Bent Gebert

Wettkampfkulturen


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gefährdet: indem Schwierigkeiten dabei auftreten, die sozialen Imperative der Reziprozität und des Agons zugleich zu erfüllen. Das Verhältnis zwischen der virtuellen Gleichheit aller (Tafelrunde) und dem Gebot, dennoch festliche Ordnung auch agonal durch Hierarchisierung herzustellen, ist per se prekär, wenn nicht paradox.13

      So allgemein dieser Forschungskonsens zur höfischen Epik geteilt wird, so häufig wird jedoch diese Spannung von Wettkämpfen in Analyse und Theoriebildung aufgelöst. Betonte Haferland vor allem die fairen Regeln, die »Störungen« und Gefährdungen zu zähmen vermögen, so rückt nur eine Seite dieses Verhältnisses in den Blick. Unterscheidet man außerdem den gewaltsamen »Ernstkampf« vom kooperativen »Wettkampf«,14 so bricht jenes Kontinuum in kategorische Teile auseinander, das viele Wettkämpfe der höfischen Epik spannungsvoll zusammenhalten und verdichten.15

      Solche Verlagerungen und Unterscheidungen prägen nicht erst die kulturwissenschaftliche Wettkampfforschung, sondern sind, wie noch näher zu beleuchten ist, tief in der Streitsoziologie verwurzelt. Noch auf der Ebene theoretischer Reflexion kann man darin Reaktionen auf Paradoxien sehen, die verschoben, verdeckt oder unterscheidungstechnisch auseinandergelegt werden. Sie zielen darauf, die schwierigen Formen von Wettkämpfen in schlechte Konflikte (»Feindseligkeit«) und gute Wettstreite (»kooperative Praxis«) zu schlichten. Gawein und Gasozein, Iwein und Gawein und viele andere seltsame Wettkämpfer höfischer Romane verstricken sich jedoch in Zuneigung und Aggression zugleich, die oft in keinerlei Auflösungs- oder Erkennensszene harmonisiert werden.

      Das hat auch seinen theoretischen Preis. Denn obwohl im agonalen Schema weitreichende Möglichkeiten zu kultureller Reflexion angelegt sind,16 wird fraglich, wem oder was solche Spannungen in höfischen Texten zugerechnet werden. Haferland schlägt dazu vier Bezugsmöglichkeiten vor, die stets Probleme von agonalen Formen offenlegen. So ließen sich ritterliche Zweikämpfe erstens als Praktiken psychosozialer »Involution« lesen, die Manifestationen von sozialer Konkurrenz »in das Verhalten und Handeln einer Person hinein[nehmen]«.17 Erhellend weist Haferland damit auf, dass das alternierende Schema des Wettkampfs nicht bloß als Abfolge sondern genauer als Einlagerungsstruktur zu analysieren ist, das Bezugnahme, Reaktion und Vertiefung miteinander verkettet. Aber binden Wettkämpfe diese Form stets an psychische Strukturen oder an personalen Habitus? Dies mag für Fälle gelten, die etwa agonale Selbstreflexion als Seelenkämpfe gestalten.18 In andere Richtung führen hingegen Zweikämpfe wie das Einleitungsbeispiel der Krone, die ihre komplexen Strukturen ganz an der Oberfläche der erzählten Handlung halten oder als Erzählschleifen gestalten, statt diese in Psychen einzulagern. Mit anderen Worten: Selbstbewusstsein und Selbstreflexion von Figuren bilden oft nicht die entscheidenden Größen, an denen sich Einfachheit oder Komplexität des Erzählens ab- und einzeichnen.19 Mit Haferland selbst wäre daher einzuwenden: Wenn das agonale Schema einer grammatischen »Tiefenstruktur« folgt,20 dann stellen psychosoziale Verdichtungen zwar eine mögliche Konkretisierung dar, doch gibt es andere (und womöglich häufigere) Formen, auf die mittelalterliche Literatur ihre Wettkämpfe bringt, ohne dazu auf die Psyche oder den Habitus von Figuren zuzugreifen.21

      Zweitens rechnet Haferland die Komplexitätseffekte von Wettkämpfen tendenziell auf Einzelpositionen zurück. Ihre Spannungsmuster wandern so von der Ebene der Kultur zur Person, wenn der Agon zunächst »als Schema kultureller Identitätsbildung«, dann aber als Frage der Ehre fokussiert wird, die »Grenzen einer Person« markiere und »zur Bestätigung einer persönlichen Identität genutzt wird«.22 In Gestalt von Aventiuren stelle der Roman dieses Prinzip erzählstrukturell auf Dauer: »Personen erfahren sich selbst.«23 Spannungsvoll wächst dadurch die Differenz von Kultur und Einzelperson, wie Haferland einräumt: »Die höfische Öffentlichkeit läßt Ich-Ideale aufleben in einer Repräsentation, die nur schwer vom Ich, von der Person selbst eingeholt wird.«24 Scheinen höfische Wettkämpfe als personale Formung also zunächst griffig beschrieben, so werden damit Spannungen theorietechnisch nur verschoben. Denn im gespaltenen Begriff der Repräsentation kehrt Selbstdifferenz wieder (Ich-Ideale vs. Person selbst), die Identität entgegenläuft. Haferland zufolge beginnt das ›agonale Schema‹ somit zwischen »soziale[n] Situationen« und gesteigerter ›Selbsterfahrung‹ zu oszillieren, ohne dass der Beschreibungsrahmen höfischer Interaktion dafür besondere Erklärungsmöglichkeiten anböte.25

      Damit ist drittens die Frage verbunden, ob Wettkampf angemessener als dezentrierende oder als zentralisierende Form erfasst ist.26 Als kooperative Interaktion scheint das agonale Schema zunächst ein dezentrales Zusammenspiel, das auf keine Einzelposition zu reduzieren ist. Mit Blick auf seine soziale Funktion adliger Rangdarstellung betont Haferland jedoch vor allem Bündelungseffekte: »Durch Zentrierung von Aufmerksamkeit strukturiert das agonale Schema Raum und Zeit«, was in der exklusiven Arena des Zweikampferzählens wie in der Inszenierung von Triumph gleichermaßen zum Tragen komme.27 An anderer Stelle hält Haferland hingegen fest: »Agonale Lenkung der Blicke und Zentrierung der Aufmerksamkeit hat es auch mit Koordinationsproblemen zu tun. Nicht jeder kann im selben Augenblick den Mittelpunkt abgeben.«28 Dies gilt genau genommen für jeden Wettkampf, der mindestens zwei Aktanten alternierend beobachtet, dabei aber sein Aufmerksamkeitszentrum fortwährend verschiebt. Regelmäßig führen Zweikämpfe die »Koordinationsprobleme« vor Augen, die sich daraus ergeben: Wettkämpfe oszillieren und bilden seltsame Schleifen, weil ihre Formen sich gerade nicht zentrieren, Akteure in der Beobachtung nicht nebeneinander fixieren lassen, sondern fortgesetzt alternieren. Auch das hat einen paradoxen Kern: Wettkämpfe scheinen ihre Helden besonders dann hervorheben zu können, wenn zugleich auch der andere in gesteigerter Intensität spürbar wird. Agonales Selbstgefühl ist so gesehen nie bei sich.29

      Dies macht es jedoch schwierig, Wettkampf als »Nullsummenspiel« zu betrachten, das auf klarer Verteilung von Gewinnen und Verlusten beruht.30 Richtig ist, dass noch die verwickeltsten Wettkämpfe über die zweiwertige Codierung von Sieg und Niederlage anlaufen. Und ebenso ist zu beobachten, dass speziell Wettkämpfe mittelalterlicher Literatur ihre Gewinne und Verluste oft ausdrücklich berechnen und beziffern – mittels ökonomischer Metaphern31 oder symbolischer Zahlenspiele.32 Problematisch wäre es allerdings, daraus auf geschlossene Buchhaltung zu schließen: Wiederholungen, Ausdehnungen und Steigerungen unterstreichen vielmehr die Neigung vieler Wettkämpfe zu offenen Rechnungen. Sie ziehen andere Räume, andere Zeiten und andere Akteure hinein und vergrößern soziale Summen. Ihr exzessiver Charakter verweist auf offene Aggregation.33

      Sollen Wettkämpfe zu dauerhaften Strukturen stabilisiert werden, ruft dies institutionelle Grenzziehungen und regulierende Richter auf den Plan. Gerade die Entscheidungscodierung von Sieg und Niederlage aber scheint neuerliche Öffnung, Erweiterung und Fortsetzung von Wettkämpfen oft anzutreiben. Auch diese Spannungen paradoxen Wachstums treten zurück, wenn man Wettkämpfe allein auf ihre Entscheidungen hin betrachtet. Die Annahme eines höfisch regulierten Kooperationsmodells übergeht somit eine Reihe von Aspekten, die für eine textnahe Kulturtheorie vormoderner Wettkämpfe fruchtbar sein könnten.

      Wichtige Anregungen liefert auch Udo Friedrichs Studie zur »›symbolischen Ordnung‹ des Zweikampfs im Mittelalter«. Im Anschluss an Georg Simmel fragt Friedrich nach dem allgemeinen Vergesellschaftungsprinzip, das so unterschiedliche Konfliktformen wie Duelle und Zweikämpfe, Rivalität und Konkurrenz, Wettbewerb und Wettstreit verbindet. In textnahen Analysen verfolgt Friedrich dabei die »Spannung zwischen Disziplinierung und Entfesselung«, die auch in höfischen Zweikämpfen »auf komplexe Art durchgespielt« werde.34 Gerade in weitgefasster, vergleichender Perspektive zeigt sich somit die Spannung »eines allgemeinen Prinzips«, das in Kämpfen »Vergesellschaftung herstellt und zugleich bedroht«, indem es »den Gewaltcharakter von Vergesellschaftungsprozessen offen [legt]«.35

      Dies macht Zweikämpfe tendenziell zu einem Modus von Reflexion: »Im Zweikampf führt der Adel sich seine kulturellen Leistungen vor Augen, diskutiert aber immer wieder auch deren Grenzen.«36 Von Gewalt als paradoxem Motor von Vergesellschaftungsprozessen verschiebt sich der Fokus damit auf Ordnungsleistungen und Grenzziehungen. Als Teil eines »Konfliktlösungsmodells« gelesen, verpflichtet dies Zweikämpfe auf »Bewältigung von Kontingenz« und »Aufrechterhaltung der Ordnung«.37 Reflexion wird damit gleichsam eine Ventilfunktion zugeschrieben: »In der höfischen Literatur wird der Zweikampf zum Medium der Reflexion komplexer sozialer und kultureller Probleme.«38

      Auch in dieser Argumentation tritt