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Wo heute predigen?


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Das sollte natürlich generell gelten. Jugendliche haben aber oft einen besonders sensiblen Gerechtigkeitssinn, der bei fehlender Deckungsgleichheit zwischen Predigt und predigender Person die grundsätzliche Wahrheit der Botschaft so in Frage stellt, dass diese nicht mehr angenommen werden kann.

      18 Vgl. Müller, Predigt, 533.

      19 Mir ist bewusst, dass dieser Vergleich, wie jeder andere auch, Schwächen enthält und zur Diskussion einlädt.

      „Missionspredigt“

      Hans Hütter

      Sind „Missionspredigten“ ein eigener „Predigtort“? Diese Frage ist gleich zu Beginn zu stellen, denn meistens wurden sie in Kirchen und in Gemeindegottesdiensten gehalten. Dort haben sie jedoch in einem speziellen pastoralen Setting stattgefunden und sie haben Eigenheiten vorzuweisen, die sie von der Predigtpraxis im Rahmen der „ordentlichen Seelsorge“ unterscheiden. Insofern kann man sie als eigenständigen „Predigtort“ betrachten.

      Volks- und Pfarrmissionen wurden von vielen Ordensgemeinschaften gepredigt, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch von geistlichen Bewegungen wie etwa dem Cursillo, der „Bewegung für eine bessere Welt“1 oder der „Charismatischen Erneuerung“. Die Predigt hatte in jeder dieser Gruppierungen einen etwas anderen Stellenwert mit unterschiedlicher Ausprägung. Dieser Beitrag beschränkt sich auf die Missionspredigt, wie sie von einer dieser Gemeinschaften gepflogen wurde. Ich selbst bin Mitglied der Kongregation der Redemptoristen und habe seit 1972 an vielen missionarischen Projekten in Pfarrgemeinden mitgewirkt.

      1. Die Missionspredigt in der Tradition der Redemptoristen

      Mission ist ein Wesensmerkmal der Kirche. Sie ist gesandt, die Frohe Botschaft allen Menschen zu verkünden. Sie kommt diesem Auftrag in vielgestaltiger Weise nach, und jeder Getaufte sowie jede ihrer Gliederungen nimmt an dieser Sendung teil. So hat auch jede Ordensgemeinschaft und jede geistliche Bewegung ihre je eigene Ausprägung der Mission entfaltet.

      Die Kongregation der Redemptoristen weiß sich von ihrem Gründungscharisma her der ausdrücklichen Verkündigung der Frohen Botschaft verpflichtet. Alfons Maria von Liguori (1696 – 1787), der Gründer der Redemptoristen, knüpft selbst an eine vorgefundene Praxis an und geht mit seinen Leuten vor allem in die kleinen Dörfer und Ortschaften im Königreich Neapel, um dort den Menschen das Evangelium neu zu verkünden. Die meisten Menschen im Hinterland der größeren Städte waren ohne systematische religiöse Unterweisung aufgewachsen und wurden von keinem seelsorglichen Programm erreicht. Die bevorzugten Mittel dieser Missionen waren Predigten und Katechesen an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen. Die Abendpredigten als sogenannte „große Predigt“ waren als Bekehrungspredigt angelegt. Es galt, die Menschen emotional zu berühren und zur Umkehr zu bewegen. Die „predica grande“ war den großen Könnern vorbehalten. Manche setzten auch dramatische Mittel der Inszenierung ein. Ein für uns ungewöhnliches Stilmittel war z.B. das Singen in einem eigenen Predigtton, der die Menschen emotional aufwühlte.2 Zeichen und Akt der Umkehr war der Empfang der Sakramente in Form einer Lebensbeichte und der heiligen Kommunion. Auch auf öffentliche Versöhnungsakte zwischen Streitparteien wurde großer Wert gelegt. Ort der Predigt, der Katechesen und des Sakramentenempfangs war die jeweilige Pfarrkirche. Tagsüber wurden Prozessionen an öffentlichen Plätzen mit kurzen Ansprachen gehalten, um die Bevölkerung zu den Missionsveranstaltungen einzuladen.3 In der Kirche wurden während des Tages Katechesen angeboten und einzelne Gruppen durch spezielle Predigten auf die persönliche Beichte vorbereitet. Am Abend folgte jeweils als Höhepunkt die große Missionspredigt, die „predica grande“.

      Nachdem die Redemptoristen durch das Wirken des hl. Klemens Maria Hofbauer (1751–1820) nördlich der Alpen Fuß gefasst hatten, begannen sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch dort Volksmissionen zu halten.4 An manchen Orten wurden diese zu ungewöhnlich großen Veranstaltungen, zu denen eine unvorstellbar große Zahl von Menschen zusammenströmte.5

      Im deutschsprachigen Raum haben sich die Volksmissionen gehalten, solange die Kirche volkskirchlich verfasst war, also etwa bis zum Vatikanum II. Vom Kirchenrecht waren sie im Rhythmus von zehn Jahren für alle Pfarrgemeinden vorgeschrieben (vgl. CIC/1917 cc 1349). Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Volksmissionen sehr gefragt. Man begann aber schon vor dem Zweiten Vatikanum nach einer Erneuerung dieser Form der außerordentlichen Seelsorge Ausschau zu halten.6 Die Predigten erfuhren z.B. in dieser Zeit eine stärkere christologische Ausrichtung. Von Frankreich ausgehend verfolgte man auch die Idee von Milieumissionen. Man wollte damit eine stärkere Nachhaltigkeit erreichen. Milieu wurde damals aber noch nicht in dem Sinn verstanden, wie der Begriff gegenwärtig im Zusammenhang mit den Milieustudien gebraucht wird. Man beobachtete mit Sorge, dass infolge der Industrialisierung das Leben in Städten und in Arbeiterwohngebieten immer weniger christlich und kirchlich geprägt war. Durch groß angelegte Gebietsmissionen wollte man ein katholisches Milieu wiederherstellen.

      Weitere Erneuerungsbemühungen gab es nach dem Zweiten Vatikanum. Es begann sich inspiriert von der neuen Gemeindetheologie eine stärkere Ausrichtung auf Gemeindebildung, bzw. Gemeindeerneuerung durchzusetzen. Die Gemeinde wurde als Trägerin der Mission und zugleich als Lebensraum, in dem Mission stattfand, verstanden. Die Bezeichnung Volksmission wurde durch „Gemeindemission“ oder „Gemeindeerneuerung“ ersetzt. Es bildete sich auch eine neue Rollenverteilung heraus. Während bisher Missionen nur von Priestern gehalten wurden, begannen nun Laien missionarische Initiativen mitzugestalten und mitzutragen. Missionare, die von außen in eine Gemeinde kamen, verstanden sich als Impulsgeber und Berater.

      Dieses erneuerte Konzept erlebt seit einigen Jahren neuerlich eine Krise, da die hohe Mobilität und neue Medien das gewohnte Beziehungsgefüge in unserer Gesellschaft tiefgreifend verändert haben und immer noch verändern. Zum gesellschaftlichen Wandel kamen in vielen Diözesen Reorganisationsmaßnahmen hinzu, die viele Kräfte binden. Damit werden missionarische Initiativen vor große Herausforderungen gestellt.

      2. Spezifische Merkmale der Missionspredigt der Redemptoristen

      Nicht zuletzt durch persönliche Erfahrung – als Kind habe ich 1958 in meiner Heimatgemeinde noch eine Volksmission im alten Stil erlebt und seit 1972 war ich selbst immer wieder an missionarischen Seelsorgeprojekten beteiligt – habe ich an der Missionspredigt Spezifika wahrgenommen, die mir nach wie vor bedenkenswert erscheinen.

      2.1. Existenzielles Betroffensein

      Missionspredigten unterscheiden sich von anderen Predigten darin, dass diese darauf abzielten, existenziell betroffen zu machen. Erreicht wurde Betroffenheit vor allem durch Erzählen von Selbst-Erlebtem, durch anschauliche exemplarische Beispiele, Parabeln, durch eine bilderreiche Sprache sowie durch Vergleiche und Metaphern.

      Es wäre schwer zu ertragen, wenn die Predigt jeden Sonntag so tief unter die Haut ginge, dass sich die Hörer_innen davon existenziell betroffen fühlten. Auch reicht der zeitliche Rahmen einer Predigt im Gemeindegottesdienst normalerweise nicht, um auf existenzielle Lebensfragen ausreichend Antwort zu geben, denn über kognitive Lösungsangebote hinaus braucht es Hilfen zur emotionalen Verarbeitung. Missionspredigten fanden daher in einem speziellen Setting statt. Sie dauerten für gewöhnlich auch länger als Predigten im normalen Gemeindegottesdienst. Als Regel galt: Eine Predigt darf lang dauern, wenn sie nicht langweilig ist.

      Nach Paulus kommt der Glaube vom Hören (Röm 10,17). In der Überlieferung der Synoptiker bedauert Jesus, dass Menschen hören und doch nicht hören (vgl. Mk 4,12 und Jes 6,9f), bzw. fordert er auf: „Wer Ohren hat zum Hören, der höre!“ (Mk 4,9). Hören wird hier offenbar als ein komplexerer Vorgang als das akustische Wahrnehmen und das kognitive Aufnehmen und Einordnen des Gesagten verstanden. Die Medien wissen darum und haben Strategien entwickelt, wie sie ihre Adressat_innen nicht nur auf der Verstandesebene erreichen, sondern möglichst tief ins Bewusstsein und auch ins Unbewusste eindringen. Die Missionspredigt versuchte mit den Mitteln der Rhetorik zu einem umfassenden Hören zu führen. Das war aber immer auch eine Gratwanderung des guten Geschmacks.

      2.2. Grundthemen des Lebens und Glaubens

      Um die existenziellen Fragen der Hörerinnen und Hörer anzusprechen, spielt die Auswahl der Themen eine besondere Rolle. Tief in die Erinnerung vieler älterer Katholik_innen