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Die Naturforschenden


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zu würdigen. Die Rolle seines Freundes Venetz als Anreger seiner Forschungen hob er zeitweise bis in den Titel seiner Publikationen hervor. Sorgfältige Beobachtungen und Feldstudien waren ein weiteres Merkmal seiner Arbeit als Forscher.

      Bei aller Zeitgebundenheit Jean de Charpentiers dürfte seine wichtigste Leistung sein, dass der Gedanke grossräumiger Vergletscherungen in den deutsch- und französischsprachigen Ländern den Weg in die wissenschaftliche Agenda fand. Ebenso war er daran beteiligt, das Thema im englischen Sprachraum zu etablieren. So sind die pathetischen Verse in einem Gedicht des Geologen Arnold Escher von der Linth (1807-1872) über seinen Freund de Charpentier durchaus zutreffend: «Dieser wandte unsern Blick in die ferne Zeit hinaus, wo die hohe Gletschermasse reichte bis zur Bergterrasse […]. Der was anfangs schien vermessen, allen machte licht und klar.»49

      FLAVIO HÄNER

      WIE DIE NATUR IN DIE STÄDTE KAM

      Augustin-Pyramus de Candolle und die Entstehung der naturhistorischen Museen in der Schweiz

      Im frühen 19. Jahrhundert entstanden nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa neue Bauwerke, in denen Menschen die Natur studieren konnten, ohne dazu in die Natur hinausgehen zu müssen. Hierzu gehören die botanischen Gärten wie auch die ersten naturhistorischen Museen. Die Naturforschenden brachten hier die Gegenstände zusammen, die sie in der Natur gesammelt hatten, gaben ihnen Namen, klassifizierten und arrangierten sie. In den künstlich geschaffenen Räumen strebte man danach, die Natur als ein geordnetes System darzustellen. Doch die Einrichtung solcher Anstalten geschah nicht ohne Schwierigkeiten. Zum einen musste eine Vielzahl von Objekten aus der Natur in die Städte verfrachtet werden. Zum anderen mussten die Naturforschenden die Öffentlichkeit, also die Politik und auch die breite Gesellschaft, vom Nutzen und Zweck des Sammelns und Ausstellens von Objekten aus der Natur überzeugen. Gleichzeitig galt es, die Naturforschung überhaupt als eine eigenständige Wissenschaft zu etablieren.1

      Eine der zentralen Figuren, die sich in der Schweiz für die Errichtung von botanischen Gärten, naturhistorischen Museen und damit für eine Modernisierung der Naturwissenschaften einsetzte, war der namhafte Genfer Botaniker Augustin-Pyramus de Candolle (1778-1841). In der Wissenschaftsgeschichte ist de Candolle vor allem für die Entwicklung eines neuen Klassifikationssystems für Pflanzen bekannt, auf das sich etwa auch Charles Darwin bezog.2 Hier soll seine Rolle bei der Entwicklung einer modernen naturwissenschaftlichen Infrastruktur in der Schweiz näher beleuchtet werden. Er und seine Zeitgenossen setzten sich dafür ein, dass sich die Naturforschung in der Schweiz von einem privaten Freizeitvergnügen wohlhabender Patrizier- und Magistratsfamilien zu einem öffentlichen und staatlich getragenen Projekt wandelte.

      DIE SCHWEIZ, DER GARTEN EUROPAS

      Vor dem Hintergrund der Romantik und der aufblühenden Naturphilosophie avancierte die Schweiz im 18. Jahrhundert zu einem der beliebtesten Reiseziele für Naturliebhaber aus ganz Europa. Die unwegsamen Gebirge mit eisbedeckten Gletschern wurden nicht mehr als Schreckbilder und öde Wildnis empfunden. Gemeinsam mit den tiefen Tälern, waldbedeckten Hügeln und unzähligen Flüssen, Bächen und Seen mit ihren Auen- und Uferlandschaften wurde die schweizerische Landschaft zunehmend als eine Art weltliches Paradies gedeutet. So hielt der deutsche Arzt und Geograf Johann Gottfried Ebel gegen Ende des Jahrhunderts in seinem Reisehandbuch über die Schweiz fest:

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      Abb. 1: Wild-romantische Schweizer Natur. Ein Stich aus einem Buch des deutschen Reisenden Christian Hirschfeld von 1776.

      «Es gibt zuverlässig kein Land, keinen Teil unsers Erdbodens, der in so vielen Rücksichten merkwürdig und interessant wäre als die Schweiz […]. Alles Grosse, Ausserordentliche und Erstaunenswürdige, alles Schreckliche, Reizende, Heitere, Ruhige, Süsserquickende, was in der ganzen Natur zerstreut ist, scheint sich hier in einen kleinen Raum vereinigt zu haben, um dies Land zu dem Garten von Europa zu bilden, wohin alle Anbeter der Natur pilgern und wo sie für ihre Opfer in dem vollsten, reinsten Masse Belohnung und Befriedigung erhalten sollten.»3

      Der Ruf der Schweiz als Naturparadies wurde vor allem in den grossen europäischen Metropolen gefestigt. So nannte man in Paris einen im Jahr 1794 neu eröffneten Landschaftspark mit Tiergehegen und damit einen der ersten öffentlichen zoologischen Gärten der Welt schlicht la vallée suisse.4 Doch auch in der Schweiz selber lernten wohlhabende Bürger ihr Land mit anderen Augen sehen. Eine besondere Rolle spielten dabei die Naturalienkabinette, wie etwa der deutsche Universalgelehrte Christian Cajus Lorenz Hirschfeld im Jahr 1777 erläuterte:

      «Man kann den Schweizern das Lob nicht entziehen, dass sie nicht nur auf die Merkwürdigkeiten ihres Landes sehr aufmerksam sind, sondern auch den Fremden mit Vergnügen vorzeigen. Selbst viele Prediger in den entlegenen Berggegenden fangen an, sich aus der Sammlung und Untersuchung der Naturalien ihres Vaterlandes eine eben so nützliche als angenehme Beschäftigung zu machen.»5

      Die gelehrten Reisenden fanden Naturalienkabinette nicht nur in den grossen Städten wie Basel, Bern, Zürich, Genf, Lausanne, Neuchâtel oder Luzern, sondern ebenso in kleineren Ortschaften wie Schaffhausen, Solothurn, Yverdon, Altdorf, Glarus oder La Ferrière. Ihre Besitzer waren Professoren, Ärzte, Apotheker, Pfarrer, Schullehrer, Künstler. Auch manch vermögender Bankier oder Fabrikbesitzer pflegte eine kleine Sammlung von Naturgegenständen.6 Andere spezialisierten sich gar auf den Handel mit Naturalien und Naturgegenständen. Das Sammeln, Handeln und Tauschen von Naturalien war aber nicht bloss eine vergnügliche Freizeitbeschäftigung. Die Sammlungen bildeten die unerlässliche Grundlage für das Studium der Natur. Dies geht aus dem Eintrag zu den Naturalienkabinetten in der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert aus dem Jahr 1752 hervor:

      «Die Wissenschaft der Naturgeschichte macht Fortschritte in dem Masse, wie sich die Kabinette vervollständigen; das Bauwerk wächst aber nur durch die Materialien, die es beherbergt, und es wird kein Ganzes bilden, bevor alle seine wesentlichen Bestandteile zusammengebracht sein werden […]. Erst in diesem Jahrhundert hat man sich mit dem notwendigen Eifer der Naturgeschichte angenommen und derart grosse Fortschritte in diesem Unternehmen gemacht. Es ist auch unser Jahrhundert, das sich durch die Gründung der vortrefflichsten Einrichtungen auszeichnet, der Naturhistorischen Kabinette.»7

      Die ungezählten Naturalienkabinette, die im 18. Jahrhundert zumeist in den städtischen Räumen der damaligen Schweiz entstanden, waren in privatem Besitz. Sie für Studienzwecke zu verwenden, war meist ihren Besitzern vorbehalten.8 Doch Sammlungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, war ein Gebot der Zeit, wie etwa die britische Schriftstellerin und Dichterin Helen Maria Williams (1761-1827) bei ihrem sechsmonatigen Aufenthalt in der Schweiz im Jahr 1794 bemerkte:

      «Unter den Merkwürdigkeiten der Schweiz, welche die Aufmerksamkeit von Reisenden verdienen, sind die Naturhistorischen Kabinette nach der Meinung der Einheimischen von besonderem Rang. […] ein beachtliches und wertvolles Museum könnte einst aus diesen Sammlungen hervorgehen, wenn diese zusammengeführt und in den Dienst der Öffentlichkeit gestellt würden.»9

      SAMMELN UND FORSCHEN – IMPULSE AUS DEM AUSLAND

      Es war allerdings nicht nur der mangelnde öffentliche Zugang zu naturhistorischen Sammlungen, die der Modernisierung der Naturforschung um 1800 im Weg stand. Es fehlte auch an Ausbildungsmöglichkeiten für angehende Naturforscher. Anders als an anderen grossen akademischen Hochschulen in Europa existierten in der Schweiz bis ins 19. Jahrhundert nämlich noch gar keine naturwissenschaftlichen Fächer oder Lehrstühle, weder an den Akademien in Genf, Lausanne und Bern noch an der Universität Basel.10 Einzig die Botanik war als Teilbereich der Medizin bereits in der wissenschaftlichen Lehre und Forschung vertreten, doch interessierten sich die Ärzte mehr für die Verwendung der Pflanzen als Arzneimittel und weniger für deren Systematik, Physiologie oder Taxonomie. Erst um 1778 lassen sich erste Tendenzen für die Einrichtung naturhistorischer Sammlungen an Schweizer Hochschulen nachweisen. In Basel kaufte die Regierung