in einem Fall entschieden, dass ein Arzt in einer Notstandssituation aufgrund seiner Garantenstellung verpflichtet war, die ärztliche Schweigepflicht zu brechen. Im entschiedenen Fall stellte das OLG Frankfurt am Main fest, dass der Arzt bei einer HIV-Infektion verpflichtet war, den Partner des infizierten Patienten über die Erkrankung aufzuklären, da sich der infizierte Patient in Bezug auf die Aufklärung seines Partners uneinsichtig zeigte und sich der Partner ebenfalls bei dem betreffenden Arzt in Behandlung befand.130 Der Arzt hatte somit dadurch, dass er auch die Behandlung des Partners des infizierten Patienten übernommen hatte, eine besondere Gefahrabwendungspflicht gegenüber dem Partner.
Weitere Urteile liegen zu dieser Thematik bislang allerdings nicht vor, sodass eine weitere Typisierung von Fallgestaltungen, in denen eine Pflicht zur Nichtbeachtung der ärztlichen Schweigepflicht aufgrund einer Garantenstellung besteht, schwierig ist. Grundsätzlich wird aber ein behandelnder Arzt in Fällen akuter Lebensgefahr verpflichtet sein, seine Schweigepflicht in dem Umfang zu brechen, wie es erforderlich ist, um die drohende Gefahr vom Patienten abzuwenden. Dies gilt auch in Bezug auf die Anzeige möglicher Straftaten, von denen eine Bedrohung ausgeht.
8.2.2 Nichtanzeige geplanter Straftaten
Eine Pflicht zur Anzeige geplanter Straftaten besteht außerdem gemäß § 138 StGB.131 Sie bezieht sich aber nur auf die in § 138 StGB genannten Straftaten, also unter anderem Mord, Totschlag, Völkermord, Straftaten gegen die persönliche Freiheit, Raub oder räuberische Erpressung. Die Anzeigepflicht beginnt, wenn der Arzt oder Krankenhausmitarbeiter glaubhaft von der Ausführung einer der genannten Straftaten erfährt, ein bloßes Gerücht oder eine Vermutung verpflichten noch nicht zur Anzeige.132 Darüber hinaus ist ein Arzt gemäß § 139 Abs. 3 Satz 2 StGB grundsätzlich nicht verpflichtet etwas anzuzeigen, was ihm in seiner Eigenschaft als Arzt anvertraut worden ist, sofern er sich ernsthaft bemüht hat, den Täter von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden. Diese Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten gilt allerdings nicht für Mord und Totschlag, Völkermord, erpresserischen Menschenraub, Geiselnahme oder einen Angriff auf den Luft- und Seeverkehr durch eine terroristische Vereinigung. Außerdem ist die Sonderregelung des § 139 Abs. 3 StGB nur auf die dort genannten Personen anwendbar (Rechtsanwälte, Verteidiger, Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten). Die Regelung gilt aber im Krankenhaus beispielsweise auch für das Krankenpflegepersonal und andere Mitarbeiter, da § 139 StGB auch bei den berufsmäßigen Gehilfen der oben genannten Personen und die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätigen Personen Anwendung findet.133
Der Arzt ist jedoch nicht berechtigt, die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, wenn ihm der Patient während der Behandlung gesteht, dass er ein schweres Verbrechen (z. B. Mord, Vergewaltigung etc.) bereits begangen hat. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 138 StGB, wonach nur bevorstehende Straftaten anzuzeigen sind.134
9 Verhalten bei Verdacht auf Kindesmisshandlung
Ärzte stehen darüber hinaus immer wieder vor der Frage, ob sie berechtigt oder sogar verpflichtet sind, beim Verdacht auf Vorliegen einer Kindesmisshandlung das Jugendamt und/oder die Polizei zu informieren, um weiteren Schaden von einem betroffenen Kind abzuwenden.
Bei einem Verdacht auf Kindesmisshandlung ist eine Weitergabe von Patientendaten an die zuständigen Behörden zum Schutz der Gesundheit und gegebenenfalls sogar des Lebens eines betroffenen Kindes grundsätzlich anerkannt.135 Die Weitergabe von Informationen an die zuständigen Behörden auf der Grundlage von § 34 StGB ist aber im Einzelfall nur gerechtfertigt, wenn eine Wiederholungsgefahr besteht. Zu reinen Strafverfolgungszwecken darf die Schweigepflicht nicht gebrochen werden.136 Ärzten stellt sich zudem in jedem Einzelfall die Frage, wie weitreichend ihre Verdachtsmomente sein müssen, bevor sie die zuständigen Behörden einschalten dürfen. Können z. B. betroffene Eltern Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn sich ein Verdacht später nicht bestätigt oder eine Misshandlung zumindest nicht nachgewiesen werden kann, aber trotzdem ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde? Die Rechtsprechung hat hierzu bislang wie folgt entschieden:
9.1 Schwerwiegende lebensbedrohliche Verletzungen
Das Kammergericht Berlin urteilte über einen Fall, in dem die Eltern ihren wenige Monate alten Säugling wegen eines Krampfanfalls in die Notaufnahme des beklagten Klinikums brachten.137 Der Vater gab an, das Kind sei vor wenigen Tagen mit dem Kopf gegen die Schale eines Autokindersitzes vom Typ »Maxi Cosi« gestoßen. Es wurden subdurale Blutungen und Netzhautablösungen beidseits diagnostiziert. Die Fontanelle war vorgewölbt. Der Säugling wurde in die pädiatrische Neurochirurgie verlegt und dort operiert. Mitarbeiter des Krankenhauses äußerten gegenüber den Eltern den Verdacht einer Kindesmisshandlung und eines hierdurch ausgelösten Schütteltraumas. Die Eltern erklärten die Verletzungen weiterhin mit dem Stoß am Kindersitz, zeigten sich zunächst kooperativ, lehnten dann aber weitere Gespräche ab. Die Mitarbeiter des Krankenhauses teilten daraufhin dem Landeskriminalamt (LKA) und dem zuständigen Jugendamt mit, bei dem Säugling lägen für ein Schütteltrauma typische Verletzungen vor, deren Herkunft ungeklärt sei. Dies führte nach einer vorläufigen Festnahme der Eltern durch die Polizei zu einem Ermittlungsverfahren wegen Kindesmisshandlung und zu Maßnahmen zum Schutz des Kindeswohls, unter anderem einer zeitweiligen Unterbringung des Kindes bei Pflegeeltern. Das gegen die Eltern eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde im Ergebnis eingestellt, da zwar ein Schütteltrauma vorlag, aber nicht festgestellt werden konnte, wodurch dieses ausgelöst wurde. Das Familiengericht übertrug das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitsfürsorge zurück auf die Eltern. Diese begehrten vom Krankenhaus Schmerzensgeld sowie Ersatz der ihnen entstandenen Kosten für die anwaltliche Vertretung im Ermittlungsverfahren und vor dem Familiengericht. Da es keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Kindesmisshandlung gegeben habe, hafte das Krankenhaus für die Folgen der Anzeige an das LKA und das Jugendamt.
Das Kammergericht sah die Einschaltung der Behörden als gerechtfertigt an. Nach Meinung der erkennenden Richter konnten die Mitarbeiter des Krankenhauses angesichts der für ein Schütteltrauma »typischen« Verletzungen annehmen, dass möglicherweise ein Fall von Kindesmisshandlung vorlag. Dieser Verdacht reichte auch für eine Information der Behörden aus. Es sei nicht Aufgabe der Ärzte, einen Verdacht »auszuermitteln«, d. h. definitiv zu klären, welche Ursache eine Verletzung habe. Es reiche aus, dass die betreffenden Verletzungen typischerweise durch eine Kindesmisshandlung hervorgerufen würden und somit ein begründeter Verdacht vorhanden sei. Dies schließe aber nicht aus, dass auch andere Geschehensabläufe denkbar seien, denen keine Kindesmisshandlung zugrunde liege. Erschwerend kam hier hinzu, dass die vorhandenen Verletzungen nicht mit dem geschilderten Unfallgeschehen in Einklang gebracht werden konnten. Der im Verfahren hinzugezogene Sachverständige hatte ausgeführt, um die Verletzungen durch einen Anstoß des Kopfes an den Kindersitz beim Durchfahren einer Kurve hervorzurufen, hätte der Vater mit seinem Kind im normalen Verkehr mit einer Beschleunigung um eine Kurve fahren müssen, die weit über der eines Formel-1-Wagens liege.
Die Mitarbeiter des Krankenhauses durften nach Ansicht des Kammergerichts auch von einer Wiederholungsgefahr ausgehen, obwohl nur eine Verletzung festgestellt werden konnte, weil diese eine Verletzung für sich genommen derart schwerwiegend und lebensbedrohlich war. Auch die Art und Weise der Information an das LKA und das Jugendamt war nicht zu beanstanden. Die Anzeige habe lediglich Angaben zu den festgestellten Verletzungen und zum Verhalten und den Äußerungen der Eltern enthalten. Dass die Verletzungen nur von den Eltern herrühren könnten und diese dringend tatverdächtig seien, könne