an. Ich sagte es dir gleich, dass sie sich für diese Gegend als unpassend erweisen würden.«
»Aber, Bruder, es sind ja keine gewöhnlichen Holzschuhe, solche wie sie die Bauern tragen. Es sind schwarze, sag’ ich dir, sehr anständige und reinliche. In Mons und Leure – Städten, die nicht weit von der höchst eleganten Hauptstadt Brüssel entfernt sind – geschieht es sehr selten, dass angesehene Leute etwas anderes tragen, wenn sie im Winter ausgehen. Lass es mich einmal versuchen, durch den Schlamm der flämischen Chausseen mit ein Paar Pariser Pantöffelchen zu waten, und ich würde schön ankommen.«
»Denke nicht weiter an Mons und Leure und an die flämischen Chausseen. Tue in Rom was die Römer tun, und was das Jäckchen und den Unterrock betrifft, so bin ich auch deshalb nicht ganz sicher. Ich sah noch nie eine englische Dame in einem solchen Aufzug. Frag nur Caroline Helstone.«
»Caroline! Ich soll Caroline fragen? Ich sie über meine Bekleidung um Rat fragen? Sie soll mich wohl etwa über alles belehren? Sie ist noch ein Kind!«
»Sie ist achtzehn Jahre alt, oder wenigstens siebzehn. Alt genug, um alles über Unterröcke, Schuhwerk und dergleichen zu wissen.«
»Tu Caroline keinen Schaden, Bruder, ich bitte dich! Miss ihr keine größere Bedeutung bei als ihr zusteht. Jetzt ist sie noch bescheiden und anspruchslos. Lass uns sie so erhalten.«
»Mit der größten Freude. Kommt sie diesen Morgen her?«
»Sie wird um zehn Uhr in ihren französischen Unterricht kommen.«
»Findest du etwa auch, dass sie dich auslacht?«
»Das tut sie nicht. Sie weiß mich besser zu würdigen als irgendjemand hier, aber sie hat auch die beste Gelegenheit mich kennenzulernen, sie sieht, dass ich Erziehung habe, und Kenntnisse und Benehmen und Grundsätze, kurz alles, was zu einer wohlgeborenen und wohlerzogenen Person gehört.«
»Du hast sie also wohl recht sehr lieb?«
»Lieb? Das will ich nicht gerade sagen. Ich bin nicht von der Art sogleich Feuer zu fangen, und folglich kann man sich auf meine Freundschaft umso mehr verlassen. Ich nehme Rücksicht auf sie als meine Verwandte, und auch ihre Lage flößt mir Anteilnahme ein. Ihr Benehmen als mein Pflegekind ist bisher der Art gewesen, dass es die Anhänglichkeit, die aus anderen Ursachen entspringt, eher vermehrt als vermindert hat.«
»Sie benimmt sich beim Unterricht wohl recht gut?«
»Gegen mich sehr, aber du weißt auch, Bruder, dass ich eine Art habe, die geeignet ist, zu große Vertraulichkeit zurückzuweisen, Achtung zu gewinnen und Respekt einzuflößen. Da ich sehr aufmerksam bin, sehe ich sehr deutlich, dass Caroline noch nicht vollkommen ist, dass man bei ihr noch manches vermisst.«
»Schenke mir die letzte Tasse Kaffee ein, und während ich trinke, unterhalte mich mit einer Aufzählung ihrer Fehler.«
»Lieber Bruder, es freut mich sehr, dass du dein Frühstück nach der anstrengenden Nacht, die du durchlebt hast, so gemütlich verzehrst. Caroline fehlt allerdings noch vieles, aber bei meiner bildenden Hand und fast mütterlichen Sorge wird sie wohl immer weiter kommen. Es liegt so etwas in ihr, eine gewisse Zurückhaltung, die mir nicht ganz recht ist, weil sie nicht ganz mädchenhaft und untergeben ist, und dann zeigen sich auch wieder Spuren einer ungezügelten Aufregung in ihrem Wesen, die mich aufregt. Und doch ist sie gewöhnlich sehr ruhig, ja, manchmal zu niedergeschlagen und nachdenklich. Mit der Zeit hoffe ich, sie gleichbleibend gesetzt und sittsam zu machen ohne dabei unerklärlichen Gedanken nachzuhängen. Ich kann alles, was unverständlich ist, nicht leiden.«
»Ich verstehe dich in dieser Beziehung durchaus nicht. Was verstehst du zum Beispiel unter ›ungezügelter Aufregung‹?«
»Vielleicht wird es dir ein Beispiel am besten erklären. Du weißt, dass ich sie oft französische Dichter lesen lasse, damit sie die Aussprache lernt. So hat sie denn nacheinander Corneille und Racine mit großem Eifer und ruhiger Haltung gelesen, wie ich es gern habe. Zuweilen zeigte sie zwar eine Art von Mattigkeit bei der Lektüre dieser geschätzten Autoren, die mehr wie Apathie als ruhige Haltung aussah, und Apathie ist das, was ich bei denen, die die Wohltat meines Unterrichts genießen, durchaus nicht ertragen kann, und noch dazu soll niemand beim Studium klassischer Werke apathisch sein. Neulich gebe ich ihr nun ein Buch mit kurzen, kleinen Gedichten in die Hand. Ich setzte sie ans Fenster, um eins davon auswendig zu lernen, und als ich aufsah, bemerkte ich, wie sie die Blätter ungeduldig umschlug und beim flüchtigen Überlesen der kleinen Gedichte die Lippen verächtlich aufwarf. Ich schalt sie aus. ›Liebe Cousine‹, sagte sie, ›das alles langweilt mich aufs Schrecklichste.‹ Ich sagte ihr, dass sich das gar nicht schicke. ›Aber mein Gott‹, rief sie aus, ›gibt es denn auch nur zwei poetische Zeilen in der französischen Literatur?‹ Nun fragte ich, was sie damit meine, da bat sie mich denn wieder mit angemessener Demut um Verzeihung. Nun war sie lange still. Ich sah sie über dem Buch vor sich hinlächeln. Sie fing an, höchst eifrig zu lernen. Nach einer halben Stunde kam sie, stellte sich vor mich, gab mir das Buch, faltete die Hände, wie ich es ihr immer zu tun vorgeschrieben habe, und fing an, ein kurzes Stück von Chenier, ›Die junge Gefangene‹, aufzusagen. Wenn du die Art und Weise gehört hättest, wie sie das tat, und wie sie, als es geschehen war, noch einige unzusammenhängende Bemerkungen herausstieß, würdest du wissen, was ich unter dem Ausdruck ›ungezügelte Aufregung‹ verstehe. Man hätte glauben sollen, Chenier sei ergreifender als Racine und Corneille. Du, lieber Bruder, wirst bei deinem großen Scharfsinn einsehen, dass diese unangemessene Vorliebe von einem ungezügelten Geist zeugt. Aber sie hat glücklicherweise mich zur Lehrerin. Ich will ihr ein System, eine Methode zu denken, einen Schatz von Ansichten beibringen, will ihr die vollkommene Leitung und Zügelung ihrer Gefühle beibringen.«
»Das tue doch, ja, Hortense. Da kommt sie. Ich dachte, ihr Schatten wäre es gewesen, der eben am Fenster vorüberstreifte.«
»Gewiss, gewiss! Sie kommt immer zu früh – eine halbe Stunde vor der Zeit. – Mein Kind, was bringst du mir denn noch vor dem Frühstück?«
Diese Frage wurde an eine Person gerichtet, die jetzt ins Zimmer trat, ein junges Mädchen, in einen Wintermantel gehüllt, dessen Falten sich nicht ohne Liebreiz um die dem Anschein nach schlanke Gestalt schmiegten.
»Ich eilte, zu sehen, Hortense, wie es Ihnen gehe, und Robert auch. Ich war überzeugt, dass sie beide über das, was in der letzten Nacht geschah, betrübt wären. Ich hörte es erst heute früh. Mein Onkel sagte es mir beim Frühstück.«
»Oh! Es ist unaussprechlich! Sie verstehen uns? Ihr Onkel versteht uns?«
»Mein Onkel ist sehr ärgerlich, aber er war bei Robert, glaube ich, nicht wahr? Ging er nicht mit Ihnen ins Moor von Stilbro’?«
»Ja, wir marschierten in echt kämpferischem Stil aus, Caroline, aber die Gefangenen, die wir befreien wollten, begegneten uns schon auf halbem Weg.«
»Es wurde also niemand verletzt?«
»Nein, bloß Joe Scotts Knöchel wurden ein wenig geschunden, weil ihm die Hände zu fest auf den Rücken gebunden waren.«
»Sie waren nicht mit dabei? Sie waren nicht mit bei den Wagen, als sie angegriffen wurden?«
»Nein, man hat selten das Glück dabei zu sein, wenn man es ganz besonders wünscht.«
»Wo gehen Sie heute Morgen hin? Ich sah Murgatroyd im Hof Ihr Pferd satteln.«
»Nach Whinbury: Es ist Markttag.«
»Mr. Yorke ist auch hingegangen. Ich begegnete ihm in seinem Gig. Kommen Sie mit ihm zurück?«
»Warum?«
»Zwei sind besser als einer, und Mr. Yorke hat keine Feinde, wenigstens nicht unter dem armen Volk.«
»Er würde also für mich, der gehasst wird, ein Schutz sein?«
»Der missverstanden wird, das ist bestimmt das richtige Wort. Sollte man Sie hassen? Sollte man ihn hassen können, Cousine Hortense?«
»Es ist leider nur allzu wahrscheinlich.