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Ecclesiae et scientiae fideliter inserviens


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von Methylphenidat strukturelle Veränderungen im Gehirn und damit Persönlichkeitsveränderungen bewirkt. In Tierversuchen wurden solche Veränderungen nachgewiesen, die Studienlage in der Humanmedizin ist noch nicht eindeutig.34 Sollte sich diese Langzeitwirkung zweifelsfrei nachweisen lassen, so müsste dies womöglich auch bei der Frage der Heiratszulassung eines dauerhaft mit Methylphenidat therapierten ADHS-Patienten berücksichtigt werden.

      4.2 Zu möglichen weiteren Ehenichtigkeitsgründen im Kontext der ADHS

      Wenn eine Eheführungsunfähigkeit infolge einer beim Erwachsenen fortbestehenden ADHS als Möglichkeit bejaht wird, so müsste das Vorliegen dieser Störung, welches gegebenenfalls durch regelmäßige Medikamenteneinnahme nicht offensichtlich ist, zu den Eigenschaften zählen, über die ein Partner den anderen vor der Heiratsentscheidung informieren sollte. Ist dies unterblieben, um die Einwilligung in die Heirat nicht zu gefährden, so könnte überlegt werden, inwieweit von einer rechtserheblichen Täuschung gemäß c. 1098 CIC auszugehen ist. In jedem Fall erscheint es sinnvoll, Nupturienten auf ihre Offenbarungspflicht hinsichtlich psychischer Störungen hinzuweisen, zu denen eben auch die ADHS zählt.

      Was den möglichen Klagegrund des Irrtums betrifft, so wäre allenfalls zu bedenken, dass eine mögliche Teratogenität als Langzeitfolge der Dauermedikation nicht auszuschließen ist. Hierzu liegen aber, wie oben erwähnt, keine verlässlichen Studien vor.

      4.3 Ein Exot unter den Diagnosen bei c. 1095 n. 3 CIC?

      Der Skepsis, mit der Kirchenrechtler zuweilen anfragen, ob es ADHS im Erwachsenenalter überhaupt gibt, stehen die Ausführungen im aktuellen DSM entgegen. Die Frage, inwieweit diese Störung eine Eheführungsunfähigkeit bewirken kann, dürfte daher an Bedeutung gewinnen.

      1 American Psychiatric Association, Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, DSM-5, Washington / London 52013. Im Folgenden wird zitiert aus der Deutschen Ausgabe: Falkai, Peter, Wittchen, Hans-Ulrich (Hrsg.), Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5, Göttingen 2015. Alle weiteren Zitate aus dem DSM sind dem Kapitel „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung“ dieser deutschen Ausgabe entnommen, 77-87. Die Frage, warum dem DSM hier so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, mag durchaus gestellt werden, immerhin grenzt es einleitend seine Verwendbarkeit im Gerichtswesen ein: „Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Definitionen der psychischen Störungen im DSM-5 vorrangig konzipiert wurden, um den Anforderungen von Klinikern, Mitarbeitern des öffentlichen Gesundheitswesens und Forschern gerecht zu werden, und weniger im Hinblick auf die spezifischen Erfordernisse von Gerichten und Angehörigen der juristischen Professionen.“ Aus Sicht der Verfasserin ist die Antwort allein darin zu sehen, dass es derzeit keine sowohl gleichwertige als auch vergleichbar aktuelle Alternative gibt: Die 11. Revision der ICD wird für 2019 erwartet. Beide Klassifikationssysteme, DSM und ICD, folgen zunächst dem kategorialen Ansatz, welcher zur Abgrenzung einer Diagnose fragt, ob die erforderlichen Merkmale vorliegen. Das DSM-5 verwendet nun erstmals auch einen dimensionalen Ansatz, indem es fragt, wie ausgeprägt eine Person die einzelnen Diagnosemerkmale aufweist. Dies hat für die Diagnose der ADHS besondere Relevanz.

      2 Zu den vielen verschiedenen Bezeichnungen für die hier ADHS genannte Diagnose vgl. Rothenberger, Aribert / Neumärker, Klaus-Jürgen, Wissenschaftsgeschichte der ADHS – Kramer-Pollnow im Spiegel der Zeit, Darmstadt 2005. Die Autoren stellen heraus, wie die These von Franz Kramer und Hans Pollnow aus dem Jahr 1932, wonach eine Hirnfunktionsstörung den Symptomen zugrunde liegt, auf breiter wissenschaftlicher Basis weiterentwickelt und teils entkräftet wurde, bis schließlich die nur deskriptiven Bezeichnungen der Störung sich durchgesetzt haben (etwa gegenüber der in den 1960er Jahren verwendeten „MCD“ - Minimalen Cerebralen Dysfunktion).

      3 DSM-5. Abweichend von der Begrifflichkeit des DSM-5 werden die Kriterien in der Literatur teils auch als „Symptome“ oder „Kernsymptome“ bezeichnet, während der DSM-5 mit „Symptomen“ jene Merkmale meint, deren Erfüllung nachzuweisen ist, wenn ein Kriterium als zutreffend gelten soll.

      Abweichend vom DSM-5 wird in der Literatur teils noch, wie auch im DSM-IV, von drei Kriterien ausgegangen, wobei Hyperaktivität und Impulsivität je ein eigenes Kriterium ausmachen. Die im DSM-5 erfolgte kommentarlose Zusammenfassung der beiden hat in Fachkreisen zu Kritik geführt, da man die Forschungskontinuität bedroht sah.

      4 DSM-5. Diesen Wert zeigen auch mehrere Meta-Analysen auf, u. a. jene von Willcutt u. a. aus dem Jahr 2012, die 86 Studien mit Kindern und Jugendlichen und 11 Studien mit Erwachsenen mit insgesamt knapp 180.000 Probanden eingeschlossen hatte. Willcutt, Erik G. u. a., The prevalence of DSM-IV Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder, in: A Meta-Analytic Review. Neurotherapeutics 9 (2012), 490-499.

      5 Schlack, Robert u. a., Hat die Häufigkeit elternberichteter Diagnosen einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in Deutschland zwischen 2003-2006 und 2009-2012 zugenommen? Ergebnisse der KiGGS-Studie – Erste Folgebefragung (KiGGS Welle 1), Robert Koch-Institut, Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung, in: Bundesgesundheitsblatt 57 (2014), 820-829. Der Artikel stellt fest, dass entgegen den Berichten der Krankenkassen, die eine Zunahme der Diagnosehäufigkeit behaupten, zwischen den Zeiträumen 2003-2006 einerseits und 2009-2012 andererseits keine statistisch relevante Veränderung der Diagnosehäufigkeit beobachtet wurde.

      6 DSM-5.

      7 Kuja-Halkola, Ralf u. a., Heritability of attention-deficit hyperactivity disorder in adults, in: Am J Med Genet B Neuropsychiatr Genet 168 (2015), 406-413.

      8 Etwa: Milberger, Sharon u. a., Is maternal smoking during pregnancy a risk factor for attention deficit hyperactivity disorder in children?, in: American Journal of Psychiatry 153 (1996), 1138-1142.

      9 Das Phenylethylamin Methylphenidat ist strukturell den Amphetaminen ähnlich.

      10 Zu den aufgeführten Nebenwirkungen des Dexamphetamin zählen Psychosen, Schizophrenien, Ruhelosigkeit, Nervosität, Euphorie, Dysphorie und Herz-Kreislaufbeschwerden.

      11 Martinez-Raga, José u. a., Profile of guanfacine extended release and its potential in the treatment of attention-deficit hyperactivity disorder, in: Neuropsychiatric diseases and treatment 11 (2015), 1359-1370.

      12 Das DSM-5 betont, dass sich bei Personen mit ADHS häufig komorbide Störungen finden, beim Erwachsenen etwa Angststörungen und depressive Störungen, Substanzkonsumstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Zwangsstörungen und Autismus-Spektrum-Störungen.

      13 Sowohl die ärztliche als auch die gerichtliche Erfahrung zeigt, dass der ersten Aussage eines Patienten / einer Partei über eigene Diagnosepunkte besonderer Wert zukommt, da sie weniger als die Folgeaussagen beeinflusst ist von den empfundenen Erwartungen der Therapeuten / des Gerichtes.

      14 DSM-5.

      15 Der in der Vorbereitungsphase des DSM-5 gestellten Forderung, Symptome wie in den vorigen Auflagen bereits in der früheren Kindheit nachweisen zu müssen, erteilt der aktuelle DSM eine Absage: „ADHS beginnt in der Kindheit. Das Kriterium, dass mehrere Symptome bereits vor dem Alter von 12 Jahren vorliegen müssen, betont die Bedeutung einer bereits in der Kindheit bestehenden erheblichen Ausprägung der Symptomatik. Ein noch früheres Alter für den Störungsbeginn wurde nicht definiert, da eine präzise Bestimmung des Störungsbeginns in der Kindheit retrospektiv oft nur schwer möglich ist. Das Erinnern von Kindheitssymptomen ist im Erwachsenenalter eher unzuverlässig und es ist vorteilhaft, ergänzende Informationen einzuholen.“ (DSM-5).

      16 Sollte in der Kindheit eine Diagnose gestellt worden sein, so ist gerade bei ADHS zu überprüfen, welche fachliche Qualifikation der Diagnostizierende hatte. In diesem Zusammenhang mag auch die Frage nach der von ihm verwendeten Diagnose-Skala gestellt werden: Hat er, wie es z. B. die renommierte Conners-Scale verlangt, Personen aus den verschiedenen Lebensbereichen des Kindes befragt, also außer dem Kind selbst auch seine Eltern und Lehrer?

      17 Der Vorstand der Bundesärztekammer: Stellungnahme zur „Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS)“, 26. August 2005, siehe online: