungen das genaue Gegenteil von Mary Carve war, konnte er doch diese große, fehlgeschlagene Hoffnung seines Lebens nicht vergessen, und als er hörte, dass das, was für ihn so kostbar gewesen war, von einem anderen vernachlässigt, vielleicht sogar missbraucht worden war, entstand in ihm gegen diesen anderen ein tiefer und bitterer Widerwille.
Die Beschaffenheit und Größe dieses Widerwillens kannte Mr. Helstone nur zur Hälfte. Er wusste weder, wie sehr Yorke Mary Carve geliebt hatte und was er bei deren Verlust gefühlt hatte, noch kannte er die Verleumdungen in Bezug auf seine Behandlung gegen sie, die jedermann in der Nachbarschaft vertraut waren, nur nicht ihm. Er glaubte, nur politische und religiöse Verschiedenheiten trennten ihn und Mr. Yorke. Hätte er gewusst, wie die Sache wirklich stand, würde er schwerlich durch irgendein Zureden dazu gebracht worden sein, die Schwelle seines ehemaligen Nebenbuhlers zu überschreiten.
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Mr. Yorke setzte seinen Vortrag an Robert Moore nicht weiter fort. Die Unterhaltung drehte sich bald wieder um allgemeinere Themen, doch noch immer in etwas streitbaren Ton. Der unruhige Zustand des Landes und die verschiedenen, vor Kurzem an Fabrikeigentum verübten Plünderungen boten hinreichenden Stoff zu Meinungsverschiedenheiten, da jeder der drei Anwesenden andere