Bent Gebert

Wettkampfkulturen


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sich die Entfaltung von Wettkampfkultur auch im Rahmen von kulturgeschichtlichen Ansätzen erforschen, die von Jacob Burckhardt bis zu Aleida und Jan Assmann dem agonalen Streit eine integrative und kulturfördernde Wirkung zusprechen.3 Eine Kulturgeschichte des Wettkampfs könnte sich entlang großer Transformationsachsen bewegen, die vom sportlichen, religiösen und künstlerischen Agon der griechischen Antike über die römische Institution der Kampfspiele bis zu ihrer ambivalenten Aufnahme durch die christlichen Kirchenväter führen, die sich zwar kritisch von der weltlichen Wettkampfpraxis distanzieren, aber diese zugleich in Leitmetaphern christlicher Tugendlehre adaptieren. Kulturgeschichtlich könnte man nachzeichnen, wie das antike Erbe von Kampfspielen in verwandelter Gestalt militärischer Übungspraktiken durch das gesamte Mittelalter fortgetragen wird, im 12. Jahrhundert ritterliche Turniere als Bestandteil adliger Festkultur anregt4 und schließlich im Spätmittelalter zur Distinktionspraxis des Stadtbürgertums dient.5

      Zweifellos bieten solche Etappen anschauliches Material für eine Geschichte des regulierten Kampfes zwischen Spätantike und früher Neuzeit. Doch drohen die großen Linien einer solchen Geschichte nur zu rasch die eigentlichen Spielräume kultureller Produktivität von Wettkämpfen zu überdecken. Ihre erstaunlichen, experimentellen und riskanten Lösungen zeichnen sich eher am Einzelfall ab. Zuletzt hegt auch die Kulturgeschichte ein ambivalentes Verhältnis zu Wettkampfphänomenen, die umso schärfere Abgrenzungen provozieren. »Der agonale Sieg ist der edle Sieg ohne Feindschaft der Sieg an sich«, erklärt schon Burckhardt;6 von »gutem (agonalem)« Streit als »Motor der Kultur« sei »böse[r] (aggressive[r]) Streit« zu unterscheiden, der »kulturzerstörend« wirke, so Aleida und Jan Assmann.7 Dass Wettkämpfe sowohl Vielfalt produzieren als auch zerstören, wird dann für jedes kulturgeschichtliche Lob des Agonalen zur unbehaglichen Zumutung.

      3.4 Zwischenbilanz

      Trotz umfangreicher und differenzierter Forschungstraditionen zu Widerstreit und Wettkampf sind somit grundlegende Fragen ungeklärt, die Wettkampf als heuristisches Konzept betreffen. Methodisch ungeklärt bleibt in der Regel, ob Wettkampf als Dynamik von Divergenz und Konvergenz auf Gegenstandsebene angesiedelt ist und / oder eine Zuschreibungsform zweiter Ordnung darstellt – ob also, mit Simmels Worten gesprochen, das »Gegeneinander« und »Füreinander« des Kampfs nur »begrifflich« oder »tatsächlich« als »Einheit« angesetzt sind (S. 284f.). Noch weniger ausgelotet sind zudem die Funktionen von Paradoxien, die Wettkämpfen ihre formale Dynamik verleihen. Wettkämpfe werden zwar häufig als Spannungen z.B. von Kooperation und Destruktion, von Proliferation und Begrenzung oder von Integration und Desintegration beschrieben, doch werden die Leistungen solcher Verschränkung vergleichsweise selten ausgeleuchtet. In der Regel gelten Wettkämpfe daher als ambivalente Konstellationen, deren positive oder negative Grenzwerte analytisch gegenübergestellt werden (guter Wettkampf, schlechter Streit), selten jedoch nach ihrer paradoxen Einheit befragt werden.

      Für die Rekonstruktion von Wettkämpfen als kulturellen Beobachtungsformen kann man genau an diesen Stellen ansetzen, die einfache theoretische Ordnungswünsche in Probleme verwickeln. Wettkampferzählungen wären dann jedoch nicht als ›Probleme‹ zwischen Einfachheit und Vielfalt zu untersuchen. Sie wären vielmehr als Experimente zu betrachten, die Differenz vervielfältigen und gleichzeitig begrenzen. Die Frage ist dann: Von welchem Zuschnitt und welcher Dynamik sind diese seltsamen Spielräume?

      4 Aufgabenfeld (II): Vielfalt ohne ›diversity‹?

      Die Frage nach historischen Formen von Kulturalität führt zweitens zur Frage nach der Komplexitätsstruktur von Differenzmodellen des Wettkampfs. Auch hier eröffnet es neue Chancen, wenn man sich für verschiedene Formate von Vielfalt sensibilisiert. Versteht man Vielfalt als allgemeines Maß für irreduzible Differenz, so hält man sich zunächst offen, welche Ansprüche an formaler Kontextuierung damit verbunden sind – oder anders gesagt: ob solche Differenzen z.B. in mehr oder weniger engen Bezügen zusammengestellt, relationiert und ›verwoben‹ sind (im etymologischen Wortsinne von com-plexio und com-plicatio) oder eben aus solchen Bezügen entbunden sind. Versteht man den Begriff der Vielfalt also als Verhältnisse von Differenz und Kontext, lassen sich eine Vielzahl möglicher Spielarten profilieren. Als Diversität kann man so beispielsweise jene Fälle akzentuieren, in denen Differenzen nicht (oder zumindest weniger) unter den Zwang gestellt sind, in einem Zusammenhang miteinander verwoben, relationiert und dadurch von einer Form umfasst zu sein. Diversität ist damit ein Leitkonzept, das Vielfalt als »bloß[e] Verschiedenheit« auffasst: »ohne semantisch-axiologische […] Trennschärfe« und von normativen Zwängen eines Vergleichskontextes entlastet, aber dafür aus gemeinsamen Zusammenhängen gelöst.1 Mehr noch: Wo Vielfalt den Status von Differenz offen lässt, darf man im Namen von Diversität sogar davon absehen, ihren Kontext bestimmen zu müssen.2

      Auf den ersten Blick sind dies feine Nuancen. Obgleich sich moderne Kulturbegriffe ausdrücklich auf Perspektiven der Diversität berufen, wird jedoch selten zwischen allgemeinen und besonderen Formansprüchen, zwischen verschiedenen Typen von Vielfalt und Diversität abgestuft. Wie selbstverständlich bevorzugt man Kulturvergleiche im Zeichen von Diversität, wenn man nach den Differenzen einer »heterarchisch geordneten Welt« jenseits von Einheitserwartungen fragt.3 Und nicht selten richtet sich das moderne Interesse an kultureller Diversität auch an Autoren des Mittelalters.4 Untersucht wurden Adaptationsprozesse romanischer und deutscher Hofkulturen,5 Konflikte von heroischen und höfischen Kulturmustern oder Hybridisierungen von religiöser und ritterlicher Kultur in Heiligenlegenden. Wo man nach Differenzlinien zwischen ›Geistlichem‹ und ›Weltlichem‹, ›religiöser‹ und ›säkularer‹ Kommunikation suchte, zeigen sich Differenzen konstitutiv verschränkt; an spätmittelalterlicher Literaturproduktion lässt sich die »Diversifikation städtischen Lebens« studieren.6 Ansätze dieser Art haben den Blick für Heterogenitäten und Eigenentwicklungen literarischer Diskurse des Mittelalters in hohem Maße geschärft. Doch verdeckt die Vielstimmigkeit theoretischer Konzepte kulturwissenschaftlicher Mediävistik mitunter Formate von Differenz, die auf Vervielfältigung, nicht aber auf Diversität zielen. Ausgeblendet werden dadurch beispielsweise Phänomene interner Vervielfältigung, die aus Formen der Selbst-Entgegensetzung hervorgehen.

      Die mediävistische Forschung hat sie zumeist als Sonderfälle herausragender Gattungen oder Texte thematisiert, die in besonderer Weise Selbstreflexion forcieren, soziale Spielregeln dekonstruieren oder in Parodien zur Diskussion stellen. Gemeinsam ist solchen Fällen, dass sie die Vervielfältigung sozialer Kontexte und Kommunikationsformen nicht mittels negativer Ausgrenzungslogiken,7 sondern als internen Widerstreit organisieren. Die nachfolgenden Studien untersuchen solche Formen interner Komplexitätsbildung, mit der sich mittelalterliche Literatur ›in‹ ihren Welten »aus der Welt eines einsinnigen Sinns befreit«.8 Zu solchen Formen gehören nicht zuletzt auch Wettkämpfe, die diesseits von Diversitäts- oder Kontingenzperspektiven gleichwohl nach Darstellungsmöglichkeiten für Vielfalt suchen. Solche Möglichkeiten eröffnen nicht bloß Texte, die als besonders reflexiv, dekonstruktiv oder parodistisch gelten. Schwer sind jedoch die allgemeineren Formen solcher Vervielfältigung zu beschreiben, die gleichsam ›unterhalb‹ des Radars von expliziten Pluralismuskonzepten laufen, solange man modernen Diversitätserwartungen verpflichtet bleibt.

      5 Aufgabenfeld (III): Diesseits der Kulturen?

      5.1 Zur Historisierung des Kulturkonzepts

      Besitzt das Mittelalter Kulturperspektiven? Eine solche Frage klingt entweder banal oder riskant. Banal, weil die Mediävistik ihre Gegenstände selbstverständlich als kulturelle Zeugnisse oder Artefakte beschreibt; riskant, weil in der Regel unausgesprochen bleibt, welcher spezifische Kulturbegriff jeweils in Anschlag gebracht wird und worauf dieser auf Objektebene genau gründet, wenn viele moderne Aspekte des Kulturbegriffs dem Mittelalter fremd sind.1 Dazu gehören nicht zuletzt Konzepte des kulturellen Pluralismus, die geradezu eine implizite Leitprämisse kulturwissenschaftlicher Forschung darstellen. »Die Beobachtung, dass die Lebensformen und Weltsichten der eigenen Gruppe nicht unbedingt auch diejenigen anderer Kollektive sind«, resümiert etwa Jürgen Osterhammel, »[…] steht am Beginn jeder möglichen Vorgeschichte der neuzeitlichen Kulturwissenschaften.«2 In einem wegbereitenden Essay hatte auch Uwe Steiner darauf hingewiesen, dass selbst begriffsgeschichtliche