Heinz Bachmann

Hochschullehre variantenreich gestalten


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festigt damit das Gelernte.

      Dieses überaus einfache Prinzip ist wirksam, weil es Lehrende davor bewahrt, diejenigen aufzurufen, die die Antwort bereits parat haben, bevor die Frage ausformuliert ist. Darüber hinaus werden alle Lernenden aktiviert, nicht nur diejenigen, die sich melden. Die Beteiligung aller am Lerngeschehen steigt. Dadurch, dass Studierende aufgefordert werden, immer wieder mit anderen Studierenden ins Gespräch zu kommen, besteht die Möglichkeit, sich über gedanklichen Austausch zu einem Thema näher kennenzulernen – und wiederum wird Vielfalt und Verschiedenheit erlebbar gemacht.

      3.5Gegenseitige positive Abhängigkeit (Interdependenz)

      Gegenseitige positive Abhängigkeit besteht immer dann, wenn verschiedene Personen gemeinsame Ziele verfolgen und das Ergebnis jedes Einzelnen vom Handeln der anderen abhängt. Die Dozentin, der Dozent stellt eine so spannende und komplexe Aufgabe, dass eine positive Abhängigkeit in der Gruppe entsteht, weil alle das Ziel erreichen wollen und dabei aufeinander angewiesen sind. Den Lernenden wird klar, dass das Ziel nur erreicht wird, wenn alle ihren Beitrag leisten. Beispielsweise bekommt jedes Gruppenmitglied nur einen Teil des Materials oder der Information, sodass in direkter Interaktion diskutiert und ausgehandelt werden muss, um die Aufgabe zu erfüllen oder das Problem zu lösen. Mit der Strategie STAD oder auch Gruppenralley genannt (Slavin 1993, S. 154) kann die gegenseitige positive Abhängigkeit in der Gruppe unterstützt werden (Abbildung 3).

      Falls eine Gruppe für eine längere Lerneinheit zusammenbleibt, wie beispielsweise in einer Projektwoche, kann das Zusammengehörigkeitsgefühl auch durch Identitätssymbole (Entwerfen eines Logos oder Namensgebung) oder durch Rituale (wie einen Song oder Slogan) unterstützt werden. Wenn die Studierenden mit Kooperativem Lernen noch nicht vertraut sind, ist es ratsam, die Aufgaben stärker zu strukturieren. Mit wachsender Erfahrung können Lehrende ihre Vorgaben vereinfachen und reduzieren und den Lernenden auch mehr Spielraum für Entscheidungen überlassen. Das bedeutet, dass die Studierenden selbst bestimmen, wie sie ihre Teams und ihre Gruppenarbeit organisieren, die Recherche ausführen oder das Ergebnis im Plenum präsentieren. Wenn immer möglich, sollten auch dann die individuellen Beiträge der einzelnen Gruppenmitglieder beurteilt werden, um ungünstige gruppendynamische Prozesse zu vermeiden.

      3.6Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit

      Jede oder jeder kann drankommen, alle müssen ihren Teil beitragen. Die Leistungen der Gruppenmitglieder sind verschieden. Im Idealfall sind sie daran interessiert, dass die Lernresultate jedes einzelnen Mitglieds maximiert werden, dass das erarbeitete Produkt funktioniert und gefällt. Jedes Gruppenmitglied muss den Prozess und das Ergebnis der Gruppe verantworten. Jedes Gruppenmitglied tut, was seinen Möglichkeiten entspricht. Wenn diese Haltung entsteht, gibt es z.B. kein «Trittbrettfahren». Für die Präsentation einer diskutierten Fragestellung wird ein Gruppenmitglied zufällig ausgewählt. Die sechs Mitglieder nummerieren sich von 1 bis 6. Dann entscheidet der Würfel darüber, wer für alle stellvertretend präsentiert oder Bericht erstattet. Bei größeren Produkten und Lerneinheiten gilt hingegen, dass alle Teammitglieder für die Präsentation verantwortlich sind (Verantwortungsübernahme und gegenseitige positive Abhängigkeit). Durch eine Lernkontrolle am Ende einer kooperativen Lernphase können alle Lernenden zeigen, wie sie die geforderten Lernziele erreicht haben. Und aufgrund der Vergabe von Punkten nach individuellem Leistungszuwachs können individuelle Lernfortschritte Berücksichtigung finden (Kapitel 4.2).

      Zur Unterstützung der Interaktion und der Stärkung des individuellen Verantwortungsgefühls übernehmen die Lernenden explizite Rollen. Die im Folgenden aufgeführten Rollen bedienen die Grundfunktionen Kooperativen Lernens. Es sind durchaus auch andere denkbar, wie z.B. Motivator, Journalistin, Kundschafter (schauen, was andere Gruppen machen, die Ergebnisse abgleichen und die daraus resultierenden Erkenntnisse in das eigene Team zurückbringen). Wichtig ist, dass die Beteiligten ihre Rolle konsequent einhalten und reflektieren. Da die Lernenden je nach Rolle spezifische Handlungen durchführen – Planen, Organisieren, Kontrollieren usw. –, erweitern sie ihr Repertoire an Lern- und Arbeitstechniken ständig. So erarbeiten sie sich nicht nur neues Wissen, sondern auch Lernstrategien, und sie erweitern ihre überfachlichen Kompetenzen wie beispielsweise die Moderationsfähigkeit.

      Rollen im Kooperativen Lernen

      Moderatorin

      Sie sorgt dafür, dass alle alles verstanden haben; achtet darauf, dass alle mit­arbeiten; schaut, dass alle die Hilfe erhalten, die sie brauchen. Sie ist auch Sprecherin der Gruppe (z.B. stellt sie Fragen an den Dozenten oder die Dozentin).

      Schreiber

      Er erledigt alle Schreibarbeiten während der Gruppenarbeit. Er ist für die Gestaltung des Endprodukts, falls es sich um eine schriftliche Arbeit handelt, verantwortlich.

      Berichterstatterin

      Sie organisiert die Präsentation der Gruppenarbeit. Sie bespricht mit der Gruppe, was wie präsentiert werden soll.

      Zeitplaner

      Er schaut, dass die Zeit gut eingeteilt wird. Er ist dafür verantwortlich, dass die Gruppe zu Beginn einen guten Zeitplan aufstellt und ihn – wenn nötig – anpasst.

      Prozessbeobachterin

      Bei Fortgeschrittenen sichert die Prozessbeobachterin quasi die Spuren der Gruppenarbeit, indem sie den Gruppenprozess im Auge behält. Am Schluss der Lerneinheit in der Gruppe berichtet sie den anderen, wie die Zusammenarbeit wahrgenommen und erlebt wurde.

      Ressourcenverwalter

      Der Ressourcenverwalter hat als Einziger die Informationen und sucht vielleicht nach weiteren wichtigen Texten, Bildern, Materialien; diese Rolle wird je nach Bedarf eingesetzt.

      3.7Denk- und Lernprozessorientierung

      Kooperationsfähigkeit, Initiative und Verantwortungsbereitschaft im Team sind einerseits wichtige Kompetenzen, die nur in und mit Gruppen gelernt werden können. Und andererseits verlangt Kooperation von allen Beteiligten erhebliche soziale und kommunikative Fertigkeiten, die entwickelt, angewendet und reflektiert werden müssen. Dazu gehört, Verantwortung für sich selbst und für das Wohl anderer zu übernehmen, ebenso wie die Kompetenz zur Führung oder die Fähigkeit, sich führen zu lassen. Auch Rollen übernehmen und zuteilen braucht Übung und Anwendung. Soziale Fähigkeiten sind vorwiegend dann Teil der Aufgabenstellung, wenn ihnen im Vorfeld und Rückblick besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.

      Durch die Betonung des Lernweges rücken neben sozialen Lernzielen auch metastrategisches Können und Wissen in den Vordergrund. Lehrende können zum Aufbau und zur Nutzung von metastrategischem Wissen beitragen, indem sie die Aufgaben so stellen, dass die Anwendung bestimmter (meta)kognitiver Strategien nahegelegt wird. So kann beispielsweise eine Mindmap mit unterschiedlicher Rollenverteilung in der Gruppe diskursiv erstellt werden. Die geforderte aktive Beteiligung in der Gruppe regt auch die intellektuelle Entwicklung der Einzelnen verstärkt an, so zum Beispiel durch die Notwendigkeit, eigene Ideen in der Gruppe zu artikulieren und zu verteidigen oder den eigenen Denkprozess infrage zu stellen.

      3.8Die Reflexion

      In Varianten und nicht unbedingt chronologisch laufen in jeder Kleingruppe die fünf grundlegenden Prozesse der Gruppendynamik ab (Stanford 1998, S. 14 f.): Orientierung, die Einführung von Normen, Umgang mit Konflikten, Produktivität, Auflösung. Die Reflexion, die möglichst nach jedem Gruppenlernen erfolgt, ist eine zentrale Schaltstelle