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Ecclesiae et scientiae fideliter inserviens


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und Zwang. Ein Priester aus Kerala / Indien berichtete Anfang 2019, in seinem Heimatbistum würden sehr viele „arrangierte“ Ehen für nichtig erklärt und wegen Vorbehaltes gegen das bonum coniugum, ein an den deutschen Gerichten sehr seltenes caput nullitatis. Vgl. dazu Vogel, Benjamin, Der Ausschluss des Gattenwohls als Ehenichtigkeitsgrund (Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft 40), Würzburg 2017.

      30 Den Text findet der Interessierte z. B. in der Ausgabe des Deutschen Taschenbuchverlags München 1997 auf den Seiten 115-119; die dortige Groß-und Kleinschreibung wurde beibehalten.

      31 Das Zitat steht so in der Taschenbuchausgabe von Böll, Heinrich, Hausfriedensbruch / Aussatz, München 1982, 52.

      32 Vgl. dazu verschiedene Entwürfe und Beiträge zu einer „Theologie des Scheiterns“, z. B. Sander, Hans-Joachim, Beziehungen enden. Was Gott getrennt hat, daran muss sich der Mensch nicht ketten, in: Hilpert, Konrad / Laux, Bernhard (Hrsg.), Leitbild am Ende? Der Streit um Ehe und Familie, Freiburg im Breisgau 2014,183-207.

      CÄCILIA GIEBERMANN

      ADHS im Erwachsenenalter gem. DSM-5: Überlegungen zur Diagnose und zur Relevanz in Ehenichtigkeitsverfahren

      Der DSM nennt erstmals in seiner 5. Auflage, erschienen 2013, das Fortbestehen der ADHS im Erwachsenenalter als Diagnose.1 Dies verbunden mit der Tatsache, dass die Frage der Ehefähigkeit bei ADHS im Gerichtsalltag begegnet, gibt Anlass zu diesem Artikel.

      Im ersten Kapitel sind der Begriff, die Prävalenz, die Entstehung der Störung und die medikamentöse Behandlung in den Blick zu nehmen. Im zweiten und dritten Kapitel werden die beiden Kernfragen behandelt: Inwieweit lässt sich feststellen, ob zur Zeit der Heirat bei einem der Nupturienten eine ADHS vorlag? Lässt sich etwas dazu sagen, ob diese Störung ihn so beeinträchtigt hat, dass von einer rechtserheblichen Eheunfähigkeit gem. c. 1095 CIC auszugehen ist? Im abschließenden vierten Kapitel wird ein Ausblick gewagt.

      1. Begriffe, Prävalenz, Ätiologie und Medikamente

      1.1 Begriffe des DSM-5

      Die Diagnose „ADHS“ (als Abkürzung für Attention-Deficit / Hyperactivity Disorder bzw. „Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung“) wird im DSM seit Revision IV verwendet, während der ICD-10 von einer „Hyperkinetischen Störung“ (HKS) spricht. Beide Begriffe sind nur beschreibend und weisen damit Bezeichnungen zurück, die eine Hirnfunktionsstörung als vermutete Hauptursache benannten.2 Im Folgenden wird der Begriff „ADHS“ verwendet. Die beiden Dimensionen der Störung, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität / Impulsivität, werden „Kriterien“ genannt.3 Liegt bei Nicht-Erfüllen eines Kriteriums nicht das Vollbild der Störung („Gemischtes Erscheinungsbild“) vor, so wird analog der Begrifflichkeit im DSM-5 im Folgenden die Bezeichnung „Vorwiegend Unaufmerksames Erscheinungsbild“ bzw. „Vorwiegend Hyperaktiv-Impulsives Erscheinungsbild“ verwendet.

      1.2 Prävalenz bei Kindern und Erwachsenen

      Zur Prävalenz erklärt das DSM-5 kurz: „Epidemiologische Studien legen nahe, dass ADHS in den meisten Kulturen bei etwa 5 % der Kinder und etwa 2,5 % der Erwachsenen vorkommt.“4 Entgegen der landläufigen Meinung, ADHS werde in letzter Zeit immer häufiger diagnostiziert, sind die Zahlen der tatsächlichen Diagnosen in Deutschland stabil zumindest seit 2003, jenem Jahr, in dem das Robert-Koch-Institut eine Längsschnittstudie zur Gesundheit der Kinder begonnen hat.5 Die Mehrzahl der Betroffenen ist männlich.6

      1.3 Zur Ätiologie

      ADHS hat eine hohe genetische Komponente: Zwillingsstudien zeigen sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen eine Übereinstimmung von 70 bis 80 %.7 Ätiologisch relevante Umweltfaktoren werden vor allem im prä- und perinatalen Zeitraum gesehen: Alkohol- und Nikotinexposition des Ungeborenen, Frühgeburtlichkeit und niedriges Geburtsgewicht wurden bei ADHS-Patienten deutlich häufiger diagnostiziert als das gemeinhin als hauptursächlich angenommene Fehlen eines guten familiären Umfeldes.8 Nichtsdestotrotz sind Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus deutlich häufiger betroffen als Kinder aus Familien mit hohem Sozialstatus, der DSM-5 schreibt den familiären Interaktionsmustern vor allem verlaufsbeeinflussende Faktoren zu.

      1.4 Zur medikamentösen Behandlung

      Die ADHS soll niemals allein pharmakotherapeutisch, sondern, sofern der Einsatz von Medikamenten nötig ist, stets unter Hinzunahme einer störungsorientierten Psychotherapie behandelt werden. Während es in großer Zahl Vorschläge und Initiativen für immer neue Varianten der Psychotherapie gibt, beschränken sich die eingesetzten Medikamente auf wenige Wirkstoffe. Ziel aller Wirkstoffe ist, die Weiterleitung und Filterung von Reizen in den Gehirnzellen positiv zu beeinflussen, indem hinreichend Botenstoffe, hier die Neurotransmitter Dopamin und / oder Noradrenalin, zur Verfügung gestellt werden. Lange schrieb man dem dopaminergen System dabei die zentrale Rolle zu. Daher waren und sind bis jetzt Methylphenidat9 und Amphetamine die Mittel der ersten Wahl: Sie hemmen im Gehirn die Wiederaufnahme von Dopamin und Noradrenalin, so dass beide Botenstoffe (wieder) vermehrt vorliegen. Das zentrale Nervensystem wird stimuliert, es kommt u. a. zu erhöhter Wachsamkeit und Aufmerksamkeit. Häufige Nebenwirkungen sind Kopf- und Bauchschmerzen, Schlaflosigkeit, Nervosität, Herz-Kreislaufbeschwerden und Appetitlosigkeit. Grundsätzlich kann es bei der Langzeitmedikation mit Methylphenidat oder Amphetaminen zu Potenzstörungen und Libidoverlust kommen. Außer den Nebenwirkungen während der Einnahme werden auch unbeabsichtigte Langzeiteffekte diskutiert.

      Amphetamine und auch Methylphenidat bergen ein erhebliches Suchtpotential, in Deutschland sind sie als Betäubungsmittel eingestuft und unterliegen damit einer besonderen Verschreibungspflicht. Methylphenidat wird beim Erwachsenen in retardierter Form gegeben. Wo es in der Wirkung nicht ausreicht, wird teilweise ein Amphetamin-Derivat, etwa Dexamphetamin, eingesetzt, welches sich auch in den Nebenwirkungen von Methylphenidat unterscheidet.10 Dexamphetamin ist zur ADHS-Behandlung von Kindern und Jugendlichen, nicht aber von Erwachsenen zugelassen. Immer wieder wird es außerhalb des zugelassenen Gebrauchs (off-label) auch Erwachsenen gegeben, die z. B. als Jugendliche erfolgreich damit therapiert wurden.

      Mit der Erkenntnis, dass auch dem noradrenergen System eine wichtige Rolle zukommt (durch indirekte Beeinflussung der Dopamin-Aktivität), wurden auch Nicht-Amphetamine vermehrt zur Behandlung der ADHS eingesetzt, Präparate also, die keine stimulierenden Effekte auf das zentrale Nervensystem haben und somit auch kein oder nur ein geringes Abhängigkeits- und Missbrauchspotential bergen. Das erste Nichtstimulanz, welches zur Behandlung der ADHS eingesetzt wurde, ist das ursprünglich als Antidepressivum konzipierte Atomoxetin, welches also keine direkte Wirkung auf den Dopamin-Transporter hat, sondern das Noradrenalin (und damit indirekt die Dopamin-Aktivität) beeinflusst und zudem seine Wirkung auf Gehirnareale beschränkt, die nicht mit Suchtverhalten in Verbindung gebracht werden. Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen gehören Kopf- und Bauchschmerzen sowie Appetitlosigkeit.

      Auch bei den Nicht-Amphetaminen kommt es derzeit häufig zur offlabel-Anwendung bei Erwachsenen: Guanfacin, dessen genauer Wirkmechanismus in der Behandlung von ADHS noch nicht bekannt, dessen Wirkung aber erwiesen ist11, zeigt sich in den Nebenwirkungen moderat (Schläfrigkeit, Kopf- und Bauchschmerzen, Dämpfung).

      Bis jetzt liegen keine verlässlichen Studien zur möglichen Teratogenität der Präparate vor.

      2. Zur Diagnostik einer ADHS im Erwachsenenalter

      Zur Diagnose einer ADHS ist eine vollständige psychiatrische Untersuchung vorgesehen, welche ein umfangreiches Anamnesegespräch (nach Möglichkeit zusätzlich mit wichtigen Vertrauenspersonen des Patienten) mit Erfassung von Differentialdiagnosen und Komorbiditäten12, den Ausschluss organischer psychischer Störungen (durch Krankheitsanamnese und körperliche Untersuchung), gegebenenfalls testpsychologische Untersuchungen und die Anwendung standardisierter Untersuchungsinstrumente beinhaltet.

      Soweit eine solche psychiatrische Diagnostik nicht erfolgt ist oder im Ehenichtigkeitsverfahren nicht vorgelegt werden kann, könnte der Vernehmungsrichter sich (noch vor der Exploration durch einen Gutachter) bemühen, wenigstens entlang standardisierter Symptomchecklisten das Vorliegen relevanter Merkmale zu erheben.13