dies vorüber war und sie im Salon der Pfarrei allein war, wo sie ihren Onkel bei seinem gemischten Glas Portwein gelassen hatte, war die Schwierigkeit, die sie überkam und in Verlegenheit setzte, folgende: ›Wie soll ich diesen Tag verbringen?‹
Gestern Abend hatte sie gehofft, der vergangene Tag werde sich wiederholen, dieser Abend würde auch im Glück und bei Robert verfliegen. Am heutigen Morgen hatte sie ihr Missverständnis erkannt und doch konnte sie damit nicht übereinstimmen, obgleich sie überzeugt war, dass kein Umstand eintreten werde, der sie nach Hollow’s Mill zurückrufen oder Moore wieder in ihre Gesellschaft bringen könne.
Er war sonst nach dem Tee mehr als einmal heraufgekommen, um mit ihrem Onkel eine Stunde zu verbringen; die Türglocke hatte geklingelt, man hatte seine Stimme im Gang in der Dämmerung gehört, gerade als sie am wenigsten ein solches Vergnügen erwartet hatte. Zweimal war dies geschehen, nachdem er sie mit besonderer Zurückhaltung behandelt hatte, und obwohl er nur selten in ihres Onkels Gegenwart mit ihr sprach, hatte er doch lange auf sie geblickt, als er während seines Dableibens ihrem Arbeitstisch gegenüber gesessen hatte. Die wenigen Worte, die er mit ihr gesprochen hatte, waren tröstlich, seine Art, ihr gute Nacht zu sagen, herzlich. Nun könnte er auch diesen Abend kommen, sagte die falsche Hoffnung. Sie wusste recht gut, dass es eine falsche Hoffnung war, die ihr dies zuflüsterte, aber sie hörte ihr dennoch zu.
Sie versuchte zu lesen – aber ihre Gedanken schweiften umher. Sie versuchte zu nähen – jeder Stich war Langeweile, diese Beschäftigung war völlig unerträglich. Sie öffnete ihren Schreibtisch und versuchte eine französische Aufgabe zu schreiben – sie schrieb nichts als Unsinn.
Plötzlich wurde die Türglocke heftig geläutet; ihr Herz klopfte, sie sprang auf, zu der Tür des Salons, öffnete sie leise und blickte durch die Öffnung. Fanny ließ einen Besucher herein – einen Herrn – einen langen Mann, gerade von Roberts Größe. Eine Sekunde lang glaubte sie, er sei es. Eine Sekunde lang jubelte sie. Aber die Stimme, die nach Mr. Helstone fragte, enttäuschte sie. Es war die Stimme eines Iren, folglich nicht Moores, sondern des Hilfsgeistlichen Malone. Er wurde ins Speisezimmer geführt, wo er ohne Zweifel eiligst dem Pfarrer die Flaschen leeren half.
Es war eine bemerkenswerte Sache, dass, wenn nur in ein Haus zu Briarfeld, Whinbury oder Nunnely ein Hilfsgeistlicher zum Frühstück, Mittagsessen oder Tee kam, auch sogleich ein zweiter folgte, ja sogar oft noch ein dritter.
Nicht als ob sie einander ein Stelldichein gegeben hätten, sie waren jedoch alle gewöhnlich zu gleicher Zeit unterwegs und wenn z. B. Donne Malone in seiner Wohnung aufsuchte und ihn nicht fand, fragte er, wohin dieser gegangen sei, und wenn er es von der Hausfrau erfuhr, eilte er sogleich hastig hinter ihm her. Derselbe Fall trat dann auf dieselbe Art mit Sweeting ein. So kam es, dass an diesem Nachmittag Carolines Ohren mit dem Ertönen der Glocke und der Ankunft unersehnter Gäste gequält wurden, denn auf Malone folgte Donne und auf diesen Sweeting und es musste mehr Wein aus dem Keller in das Speisezimmer gebracht werden (denn obgleich der alte Helstone den geringeren Geistlichen heftig schalt, wenn er ihn ›beim Zechen‹, wie er es nannte, in seiner eigenen Wohnung fand, war er doch stets gern bereit, ihn an seinem hierarchischen Tisch mit einem Glas vom Besten zu bewirten) und durch die geschlossenen Türen hörte Caroline ihr kindisches Gelächter und das leere Geschwätz ihrer Stimmen. Sie fürchtete nur, dass sie zum Tee bleiben könnten, denn sie fand kein Vergnügen daran, für dieses eigentümliche Trio den Tee zuzubereiten. Welch ein Unterschied! Dies waren auch Männer – junge Männer – Männer, erzogen wie Moore, doch wie groß für sie der Unterschied gegen diesen! Ihre Gesellschaft war eine Last – die seine eine Wonne!
Nicht allein mit dieser geistlichen Gesellschaft sollte sie beglückt werden, das Schicksal brachte ihr in diesem Augenblick noch vier andere Gäste – weibliche Gäste, alle in einem Pony-Phaeton sitzend, der jetzt etwas schwerfällig auf dem Weg von Whinbury herbeirollte. Eine ältliche Frau und drei ihrer munteren Töchter waren, wie es Brauch in dieser Gegend war, gekommen, um sie einmal freundschaftlich zu besuchen. Als die Glocke zum vierten Mal geläutet hatte, brachte Fanny sie mit der Bemerkung in den Salon:
»Mrs. Sykes und die drei Misses Sykes.«
Wenn Caroline Gesellschaft empfing, war sie gewohnt, die Hände fast krampfhaft zu ringen, etwas rot zu werden und eiligst, aber doch zögernd, herbeizukommen, sich selbst aber weit weg zu wünschen. Bei solchen Gelegenheiten fehlte ihr noch viel an feinem Benehmen, obgleich sie früher ein Jahr in der Schule gewesen war. Auch dieses Mal erwartete sie, aufstehend und ihre kleinen weißen Hände traurig einander misshandelnd, den Eintritt der Mrs. Sykes.
Herein stolzierte diese Dame, eine lange, gallige Frau, die ihre Frömmigkeit theatralisch, jedoch nicht immer aufrichtig zur Schau stellte, und die der Gastfreundlichkeit gegen die Geistlichkeit sehr ergeben war. Herein segelten ihre drei Töchter, ein stattliches Trio, da sie alle drei wohlgewachsen waren und mehr oder weniger hübsch.
Zu englischen Damen vom Land muss man wohl Folgendes bemerken. Ob jung oder alt, schön oder hässlich, albern oder geistreich, alle – oder doch fast alle – haben einen gewissen Ausdruck in ihren Zügen, der zu sagen scheint: »Ich weiß es – ich brüste mich auch nicht damit – aber ich weiß es, dass ich das Muster bin von alledem was anständig ist, daher möge jeder, dem ich mich nähere oder der sich mir nähert, mich genau betrachten, denn worin er sich von mir unterschiedet – möge es Kleidung, Benehmen, Ansicht oder Adel sein – darin ist er offenbar falsch.«
Weit davon entfernt Ausnahmen dieser Bemerkung zu sein, waren Mrs. und Misses Sykes ausgesprochene Bestätigungen von deren Wahrheit. Miss Mary, ein gut aussehendes, gut meinendes, und im Ganzen gut geartetes Mädchen, präsentierte ihre Selbstgefälligkeit mit einigem Stolz, doch ohne Härte. Miss Harriet – eine Schönheit – tat es aufdringlicher, sie blickte vornehm und kalt umher. Miss Hannah, die eingebildet, frech und vorlaut war, gab die ihre offen und mit Absicht preis. Die Mutter zeigte sie mit dem Ernst, der zu ihrem Alter und ihrem religiösen Ruf passte.
Der Empfang ging nun seinen Gang. Caroline ›war erfreut sie zu sehen‹ (eine unumgängliche Notlüge) hoffte, dass sie sich wohl befänden, hoffte, dass Mrs. Sykes Husten besser geworden sei (diesen Husten hatte Mrs. Sykes bereits seit zwanzig Jahren) hoffte, dass die Misses Sykes ihre Schwestern zu Hause wohl verlassen hätten. Darauf antworteten die Misses Sykes, auf drei Sesseln dem Musikschemel gegenüber sitzend, auf dem Caroline unbeabsichtigt vor Anker gegangen war, nachdem sie einige Sekunden zwischen diesem und einem weiten Lehnstuhl geschwankt hatte, welchen, wie sie sich nach einer kurzen Pause erinnerte, sie doch Mrs. Sykes hätte anbieten müssen – und tatsächlich hatte die Dame ihr die Mühe erspart, indem sie sich selbst dorthin gesetzt hatte – jene drei Misses Sykes antworteten mit einer gleichzeitigen, sehr majestätischen und überaus ehrerbietigen Verbeugung. Es folgte eine Pause. Jene Verbeugung war von einem Charakter, der für die nächsten fünf Minuten Stillschweigen gebot, und dieses erfolgte auch. Mrs. Sykes erkundigte sich nun nach Mr. Helstone, und ob er wieder einen Anfall von Rheumatismus gehabt hätte, und ob das zweimalige Predigen an einem Sonntag ihn nicht ermüde, und ob er imstande sei, den vollen Dienst jetzt zu verrichten, und als dies versichert wurde, drückten sie und alle ihre Töchter im Chor vereint ihre Ansicht aus, dass er ›ein Wunder in seinen Jahren sei.‹
Zweite Pause.
Miss Mary ergriff nun das Wort und fragte, ob Caroline der Versammlung der Bibelgesellschaft beigewohnt habe, die am vorigen Donnerstagabend in Nunnely gehalten worden sei. Die verneinende Antwort, welche Caroline die Wahrheitsliebe abnötigte – denn sie hatte vergangenen Donnerstagabend zu Hause gesessen und eine Novelle gelesen, die Robert ihr geliehen hatte – rief einen gleichzeitigen Ausdruck der Verwunderung auf die Lippen der vier Damen.
»Wir waren alle da«, sagte Miss Mary, »Mama und wir alle. Wir überredeten sogar Papa zu gehen. Hannah bestand darauf. Aber als Mr. Langweilig, der deutsch-mährische Geistliche, sprach, fiel er in Schlaf. Ich schämte mich sehr, denn er nickte vor sich hin.«
»Und Dr. Broadbent war auch da«, rief Hannah, »und wie vortrefflich er sprach! Man hätte es gar nicht erwarten sollen, denn er sieht sonst ganz ordinär aus.«
»Aber er ist ein so lieber Mann«, unterbrach Mary.