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Kirche


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junge, dynamische Mitte unserer Gesellschaft, das Adaptiv-Pragmatische Milieu, aber auch an das Expeditive Milieu und das der Performer.

      (5) Der sog. Milieuregiotrend der Firma microm zeigt eine Hochrechnung der Milieuentwicklung. Welche werden wachsen, welche schrumpfen? Prognostiziert werden in den nächsten Jahrzehnten ausgerechnet die Milieus stark, ja teilweise dramatisch abnehmen, in denen Kirche besonders verankert ist. Umgekehrt werden die Milieus quantitativ und qualitativ, an Zahl und Bedeutung, wachsen, in denen Kirche herkömmlich nicht oder wenig verankert ist.

       b) Konsequenzen

      Menschen suchen vielfach

      – Kirche, aber nicht die vorfindliche Kirchengemeinde vor Ort,

      – Gemeinschaft, aber nicht Gemeinde,

      – Sinn, Orientierung, Halt – aber nicht „Glaube“ im Sinne einer vorgegebenen christlichen Weltanschauung bzw. Doktrin,

      – Gottesdienst, Nähe zu Gott, Berührtwerden von Gott, aber nicht im Sonntagvormittag-Gottesdienst um 9:30 Uhr.

      Wir stehen als Kirchen und Christen jetzt vor der Entscheidung. Entweder wir erklären,

      – nur die konservativ-traditionelle Prägung, die prämoderne Haltung ist die eigentlich christliche; nur die (klein)bürgerliche Formatierung von Kirche ist die eigentlich normale. Alles andere sind höchstens geduldete und eingeräumte Abweichungen;

      – nur die Ortskirchengemeinde, die Gemeinde vor Ort, ist Gemeinde, normale Gemeinde; ist richtig Gemeinde;

      – nur der Gottesdienst am Sonntagvormittag ist eigentlich Gottesdienst, er ist die Hauptveranstaltung, zu der sich eigentlich alle einfinden sollten. Und es muss dann auch unser gemeindebauendes Ziel sein, ihn zu stärken.

      Oder wir erkennen im Licht der Lebensweltperspektive:

      – Das ortsgemeindliche und parochiale System ist lange Zeit kongenialer Ausdruck einer genialen Weise gewesen, alle zu erfassen. Es ist auf optimale Weise einer Lebensweise angepasst, die auf Stetigkeit, Dauer, Ortskonstanz angelegt ist. Aber genau diese geniale Passung passt heute für die allermeisten Menschen nicht mehr. Das Prinzip Ortsgemeinde, das für Traditionelle prima passt, muss ergänzt werden, um frische, alternative, zusätzliche Formate von Kirche, die den heutigen, postmodernen Lebenswelten entsprechen, für sie anschlussfähig sind und in sie hineinreichen, ja im besten Fall aus ihnen herauswachsen.

      – Unser konservativ-bürgerliches Weltordnungsdenken entspricht in genialer Weise einer über Jahrhunderte zusammengewachsenen bürgerlich-christlichen Kultur, die wir heute mühsam zu modernisieren suchen. Ich erinnere an „Kirche der Freiheit“, das Programmpapier der EKD aus dem Jahr 2006. Aber in postmoderner Welterfahrung ist diese Synthese samt ihrem weltanschaulichen Hintergrund zerbrochen, und die Frage nach Sinn und Orientierung, Sicherheit und Geborgenheit, Gott und Glaube stellt sich heute spezifisch anders, ganz anders– sicher nicht im Sinne einer transzendenten Wirklichkeit, die schließlich und endlich garantiert, dass hier auf dieser Welt alles in Ordnung ist oder kommt.

      – Ein prämodernes Lebenskonzept freut sich über Stetigkeit und Konstanz eines kontinuierlich und verlässlich konservativen, allenfalls leicht modernisierten Gottesdienstangebotes am Sonntagvormittag oder auch in sog. Zweitgottesdiensten. Für die meisten Kirchenmitglieder bedeutet aber gerade diese traditionelle Prägung des Gottesdienstes, von der Ästhetik über die Liturgie, die Musik, die Konstanz von Ort und Zeit, ein kulturelles Ausschlusskriterium. Weil sie selber so nicht leben, vielfach nicht leben können, signalisiert ihnen dieses Setting: Wir gehören nicht dazu. Nicht für uns.

      Bei der Weichenstellung, die hier ansteht, geht es weniger um pragmatisch-methodische Fragen. Es geht – bedrohlicherweise, oder je nach Perspektive: einfacherweise – vor allem und zunächst um uns. Damit bin ich bei

       II Milieuüberschreitung fängt bei uns an

       a) Unser Umgang mit dem Fremden

      Wir wollen andere erreichen, nach Möglichkeit und im Prinzip alle. Und dann gibt es da die Haltung: „Komm zu Christus und werde – wie wir!“ Da gibt es in schwäbischen Dörfern am Ortseingang die gelb-violetten Schilder, die die Zeiten für den Gottesdienst angeben. Die implizite Botschaft ist: Das ist der Gottesdienst für alle. Da treffe ich bei missionarisch gesinnten Christen auf das abwehrende Diktum: Bei uns wird doch jeden Sonntag evangelisiert. Oder: Wir laden doch alle ein. Wir sind doch für alle da. Jeder kann doch kommen. Oder: Gottes Wort ist doch klar. – Und viele auch sehr engagierte Christen sehen oft nicht,

      – wie sehr ihr Gemeindeleben durch ein bestimmtes Milieu buchstäblich „bestimmt“, dominiert ist,

      – wie wenig die Art, wie wir ticken, „normal“ ist; dass die Normalitätsunterstellung davon lebt, dass wir vorwiegend mit unsersgleichen zusammen und unterwegs sind; dass sie zeigt, wie wenig missionarisch wir leben, wie wenig wir wirklich mit anderen Menschen, ganz anderen, Kontakt haben, wie sehr wir das im Gegenteil oft scheuen. Das Fremde, Andere, Ungewöhnliche, Ungewohnte ist immer unbequem.

      – wie sehr Inklusion immer auch Exklusion bedeutet: Was die einen verlässlich anzieht: die spezielle (sub-)kulturelle und mentale, über längere Zeit gewachsene Prägung unserer Gemeinde, schließt andere ebenso zuverlässig aus. Sie, die in anderen Lebenswelten unterwegs sind, spüren es: Das ist nicht unsere Welt. Das muss man ihnen gar nicht sagen.

      Auch engagierte Christen sehen oft nicht,

      – wie sehr wir als Kirche von uns aus denken und dann danach fragen, was zum Bestehenden passt. Da gibt es in Württemberg eine Debatte im Evang. Gemeindeblatt über die Beteiligung von Gemeindegliedern am Gottesdienst. Und dann kommt der Einwand: Ja, aber dazu ist doch der Pfarrer da; dafür ist er ausgebildet. Sie spüren: Die Logik ist: Wenn wir etwas ändern wollen, muss das zu uns passen. Wir denken vielfach noch zu sehr von uns her, statt von den Menschen her, die wir erreichen, die wir anziehen wollen. Gott wird Mensch, wenn und weil er uns erreichen will; er gibt seine göttliche, himmlische Herrlichkeit auf, entleert sich – so der Philipperbrief (2,5 ff) – seiner kulturellen und sozialen Identität. Er kommt zu uns, tritt in unsere Lebenswelten ein, statt weiter zu erwarten, dass wir zu ihm kommen. An diesem Kommunikationsverhalten des Lebendigen können wir uns orientieren.

      D. h.:

      – nicht mehr nur die Komm-, sondern eben auch die Geh-Struktur!

      – nicht mehr: wir zeigen euch, was richtig ist, sondern mit den Worten von Klaus Hemmerle: „Lass mich dich lernen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe.“

      Veränderung des anderen fängt mit meiner Veränderung an. Lernen des anderen fängt mit meinem Lernen des anderen an. Sie können es auch ganz drastisch und viel säkularer ausdrücken:

      – Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.

      – Der Direktor des Sinus-Forschungsinstitutes, Marc Calm-bach, spricht von der „Demut der Märkte“, die danach fragen, was die Menschen brauchen, und die nicht einfach ihr Produkt loswerden wollen. Ja! Christen und Kirchen können auch hier etwas lernen.

       b) Ekelschranken – igitt!

      Wir wollen Milieugrenzen überschreiten. Lebensweltforschung kann uns noch einen weiteren Dienst tun. Sie hilft uns nicht nur wahrzunehmen, wie fremd uns das wirklich andere ist. Sie deckt auch anthropologische Zusammenhänge auf, mit denen wir bei uns – auch beim besten Willen! – rechnen müssen.

      Den Grundsatz „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ kennen wir alle. Milieus als Gruppen gleich Gesinnter erfüllen wichtige soziale und mentale Funktionen. Sie bieten ihren Bewohnern Sicherheit, Geborgenheit, Identität. Sie sind gerade in einem pluralen Kontext mit allen möglichen Prägungen, Einstellungen und Subkulturen enorm wichtig. Sie sind Rückzugsräume für die, die mal nicht mehr entscheiden und überlegen oder streiten wollen: Bin ich richtig? In meinem Milieu treffe