Charlotte Bronte

Shirley (Deutsche Ausgabe)


Скачать книгу

Geist des Hasses gegen die gesetzmäßigen Obrigkeiten, die anwachsende Abneigung, Übel, die er für unvermeidlich hielt, geduldig zu ertragen. Die Heilmittel aber, die er verschrieb, waren kräftiges Einmischen der Regierung, genaue Überwachung seitens der Obrigkeit und, wo nötig, schnelle militärische Maßnahmen.

      Mr. Yorke wünschte zu wissen, ob diese Einmischung, Überwachung und Hilfe diejenigen nähren könne, welche hungerten, und denen Arbeit gebe, denen sie fehle und die kein Mensch einstellen wolle. Er leugnete die Idee unvermeidlicher Übel; er sagte, öffentliche Geduld sei ein Kamel, auf dessen Rücken bereits das letzte Bisschen, das es tragen könne, gelegt worden sei und Widerstand folglich zur Pflicht werde. Er betrachtete den weitverbreiteten Geist der Abneigung gegen die öffentlichen Behörden als das vielversprechende Zeichen der Zeit. Er gestand zu, dass die Besitzenden allerdings sehr benachteiligt wären, ihre Hauptlasten seien aber auf sie durch eine »verdorbene, schlechte und blutige« Regierung (dies waren Mr. Yorkes Worte) gehäuft worden. Tollköpfe wie Pitt, Dämonen wie Castlereagh, erbärmliche Idioten wie Perceval wären die Tyrannen, der Fluch, die Verderber ihres Handels. Ihre törichte Beharrlichkeit in einem nicht zu rechtfertigenden, hoffnungslosen, zugrunde richtenden Krieg habe die Nation zu dem gegenwärtigen Schritt geführt. Ihre ungeheuren, erdrückenden Steuern, die schändlichen Kabinettsbefehle, deren Verursacher in den Anklagestand und aufs Schafott gebracht zu werden verdienten, seien es, die wie ein Mühlstein an Englands Nacken hingen.

      »Aber wozu«, fragte er dann, »half nun das Recht, zu sprechen? Welche Hoffnung gab es, dass Vernunft gehört werde in einem Land, das von Königen, Priestern und Adel tyrannisiert werde, wo ein Verrückter dem Namen nach Monarch, ein sittenloser Schwelger der wahre Regent, wo eine solche Beleidigung gegen den gesunden Menschenverstand wie erbliche Gesetzgeber geduldet, wo eine solche Narrheit wie eine Bischofsbank, ein solch anmaßender Missbrauch wie eine gemästete, verfolgungswütige Staatskirche erlaubt und verehrt, wo ein stehendes Heer erhalten und eine Schar fauler Priester und ihre armen Familien vom Fett des Landes ernährt werde?«

      Mr. Helstone stand auf und antwortete, indem er seinen Schaufelhut aufsetzte, wiederum: Im Laufe seines Lebens seien ihm zwei bis drei Beispiele vorgekommen, wo Ansichten dieser Art so lange tapfer behauptet worden seien, wie Gesundheit, Kraft und weltlicher Wohlstand die Mitverschwörer dessen gewesen wären, der sich zu ihnen bekannt hätte; es komme aber eine Zeit für alle, »in der die Hüter des Hauses zittern müssen, in der sie schaudern müssen vor dem, was oben, und Furcht sein muss auf ihrem Weg«7, und diese Zeit sei der Prüfstein der Advokaten der Anarchie und der Rebellion, der Feinde der Religion und der Ordnung. Vor Kurzem sei er an das elende Sterbebett eines der wütendsten Feinde unserer Kirche gerufen worden, um jene Gebete zu lesen, welche diese für die Kranken verordnet hatte. Hier habe er einen Mann siechen sehen, der, von Gewissensbissen gemartert, flehentlich nach einer Möglichkeit gesucht hatte, Buße tun zu können, und doch unfähig war, dies zu tun, obgleich er angstvoll und unter Tränen danach verlangt hatte. Er müsse Mr. Yorke warnen, dass Lästerung gegen Gott und den König eine Todsünde sei und dass es noch so etwas wie das jüngste Gericht gebe.

      Mr. Yorke glaubte vollkommen, dass es so etwas wie das Jüngste Gericht gebe. Wäre es anders, würde man sich schwerlich vorstellen können, wie alle die Schurken, die in dieser Welt zu triumphieren schienen, ungestraft schuldlose Herzen brächen, unverdiente Vorrechte missbrauchten, ein Skandal für jeden ehrwürdigen Beruf wären, dem Armen das Brot vom Munde wegnähmen, den Niederen trotzten und vor Reichen und Stolzen kröchen, ihren Lohn nicht in der Münze, wie sie es verdienten, ausgezahlt erhalten sollten. Doch, setzte er hinzu, wenn er einmal über solche Vorgänge und deren anscheinend glückliche Erfolge auf diesem elenden Brocken von einem Planeten recht niedergedrückt gewesen war, habe er sich jenes alte Buch herbeigeholt (und damit zeigte er auf eine große Bibel im Schrank), es an einer beliebigen Stelle aufgeschlagen und mit Sicherheit einen Vers gefunden, der ihm alles ins rechte Licht gesetzt habe. Er wisse, was jedes Menschen Pflicht sei, ebenso gut, »als ob ein Engel mit großen weißen Flügeln über seine Türschwelle gekommen sei und es ihm gesagt habe«.

      »Sir«, sagte Mr. Helstone und nahm all seine Würde zusammen, »Sir, die größte Kenntnis des Menschen ist, sich selbst zu kennen und die Grenze, wohin seine eigenen Füße schreiten.«

      »Mr. Helstone, Sie werden sich selbst noch erinnern, dass Unwissenheit von den Pforten des Himmels fortgetrieben, durch die Luft getragen und in eine Tür an der Seite des Hügels, wo der Weg zur Hölle hinabgeht, gestoßen wurde.«

      »Genauso sehr, wie ich nicht vergessen habe, Mr. Yorke, dass eitles Selbstvertrauen, das den Weg vor sich nicht sieht, in einen tiefen Abgrund fällt, der von dem Fürsten der Tiefe absichtlich dort gegraben wurde, um eitle prahlerische Toren dort zu fangen, dass sie in ihrem Fall mit ihm zerschmettert werden.«

      Hier aber fiel Mr. Moore ein, der bisher als ein stummer, aber unterhaltener Zuhörer dieses Wortgefechts dagesessen hatte und dessen Gleichgültigkeit gegen das politische Parteigeschwätz des Tages sowie gegen die Klatschereien der Nachbarschaft ihn zu einem unparteiischen, wenn auch teilnahmslosen Richter der Verdienste eines solchen Streites gemacht hatte, und rief: »Sie haben sich nun beide genug gestritten und bewiesen, wie gründlich Sie einander hassen und wie gering Sie voneinander denken. Was mich betrifft, so ist mein Hass gegen die Schurken, die meine Maschinen zerstört haben, noch so vorherrschend, dass ich keinen für meine Privatbekanntschaft und noch weniger für so etwas unbestimmtes, wie eine Konfession oder Regierung, übrig habe. Doch in der Tat, Gentlemen, scheinen Sie mir alle beide, wie Sie sich so zeigen, sehr böse und noch viel schlimmer zu sein, als ich es je von Ihnen glaubte. Ich wage es nicht die ganze Nacht mit einem Rebellen und Gotteslästerer zu verbringen, wie Sie, Yorke, und auch ebenso ungern mit einem grausamen und tyrannischen Geistlichen nach Hause reiten, wie Sie, Mr. Helstone.«

      »Und doch gehe ich, Mr. Moore«, sagte der Pfarrer ernst. »Kommen Sie mit mir oder nicht, ganz nach Belieben.«

      »Nein, er soll keine Wahl haben, er muss mit Ihnen gehen«, versetzte Yorke. »Mitternacht ist vorüber und ich dulde niemanden länger in meinem Haus. Sie müssen alle fort!« Und damit läutete er.

      »Tobias«, sagte er zu dem eintretenden Diener, »leuchte den Leuten aus der Küche, schließe die Türen und geh zu Bett. Da hinaus, Gentlemen!« fuhr er zu seinen Gästen gewandt fort und leuchtete ihnen durch den Gang, wo er sie dann höflich zum Haupttor hinausschob.

      Sie trafen ihre Leute, die von der Rückseite des Hauses gelaufen kamen. Ihre Pferde standen am Tor. Sie stiegen auf und ritten fort. Moore lachte über ihre schnelle Abfertigung, Helstone war darüber sehr empört.

      V – Hollows’s Cottage

      Moore war noch gut aufgelegt, als er am nächsten Morgen aufstand. Er und Joe Scott hatten die Nacht in der Fabrik verbracht, sich gewisser Schlafbequemlichkeiten bedienend, die sich in dem vorderen und hinteren Kontor vorfanden. Moore, der immer früh aufzustehen pflegte, war dieses Mal noch früher auf als gewöhnlich. Er weckte die Seinen, indem er beim Anziehen ein französisches Lied sang.

      »Sie sind also nicht verdrießlich, Master?« rief Joe.

      »Nicht im Mindesten, mon garçon, was heißt – mein Junge! Steh auf und mach mit mir einen Gang durch die Fabrik, bevor die anderen hereinkommen, dabei will ich dir von meinen zukünftigen Plänen berichten. Wir werden die Maschinen doch noch bekommen! Du hast wohl noch nie etwas von Bruce gehört?«

      »Und der Spinne? Oh ja! Ich habe die Geschichte von Schottland gelesen, und weiß vielleicht ebenso viel davon wie Sie. Ich merke also, dass Sie damit sagen wollen, dass Sie es doch durchsetzen werden!«

      »Das will ich auch.«

      »Gibt es denn viele so wie Sie in Ihrem Land?« fragte Joe, als er sein provisorisches Bett zusammenfaltete und wegtrug.

      »In meinem Land? Welches ist denn mein Land?«

      »Ja nun, Frankreich. Ist es nicht so?«

      »Durchaus nicht. Der Umstand, dass die Franzosen sich Antwerpens bemächtigt haben, wo ich geboren wurde, macht mich noch nicht zum Franzosen.«

      »Also