Kay Tetzlaff

Moderne Tauchmedizin


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listet die wichtigsten, aber sicher nicht alle Differenzialdiagnosen der Dekompressionserkrankung auf. Zur Differenzialdiagnose bei Erkrankungen des Innenohrs s. Kap. 11.

      10.3.1 Lungenerkrankungen

      Pulmonales Barotrauma, Pneumothorax, Mediastinalemphysem

      Ein pulmonales Barotrauma kann zu einem Pneumothorax und einem Mediastinalemphysem führen und eine Differenzialdiagnose zur kardiopulmonalen DCS darstellen. Beide Erkrankungen äußern sich in nach dem Tauchgang auftretender Luftnot, trockenem Husten und Thoraxschmerzen. Bei einem Pneumothorax ist der Schmerz häufiger einseitig, es kommt zu asymmetrischen Atembewegungen des Thorax, und in der klinischen Untersuchung fallen ein hypersonorer Klopfschall sowie ein abgeschwächtes Atemgeräusch über dem betroffenen Lungenflügel auf. Ein Mediastinalemphysem führt häufig zu einer subkutanen Luftansammlung im Halsbereich (Halsemphysem) und zu einer Störung der Stimmbildung (s. auch Kap. 12).

      Ein Lungenödem kann viele verschiedene Ursachen haben, auch spontane Fälle während des Tauchens oder Schwimmens wurden berichtet. Typische Symptome sind Kurzatmigkeit mit Luftnot, Husten mit weißlich-schaumigem Auswurf, manchmal auch mit Blutbeimengungen. Das Lungenödem stellt ebenfalls eine Differenzialdiagnose zur kardiopulmonalen DCS dar, wobei die Symptome des Lungenödems meist schon während des Tauchgangs beginnen und eine kardiopulmonale DCS selten isoliert ohne andere DCS-Symptome auftritt (s. auch Kap. 12).

      Das Beinahe-Ertrinken kann ebenfalls zu respiratorischen Störungen wie Atemnot, Husten, Druckgefühl im Thorax und zu einem Lungenödem führen. Das Beinahe-Ertrinken kann auch gemeinsam mit einer Dekompressionserkrankung auftreten; schnelle Notaufstiege können zum gleichzeitigen Auftreten beider Erkrankungen führen. Beginnt die Dekompressionserkrankung noch während des Aufstiegs, kann es zusätzlich zu einem Beinahe-Ertrinken kommen. Im Zweifelsfall sollte eine therapeutische Rekompression erfolgen, da hyperbarer Sauerstoff für einen Beinahe-Ertrunkenen nicht schädlich ist (s. auch Kap. 13).

      Asthma, chronische Bronchitis

      Das Auftreten asthmatischer Beschwerden mit trockenem Reizhusten nach dem Tauchgang kann Ausdruck einer eigenständigen Asthmaerkrankung oder einer chronischen Bronchitis sein. Zur Unterscheidung ist die Kenntnis der Vorgeschichte wichtig. Die Einatmung der trockenen und kalten Atemgase kann asthmatische Beschwerden bei Vorliegen eines überempfindlichen (hyperreagiblen) Bronchialsystems provozieren.

      Tabelle 10.1: Kriterien zur klinischen Entscheidungshilfe zwischen einer DCS und einer AGE

DCSAGE
Tauchprofil– Tiefe, lange Tauchgänge– Sättigungstauchgänge– Wiederholungstauchgänge– Zu schneller Aufstieg– Schneller Aufstieg/Notaufstieg– Von der Tauchtiefe unabhängig
Symptombeginn nach dem Tauchgang– Minuten bis Stunden– Meist innerhalb 3–6 Stunden– Zerebrale Symptome auch früher– Unmittelbar nach Ende des Tauchgangs– Meist innerhalb weniger Minuten
Symptome– Apathie, Bewusstlosigkeit– Schwindel, Erbrechen– Neurologische Ausfälle– Andere Symptome der DCS, z. B. Hautmanifestation, Schmerzen, kardiopulmonale Symptome– Apathie, Bewusstlosigkeit– Schwindel, Erbrechen– Neurologische Ausfälle– Oft kardiopulmonale Begleitsymptome– Herz-Kreislauf-Versagen möglich

      10.3.2 Arterielle Gasembolie (AGE)

      Entstehungsmechanismus und klinische Symptomatik der AGE werden in Kap. 12 abgehandelt. Wie bereits erwähnt, ist die klinische Unterscheidung zwischen einer zerebralen AGE und einer zerebralen DCS in der Akutphase oft nicht möglich. Aufgrund der Ähnlichkeit der klinischen Präsentation lassen normalerweise nur die zeitliche Dynamik, das Tauchprofil und das Auftreten anderer für eine DCS sprechende Symptome Rückschlüsse auf die Erkrankungsursache zu.

      Die Tabelle 10.1 stellt die wichtigsten Kriterien zur Entscheidungshilfe einander gegenüber.

      10.3.3 Neurologische Erkrankungen

      Neurologische Erkrankungen gehören aufgrund der Ähnlichkeit der klinischen Symptome zu den wichtigen Differenzialdiagnosen der Dekompressionserkrankung. Unterschieden werden Erkrankungen des zentralen und des peripheren Nervensystems (s. auch Kap. 26).

      Ein Schlaganfall tritt zwar selten im Zusammenhang mit dem Tauchen auf, kann aber ähnliche klinische Symptome aufweisen. Der Schlaganfall ist hierbei als Überbegriff für die zerebrale Ischämie (= Hirninfarkt) und die intrazerebrale Blutung zu verstehen. Bei der häufigeren zerebralen Ischämie kommt es, meist durch einen Embolus, zum Verschluss einer gehirnversorgenden Arterie. Somit sind die Pathomechanismen der embolisch bedingten zerebralen Ischämie und der zerebralen AGE nicht unähnlich. Während die zerebrale Ischämie durch einen thrombotischen Gefäßverschluss verursacht wird, führen bei der AGE in die arterielle Zirkulation gelangte Gasbläschen zur Embolie. Allerdings sind bei einer Gasembolie häufiger mehrere Gefäßterritorien des Gehirns gleichzeitig betroffen.

      Eine Unterscheidung ist oft nur anhand des Zeitverlaufs oder mit bildgebenden Verfahren möglich. Ein progredientes neurologisches Defizit in uneinheitlicher Verteilung kurz nach einem schnellen Aufstieg spricht eher für das Vorliegen einer AGE, insbesondere wenn weitere Symptome wie z. B. Atemnot vorliegen. Eine ohne Vorankündigung schlagartig auftretende Hemiparese während oder einige Stunde nach Ende des Tauchgangs ohne weitere Symptome lässt eher einen Schlaganfall vermuten.

      Epileptische Anfälle können entweder einmalig, als so genannter „Gelegenheitsanfall“, oder wiederholt im Rahmen einer chronischen Epilepsie auftreten. Im Rahmen einer Dekompressionserkrankung treten epileptische Anfälle selten isoliert auf, meist bestehen neurologische oder andere Begleitsymptome.

      Bei unklarer Bewusstlosigkeit kommt auch ein erniedrigter Blutzuckerspiegel (Hypoglykämie) in Frage. Zur weiteren Differenzialdiagnose von Bewusstseinsstörungen s. Kap. 27.

      Die Migräne ist eine häufige Erkrankung, so dass Migräneanfälle durchaus nach einem Tauchgang beginnen können. Die stechenden oder pulsierenden, meist halbseitigen Kopfschmerzen sind oft von Lichtscheu, Übelkeit und Erbrechen begleitet. Gelegentlich kommt es vor dem Beginn der Kopfschmerzen zu einer so genannten Migräneaura mit Flimmersehen und neurologischen Ausfällen wie halbseitigen Sensibilitätsstörungen oder Sprachstörungen. In solchen Fällen ist eine Verwechslung mit neurologischen Symptomen einer Dekompressionserkrankung möglich. Migränepatienten beschreiben häufig ein stereotypes Muster ihrer jeweiligen Migräneanfälle, vor allem die Aura betreffend. Liegt ein deutliches Abweichen von den bekannten Symptomen vor, sollte sicherheitshalber ein Druckkammerzentrum aufgesucht werden.

      Bandscheibenvorfälle treten gerade im mittleren Lebensalter sehr häufig auf und können durch schweres Heben und bestimmte Körperbewegungen, die bei der Ausübung des Tauchsports unvermeidbar sind, provoziert werden. Durch das Vorwölben von Bandscheibenmaterial in den Spinalkanal kommt es zunächst zu Rückenschmerzen (Lumbago), die, einem radikulären (dem Versorgungsgebiet einer Nervenwurzel entsprechenden) Verteilungsmuster folgend, in eine Extremität ausstrahlen können (Lumboischialgie). Im Falle einer Kompression der Spinalnerven bzw. der Nervenwurzeln durch Bandscheibenmaterial kann es zu Sensibilitätsstörungen und Lähmungen im Versorgungsgebiet der betroffenen Nerven kommen. In schweren Fällen ist sogar eine Kompression des Rückenmarks mit spinalen Symptomen wie einem Querschnittssyndrom und einer Blasen-Mastdarm-Störung möglich.

      Aufgrund der klinischen Symptomatik können Bandscheibenvorfälle zu einer Verwechslung mit einer neurologischen (peripheren oder spinalen) Manifestation der Dekompressionserkrankung führen. Obwohl bei Bandscheibenvorfällen häufig ein auslösendes mechanisches Manöver vorangegangen ist, hat es schon einige Fälle „unnötiger“ Druckkammerbehandlungen gegeben.

      Periphere Nervenläsionen können ähnlich wie Bandscheibenvorfälle Symptome einer Dekompressionserkrankung imitieren. Sie führen klinisch zu umschriebenen Lähmungen und Sensibilitätsstörungen; Schmerzen oder ein vorangegangenes Trauma können fehlen.

      Im Zusammenhang mit dem Tauchen kommt