übernehmen und einen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten. Sein Anliegen war es, Demokratie in pädagogischen Prozessen zu verwirklichen. Wesentliche Impulse zur Entwicklung der Gruppendynamik gab Lewin, Mitbegründer einer experimentellen Sozialpsychologie, der menschliches Verhalten als Handeln in Situationen betrachtete und erforschte. Bezüglich kognitionstheoretischer Grundlagen für die Entwicklung des Kollaborativen und Kooperativen Lernens wird jeweils auf die Annahmen von Jean Piaget (1896–1980) und Lew Wygotsky (1896–1934) verwiesen. Piaget hat erkannt, dass Lernen ein Konstruktionsprozess ist und dass Sprache, Werte, Regeln, Moral oder Symbolsysteme wie Mathematik und Schrift nur in Interaktion mit anderen gelernt werden können. Auch nach Wygotsky kann Lernen nur im gemeinschaftlichen Kontext durch die Verinnerlichung von sozialen Aktivitäten erfolgen. Dazu kamen in jüngerer Zeit sozialkonstruktivistische Überlegungen. Ausgehend von der Bedeutung sozialer Interaktion als Anlass für Konstruktionsprozesse betont Reich (2006) die Beziehungsseite von Lehr-Lern-Prozessen: «Lernen ist immer eine soziale Situation und ein zwischenmenschliches kommunikatives Ereignis» (S. 18). Demzufolge können Lernprozesse mittels gemeinsamer Konstruktion von Bedeutung und entsprechender Aushandlungsprozesse durch die Gesprächspartner in der Gruppe angestoßen werden. Die aktive Rolle der Lernenden entspricht zudem den Ergebnissen der aktuellen Lernforschung. Es gilt mittlerweile als gesichert, dass aktive Eigenkonstruktionen eine wesentliche Basis «jedes kognitiv konstruktivistischen Lernens darstellen – dies im Gegensatz zu rein reproduktiven und mechanisch-passiven Formen des Lernens» (Reusser 2001 S. 127).
Es gibt nicht nur unterschiedliche Begründungen, sondern ebenso verschiedene Zielebenen für Kooperatives Lernen. Aus einer lerntheoretischen Perspektive wird argumentiert, dass beim Lernen durch Austausch- und Aushandlungsprozesse sowohl Wissen als auch Denkstrukturen erworben und erweitert werden. Die Pädagogik und Didaktik argumentiert mit der Mehrdimensionalität von Kooperativem Lernen: Es wird ein Inhalt gelernt, wobei Wissen (re)konstruiert und damit gefestigt wird. Je nach Aufgabenstellung werden Fertigkeiten wie zum Beispiel Plakatgestaltung eingeübt. Über den Lernweg werden soziale Ziele verfolgt und Haltungen wie Respekt oder Verantwortungsübernahme können sich entwickeln. Zudem müssen Lernstrategien angewendet und reflektiert werden, und weil die Dozentin oder der Dozent die Steuerung zu einem großen Teil abgibt, können Selbstständigkeit, Disziplin und Eigenverantwortung wachsen.
3Merkmale Kooperativen Lernens
Im Vergleich zur herkömmlichen Gruppenarbeit lassen sich spezifische Merkmale Kooperativen Lernens beschreiben, die das Potenzial dieses Ansatzes verdeutlichen (Green & Green 2007; Huber 2006/1993; Johnson, Johnson & Holubec 2005; Konrad & Traub 2001).
3.1Heterogene Gruppen und Ressourcenorientierung
Heterogene Gruppen beim Kooperativen Lernen haben zum Ziel, der Verschiedenheit der Lernenden gerecht zu werden. Die Aufgabe der Gruppenarbeit muss so gestellt sein, dass unterschiedliche Kompetenzen für die Zielerreichung gefragt sind. Jede Studentin und jeder Student stellt die eigenen Ressourcen und Fähigkeiten für die Lösung des Problems und das Gruppenergebnis zur Verfügung. Es ist je nach Situation die Aufgabe der Lehrenden, einerseits über die Gruppenzusammensetzung und andererseits über die Rollenverteilung (Rollen, S. 34) den Zugang zu vorhandenen Ressourcen zu regeln. Der Dozent oder die Dozentin stellt die Aufgabe so, dass für die Lösung unterschiedliche Fertigkeiten und Fähigkeiten gefragt sind, und ist darauf bedacht, die Lernenden so auf die Gruppen zu verteilen, dass diese gesamthaft über alle nötigen Ressourcen verfügt (vgl. auch Komplexe Instruktion).
3.2Jede/r kann etwas gut und niemand ist gut in allem
Immer wieder kommt es vor, dass die Mitglieder einer Gruppe überhaupt nicht miteinander zurechtkommen, sei es, weil die Arbeitsgeschwindigkeiten zu unterschiedlich sind, die Arbeit wenig produktiv und effektiv aufgeteilt wurde, weil Machtkämpfe um die Führungsrolle ausgetragen werden oder weil unsichere Studierende Schwierigkeiten haben, sich einzubringen. In der Literatur wird dieses Phänomen oft als eine Art «soziales Faulenzen» beschrieben. Dies ist eine eingeschränkte Sichtweise, da hinter solchen Phänomenen auch der Umgang mit Verschiedenheit steht.
Die moderne Gesellschaft hat einen neuartigen Charaktertyp hervorgebracht – einen Menschen, der darauf bedacht ist, die Ängste zu verringern, die durch Unterschiede ausgelöst werden können, ob sie nun politischer, rassischer, religiöser, ethnischer oder erotischer Natur sind. (Richard Sennett 2012, S. 21)
Der Umgang mit Differenz wird beim Kooperativen Lernen zum Thema. Die Dozentin oder der Dozent weist im Plenum auf diesen Zusammenhang hin, indem zum Beispiel betont wird, dass niemand in der Gruppe über alle, aber jedes Mitglied über unentbehrliche Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügt. Deshalb muss zusammengearbeitet werden. Diese Bedingung ist von großer Wichtigkeit. Es soll offen darüber diskutiert werden, welche Differenzen beim Lernen bedeutsam sind und wie der Diskriminierung Einzelner entgegengewirkt werden kann. Zumindest phasenweise muss deshalb auch Coaching durch die Lehrenden angeboten werden.
Abbildung 1: Beispiel für die Taktik Placemat (Platzdeckchen)
Bei der Präsentation der Ergebnisse beteiligt sich jeweils jedes Gruppenmitglied. Die zugeteilte Rolle und deren Übernahme involviert alle Mitglieder in den Gruppenprozess, sie sichert eine klare Position und ein spezifisches Aufgabenfeld. Dadurch erhalten alle Beteiligten eine Stimme. Kooperatives Lernen schult die Fähigkeit, die Verschiedenartigkeit der Gruppenmitglieder zu erkennen und als unauflösbare Spannung zu akzeptieren. Im Kooperativen Lernprozess kann sich der Sinn für Zugehörigkeit und Respekt füreinander entwickeln. Ein einleuchtendes Beispiel dafür, wie Interaktion beim Lernen unterstützt werden kann, ist die Taktik Placemat (Green & Green 2007, S. 136). Dabei handelt es sich um eine Methode, Wissen zusammen zu führen und zu erweitern. Durch die vorgegebene Einteilung eines möglichst großen Papierbogens und Phasen der Bearbeitung wird die Interaktion strukturiert. Die Taktik ist einfach und situativ einsetzbar. Die Aufgabenstellung zu Abbildung 1 lautete: Was wissen Sie über qualitative Forschung und wissenschaftliches Arbeiten?
Das hier abgebildete Placemat entstand im Rahmen eines Forschungsprojektes in der Ausbildung «Soziales Feld Schule – mehr als Unterricht und Didaktik» unter der Leitung von Sibylle Künzli und Petra Hild an der Pädagogischen Hochschule Zürich (FS12/HS13).
Placemat eignet sich besonders gut für die Sammlung von Ideen und das Zusammentragen von Vorschlägen, Leitgedanken oder Argumentationen. Passend ist es auch innerhalb des ersten Schrittes einer Lerneinheit, um Vorwissen zu einem bestimmten Thema zu aktivieren, wie in diesem Beispiel. In der anschliessenden Diskussion kann im Plenum auf einzelne Punkte näher eingegangen werden, und es können Differenzen zwischen dem zu erlernenden Inhalt und den von den Studierenden zusammengetragenen Gedanken aufgezeigt und diskutiert werden. Die Methode verdeutlicht zudem den Anspruch, die individuellen Beiträge für das Gesamtprodukt sichtbar zu machen. Die Urheber und Urheberinnen ihres Werkes unterschreiben auch deshalb mit ihrem Namen oder ihren Initialen. Im folgenden Kasten sind die Phasen und Schritte der Taktik Placemat zusammengefasst:
Phasen der Taktik Placemat
A Einzelarbeit: Schreiben, Zeichnen, Sammeln
In einer vereinbarten Zeit denken die Lernenden zuerst einmal die Aufgabenstellung durch und schreiben ihre Ideen und Vorschläge ins dafür vorgesehene Außenfeld, dies ohne miteinander zu sprechen. Ein Placemat braucht so viele Außenfelder wie Gruppenmitglieder und muss jeweils entsprechend eingeteilt werden.
B Einzelarbeit: Lesen und Verstehen
Im nächsten Schritt wird das Placemat gedreht, sodass alle die Vorschläge in den Feldern der Gruppenmitglieder nachlesen können. Klärungsfragen