Charlotte Bronte

Shirley (Deutsche Ausgabe)


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doch das Nötige?« sagte Mr. Moore.

      »Oho! Es ist alles in Ordnung.«

      Nun begann er wieder zu pfeifen, und Mr. Moore fuhr fort zu lesen. Die Zeitung war zweifellos interessanter geworden, doch wandte er sich jetzt zu seinem Speiseschrank, den er mit seinen langen Armen erreichen konnte, öffnete ihn, ohne aufzustehen, nahm eine schwarze Flasche – dieselbe, die er zu Mr. Malones Besten hervorgeholt hatte –, einen Tummler und einen Krug heraus, setzte sie auf den Tisch und sagte zu seinem Gast: »Bedienen Sie sich selbst. Wasser ist dort in der Ecke.«

      »Ich glaube nicht, dass davon viel nötig sein wird, denn früh morgens ist jedermann durstig«, sagte der in Flanell gekleidete Mann, stand auf und tat, wie verlangt.

      »Wollen Sie nicht ebenfalls zugreifen, Mr. Moore?« fragte er, nachdem er mit geschickter Hand eine Portion gemischt, sie mit einem tiefem Zug getrunken hatte und sich nun gesättigt und zufrieden in seinen Sessel lehnte. Moore antwortete wortkarg durch eine verneinende Bewegung und Gemurmel.

      »Tun Sie es doch!« fuhr der Besucher fort. »Es wird Sie ermuntern. Ganz vortrefflicher Holländer! Sie bekommen ihn wohl von fremd her? Nicht wahr?«

      »Ja.«

      »Folgen Sie meinem Rat und trinken Sie ein Glas. Sie werden noch viel zu reden haben, und wer weiß, wie lang. Sie werden ein Schlückchen brauchen.«

      »Haben Sie diesen Morgen Mr. Sykes gesehen?« fragte Moore.

      »Ich sah ihn vor einer halben Stunde – nein – vor – vor einer Viertelstunde etwa, als ich eben fortging. Er sagte mir, er wollte auch herkommen, und ich wunderte mich, dass der alte Helstone noch nicht da ist. Ich fand ihn, wie er sein kleines Pferd sattelte, als ich hinter der Pfarrei vorbeikam.«

      Der Sprechende war ein echter Prophet, denn keine fünf Minuten später hörte man schon den Trapp des kleinen Pferdchens im Hof. Es hielt an, und eine wohlbekannte, näselnde Stimme rief: »Bursche (zweifellos an Harry Scott gerichtet, der sich gewöhnlich von neun Uhr früh bis nachmittags um fünf im Hof aufhielt) »nimm mein Pferd und bring es in den Stall.«

      Helstone trat ein, flinker und gerader marschierend und brauner, eifriger und lebhafter aussehend als gewöhnlich.

      »Ein schöner Morgen, Moore! Wie geht’s Ihnen denn? Ei, wen haben wir denn hier?« (sich zu der Person mit dem Stab wendend) »Sugden! Wie? Sie gehen gerade ans Werk? Wahrhaftig, das nenne ich keine Zeit verlieren! Aber ich muss mir erst Erklärungen erbitten. Ihre Botschaft wurde mir ausgerichtet. Wissen Sie aber auch gewiss, dass Sie auf dem rechten Weg sind? Wie wollen Sie denn die Sache nun angehen? Haben Sie einen Verhaftungsbefehl?«

      »Sugden hat ihn.«

      »Wollen Sie ihn also jetzt aufsuchen? Ich begleite Sie.«

      »Sie können sich diese Mühe ersparen. Er kommt selbst hierher. Ich sitze eben deshalb jetzt hier in meinem Herrschersitz, um seine Ankunft zu erwarten.«

      »Und wer ist es denn? Eines meiner Kirchkinder?«

      Unbemerkt war Joe Scott eingetreten. Er stand jetzt wie eine finstere Erscheinung da, da er zur Hälfte in tiefstes Indigo gefärbt war, und lehnte sich an den Tisch. Seines Herrn Antwort auf des Pfarrers Frage bestand in einem Lächeln. Er ergriff also das Wort, warf einen ruhigen, aber listigen Blick auf den Pfarrer und sagte:

      »Es ist einer Ihrer Freunde, Mr. Helstone. Ein Herr, von dem Sie oft sprechen.«

      »Wahrhaftig? – Sein Name, Joe! Du siehst an diesen Morgen gut aus!«

      »Bloß der ehrwürdige Moses Barraclough. Sie nennen ihn ja manchmal den Tonnen-Redner, wenn ich nicht irre.«

      »Ah!« rief der Pfarrer, zog seine Tabaksdose heraus und nahm eine sehr lange Prise. »Das hätte ich mir doch nicht träumen lassen! Der fromme Mann war doch nie einer Ihrer Arbeitsleute, Moore? Er ist ein Schneider von Profession.«

      »Umso mehr bin ich gegen ihn aufgebracht, dass er sich unter meine abgedankten Leute gemischt und sie aufgewiegelt hat.«

      »Und Moses ist wirklich bei der Geschichte am Stilbro’ Moor dabei gewesen? – Er mit seinem hölzernen Bein?«

      »Oh, Sir!« versetzte Joe. »Er kam zu Pferd dorthin, sodass man sein Bein nicht bemerkte. Er war der Anführer und hatte eine Maske. Die Übrigen hatten sich die Gesichter nur schwarz gefärbt.«

      »Und wie kam man auf ihn?«

      »Das will ich Ihnen sagen, Sir!« sagte Joe. »Der Herr schwatzt nicht gern viel, ich aber rede gern ein Wörtchen. Er machte Sarah den Hof, Mr. Moores Dienstmädchen, und es schien, als ob sie sich nicht eben mit ihm einlassen wolle, mochte ihr nun sein hölzernes Bein nicht gefallen, oder hatte sie etwas davon bemerkt, dass er ein heimlicher Jünger ist. Dessen ungeachtet (denn die Weiber sind närrische Dinger, was wir wohl unter uns sagen können, da keines dabei ist) hatte sie ihn, trotz seines Beines und seiner Heuchelei, ermutigt – bloß um einen Zeitvertreib zu haben. Ich habe viele gekannt, die es auch so machen, und manche von den besten und schönsten. Ich habe feine, blutjunge Dinger gesehen, die so treuherzig und ohne Falsch aussahen wie Gänseblümchen, und dennoch zeigte es sich mit der Zeit, dass sie nur brennende, giftige Nesseln waren.«

      »Joe ist ein sehr gefühlvoller Bursche«, versetzte Helstone.

      »Sarah hatte jedoch noch eine anderen Pfeil in ihrem Köcher. Fred Murgatroyd hat sie gern, und da Frauen Männer nach ihren Gesichtern beurteilen und Fred ein hübsches Gesicht hat, während Moses bei Weitem nicht so hübsch ist, wie wir alle wissen, ließ sich das Mädchen mit Fred ein. Etwa vor zwei bis drei Monaten begegneten Murgatroyd und Moses einander in einer Sonntagnacht. Sie hatten sich beide um das Gehöft hier herumgetrieben, um Sarah zu bereden, ein bisschen mit ihnen spazieren zu gehen. Sie gerieten aneinander, hatten einen Rauferei und Fred wurde verwundet, denn er ist jung und klein und Barraclough, obgleich er nur ein Bein hat, doch fast so stark ist wie Sugden hier. Nun, jeder, der ihn bei einem Festessen oder einer Verlobung brüllen hört, weiß, dass er kein Schwächling ist.«

      »Joe, du bist unausstehlich!« rief hier Mr. Moore aus. »Du spinnst deine Erklärung aus, wie Moses seine Predigten. Der langen Rede kurzer Sinn ist, dass Murgatroyd und Barraclough eifersüchtig waren und vergangene Nacht, als jener und ein Freund in einer Scheune vor einem Regenschauer Zuflucht suchten, hörten sie Moses mit einigen seiner Vertrauten sich darin besprechen. Aus ihrem Gespräch wurde klar, dass dieser nicht nur der Anführer beim Stilbro’ Moor, sondern auch bei dem Überfall auf Sykes Eigentum gewesen war. Ja, noch mehr, sie planten eine Delegation, mit dem Schneider an der Spitze, die heute Morgen zu mir kommen und mich in dem gottesfürchtigsten und friedlichsten Sinne bitten sollte, die verfluchten Dinger wegzuschaffen. Diesen Morgen ritt ich nach Whinbury, erhielt einen Constabler und einen Verhaftungsbefehl und warte nun darauf, meinen Freunden den Empfang angedeihen zu lassen, den sie verdienen. – Da kommt Sykes. Mr. Helstone, Sie müssen ihn aufstacheln. Er ist noch zu furchtsam bei dem Gedanken an Verfolgung seines Rechts.«

      Man hörte einen Gig in den Hof rollen. Mr. Sykes trat ein. Ein großer, starker Mann von etwa fünfzig Jahren, behäbigen Gesichtszügen, aber schwächlicher Physiognomie. Er sah ängstlich aus.

      »Sind sie dagewesen? Sind sie wieder fort? Haben Sie sie bekommen? Ist alles vorbei?« fragte er.

      »Noch nicht«, erwiderte Moore phlegmatisch. »Wir warten noch auf sie.«

      »Sie werden gar nicht kommen; es ist bald neun Uhr. Geben wir es nicht lieber auf? Es wird eine schlechte Wirkung haben – einen Auflauf – vielleicht unangenehme Folgen haben.«

      »Sie brauchen sich ja gar nicht sehen zu lassen«, sagte Moore. »Ich will sie im Hof empfangen, wenn sie kommen. Sie können hierbleiben.«

      »Aber mein Name muss denn doch in dem Prozess vorkommen. Weib und Familie, Mr. Moore, Weib und Familie machen einen Mann vorsichtig.«

      Moore sah unwillig aus. »Gehen Sie, wohin es Ihnen beliebt«, sagte er. »Überlassen Sie mich mir selbst. Ich habe gar nichts dagegen, allein zu bleiben. Nur dessen seien Sie