Kay Tetzlaff

Moderne Tauchmedizin


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Verschlechterung, nachdem schon Besserung eingetreten war

      – progredient: Zunahme der Symptomatik bzw. Hinzutreten neuer Symptome im Verlauf

      2. Beginn der Symptomatik

      – Dokumentation des zeitlichen Beginns nach Ende des Tauchgangs

      3. Organmanifestation

      – muskuloskelettal: Symptome im Bereich des Bewegungsapparats

      – neurologisch: zentrales (Gehirn, Rückenmark) oder peripheres Nervensystem – kardiopulmonal: Symptome im Bereich der Lunge und/oder des Herz-Kreislauf-Systems

      – dermatologisch: Symptome im Bereich der Haut, einschließlich lymphatischer Manifestation – audiovestibulär: Innenohrsymptome – konstitutionell: unspezifische Beschwerden

      4. Belastung des Körpers mit Inertgas

      – Schätzung der Sättigung von Geweben mit Inertgas anhand des Tauchprofils (Tiefe, Dauer, Aufstiegsgeschwindigkeit, Wiederholungstauchgänge)

      5. Vorliegen eines Barotraumas

      – Dokumentation eines Barotraumas sofern diagnostisch möglich, z. B. Mittelohr, Sinus

      Bei der Verwendung des deskriptiven Systems sollte berücksichtigt werden, dass es ausschließlich zur Einteilung von Tauchunfällen in der Akutphase entwickelt wurde. Ist das Ausmaß der Organschädigung durch Zusatzdiagnostik bekannt, lässt sich dies mit der Klassifikation nicht erfassen. Wenngleich das deskriptive System weniger einprägsam ist als das traditionelle DCS-System, hat es den Vorteil, dass die Notwendigkeit einer frühen und schwierigen Differenzialdiagnose vor Einleitung von Therapiemaßnahmen entfällt. Außerdem führt die Verwendung dieser Klassifikation zu einer deutlich besseren diagnostischen Übereinstimmung unter Ersthelfern und Tauchmedizinern. Dies ist eine wesentliche Bedingung für die wissenschaftliche Bewertung von Therapieverfahren und Planung von prospektiven Studien.

      Es ist davon auszugehen, dass die Bemühungen um ein allgemein akzeptiertes, einheitliches Klassifikationssystem noch nicht abgeschlossen sind. Gegenwärtig werden noch beide Systeme verwendet, mit klarer Präferenz zum neuen, deskriptiven System.

      10.2 Klinische Symptomatik

      Die klinische Symptomatik der Dekompressionserkrankung ist sehr vielgestaltig und kann sich in verschiedenen Schweregraden manifestieren. Die Spannbreite reicht von diskreten und voll reversiblen Beschwerden, über Organmanifestationen, die in ungünstigen Fällen trotz Therapie bleibende Defizite hinterlassen, bis hin zu fulminanten Verläufen mit tödlichem Ausgang. Beinahe jedes Organsystem – entweder ein einzelnes oder mehrere – kann betroffen sein. Der Verlauf ist variabel, nach Auftreten der ersten Symptome können sich diese sowohl spontan zurückbilden als auch verschlechtern oder es können im Verlauf Symptome im Bereich anderer Organsysteme hinzutreten. Zahlreiche Risikofaktoren spielen hierbei eine Rolle; diese werden im Abschnitt 10.4 gesondert besprochen.

      Hinweis. Der Verlauf der Dekompressionserkrankung ist oft über mehrere Stunden fortschreitend. Auch bei nur leichten Symptomen nach Erreichen der Wasseroberfläche kann noch ein bedrohliches Krankheitsbild entstehen.

      Es kann nicht oft genug hervorgehoben werden, dass die Dekompressionserkrankung eine systemische Erkrankung darstellt. Dabei sollte bedacht werden, dass sich die Dekompressionserkrankung meist an mehreren Organsystemen manifestiert, und dass das Vorliegen bestimmter umschriebener Symptome eine subklinische Schädigung in einem anderen Organsystem nicht ausschließt. Aus didaktischen Gründen werden die möglichen Organmanifestationen hier jedoch unabhängig voneinander erläutert.

      Hinweis. Aus der großen Variabilität der klinischen Symptomatik, des Schweregrads und des Verlaufs der Dekompressionserkrankung lässt sich ableiten, dass es sich um eine systemische Erkrankung handelt. Dies gilt in aller Regel auch dann, wenn nur leichte oder umschriebene Symptome eine lokal begrenzte Manifestation vermuten lassen.

      10.2.1 Zeitlicher Verlauf

      Die Symptome der Dekompressionserkrankung beginnen, nachdem der Betroffene mit dem Aufstieg bzw. der Dekompression begonnen hat. Am häufigsten treten Symptome innerhalb von 6 Stunden nach dem Tauchgang auf. Der Erkrankungsbeginn hängt unter anderem von den in Abschnitt 10.4 genannten Risikofaktoren ab. Generell gilt, dass die Dekompressionserkrankung umso schneller auftritt, je stärker die Dekompressionsregeln verletzt worden sind. Ebenso tritt die Erkrankung bei Wiederholungstauchgängen und beim Vorliegen anderer Risikofaktoren früher auf.

      Besonders früh manifestieren sich zumeist Symptome des zentralen Nervensystems. Neurologische Symptome treten oft schon nach 10 Minuten, meist aber innerhalb von 3 Stunden auf. Es sind jedoch Fälle beschrieben worden, bei denen es erst 1–4 Tage nach Exposition zu Symptomen einer Dekompressionserkrankung gekommen ist. Längere und eher flachere Tauchgänge sind hierfür vermutlich besonders prädisponierend.

      Hinweis. Je gravierender die Regeln der Dekompression verletzt wurden, desto früher kommt es in den meisten Fällen zu ersten Symptomen. Nach längeren, flacheren Sättigungstauchgängen können die Symptome verzögert, unter Umständen erst nach über 24 Stunden auftreten.

      10.2.2 Häufigkeitsverteilung von Organmanifestationen

      Die Häufigkeit von Organmanifestationen im Rahmen der Dekompressionserkrankung wurde in großen Datenbanken, unter anderem von DAN (Divers Alert Network) und INM (Institute of Naval Medicine) erfasst. Dabei zählt, entgegen früherer Beobachtungen bei Berufstauchern und Caissonarbeitern, die neurologische Manifestation zu den häufigsten Symptomen überhaupt, je nach Quelle zwischen 40% und 78%. Ebenfalls sehr häufig sind Schmerzen im Bereich von Gelenken und Extremitäten mit 22–57%, gefolgt von unspezifischen Symptomen (15–30%). Symptome im Bereich der Haut (3,5–10%), des Innenohrs (12–20%) und des kardiopulmonalen Systems (2–9%) sind seltener.

      Hinweis. Manifestationen der Dekompressionserkrankungen umfassen Hautveränderungen, Schmerzen in Gelenken und Extremitäten, neurologische Störungen wie Lähmungen, Gefühls- und Gleichgewichtsstörungen einschließlich Beeinträchtigungen emotionaler und höhere kognitiver Funktionen, audiovestibulärer Störungen wie Schwindel, Übelkeit, Nystagmus und Hörstörungen, sowie kardiopulmonale Störungen (Brustschmerz, Atemnot, Zyanose).

      10.2.3 Allgemeinsymptome

      Unspezifische Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, diffuse Schmerzen des Körpers werden im Rahmen einer Dekompressionserkrankung häufig angegeben. Ebenfalls beschrieben ist ein grippeähnliches Bild mit allgemeinem Krankheitsgefühl, generalisierten Muskelschmerzen, Appetitlosigkeit und gelegentlich Schüttelfrost. In leichten Fällen können Allgemeinsymptome nach dem Tauchgang bei Fehlen weiterer Zeichen einer Haut- oder Organbeteiligung nicht immer eindeutig einer Dekompressionserkrankung zugeordnet werden. Diese Symptome können z. B. auch Ausdruck einer körperlichen Überanstrengung oder Dehydratation sein. In schwereren Fällen kommt es zu einer starken Müdigkeit mit Erschöpfungsgefühl, die sich typischerweise im Rahmen einer Druckkammerbehandlung schlagartig zurückbildet.

      10.2.4 Symptome im Bereich der Haut

      Hautsymptome sind bei der Dekompressionserkrankung häufig und werden nach der traditionellen Klassifikation der DCS Grad I zugeordnet. Die klinische Präsentation ist sehr vielgestaltig und kann von milden, umschriebenen Rötungen bis zu einem generalisierten ausgeprägten Hautausschlag reichen.

      Juckreiz

      Zu den Leitsymptomen gehört der Juckreiz (Pruritus). Diese Eigenschaft hat den Hautsymptomen der Dekompressionserkrankung den umgangssprachlichen Namen „Taucherflöhe“ eingebracht. Wahrscheinlich entsteht der Juckreiz durch eine Gefäßerweiterung bei warmen Umgebungstemperaturen, was das Einströmen von Gasbläschen in die Haut während der Dekompression begünstigt. Deshalb treten „Taucherflöhe“ seltener nach Tauchgängen mit Nassanzug in kühleren Gewässern auf. Der Juckreiz beginnt meist rasch nach der Dekompression, vor allem nach kurzen und tiefen Tauchgängen, und bildet sich meist spontan zurück. Fehlen weitere Symptome, wird der Juckreiz im Allgemeinen