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Ethik in den Kulturen - Kulturen in der Ethik


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Bruch zwischen Ethischem und Politischem kommen. Was bedeutet dies aus einer sozialtheoretischen Position heraus, die sich für strukturelle Zusammenhänge interessiert? So, wie sich das Ethische immer wieder mit Ansprüchen aus dem Bereich des Politischen konfrontiert sieht, muss auch die Sphäre des Politischen (und der Politik) von Seiten der ethischen Reflexion kritisiert und unterbrechbar gehalten werden. Eine solche „Politik der Unterbrechung“ (siehe Ruby 2009; Liepold-Mosser 1995) sorgt dafür, dass beide Sphären in ihrer Irreduzibilität anerkannt und dementsprechend beibehalten werden. Weder wird eine Versöhnung des Ethisch-Politischen angestrebt, noch eine Loslösung der beiden Bereiche voneinander. Unter Aufrechterhaltung dieser Spannung kann es gelingen, so meine Überzeugung, sich der Konflikte in unserer globalisierten Welt anzunehmen und diese rational durchzudenken und Lösungsvorschläge aus einer konfliktsoziologischen Perspektive zu entwickeln.2

      5. Beispiel „Flüchtlingskrise“ aus ethisch-politischer Sicht – ein notwendiger Widerstreit

      Am Beispiel der sogenannten „Flüchtlingskrise“ möchte ich auf das strukturelle Verhältnis zwischen dem Ethischen und dem Politischen genauer zu sprechen kommen. Mein Argument lautet: Weder das Ethische noch das Politische dürfen aufeinander reduziert werden, sondern beide Sphären müssen in einem produktiven Austauschverhältnis bestehen bleiben, sei dieses im Einzelfall konflikthaft oder konsensuell auszubuchstabieren. Anders gesagt: Eine radikale oder unbedingte „Ethik der Gastfreundschaft“, wie sie wiederholt in Anschlag gebracht worden ist (Derrida 1997), ist angesichts einer drohenden rein ökonomisch-instrumentellen Betrachtung gesellschaftlicher Krisen notwendiger denn je. Diese wird allerdings nicht ausreichen, um die „Flüchtlingskrise“ adäquat in den Blick zu bekommen. Umgekehrt reicht es jedoch auch nicht aus, etwa im Sinne einer parlamentarisch organisierten Politik, für das Errichten von Grenzregimen einzutreten, um so Europa als „Wohlstandsinsel“ gegenüber fremden Ansprüchen abzusichern. Eine unbedingte Ethik der Gastfreundschaft darf sich nicht vollständig in Rechtsverhältnisse übersetzen lassen und somit Teil einer politischen Ordnung werden. Vielmehr muss eine „Ethik des Anderen“ gerade angesichts eines behaupteten Verschwindens des Anderen oder gar seiner „Austreibung“ (Han 2016) aufrechterhalten werden. Mittlerweile können wir wissen: In der „Flüchtlingskrise“ gibt es keine einfachen Lösungen:

      Unrealistisch, ja geradezu irrational, weil von der empirischen Erfahrung bereits mehrfach widerlegt, ist dagegen die Vorstellung, die Flüchtlingskrise durch Abschottung zu lösen. Solange es so gut wie keine Möglichkeit gibt, sich für eine legale Einwanderung zu bewerben, und Flüchtlinge an keiner europäischen Außengrenze einen Asylantrag stellen können, werden sich sowohl Einwanderer als auch Flüchtlinge weiter in die Schlauchboote setzen […] (Kermani 2016: 51).

      Heerscharen von Forschenden nehmen sich derzeit der Thematik Migration und Flüchtlinge an - und werden sich ihr weiter annehmen. Aus einer gesellschaftspolitisch-kritischen Sicht käme es darauf an, die ethische Dimension im Sinne einer Verantwortung und Gerechtigkeit für das Schicksal unschuldiger Menschen nicht aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig dürfen die ethischen Impulse und Gefühle nicht in Recht und Gesetz überführt werden, weil dann droht, Ethik nur noch als Alibi oder als Ausrede zu instrumentalisieren. Aber auch rein politische Lösungen, die die ethische Dimension vernachlässigen oder für eine Versöhnung zwischen der Sphäre des Ethischen und des Politischen eintreten, erscheinen unbefriedigend, weil dadurch die Infragestellung der politischen Ordnung (und deren Lösungsvorschläge) qua Gesetz und Vorschriften droht verloren zu gehen.

      6. Fazit

      In meinem programmatischen Beitrag habe ich das Verhältnis zwischen dem Ethischen und dem Politischen als eine (un-)mögliche Konstellation interpretiert. Nach einigen Reflexionen zur Sphäre und Bedeutsamkeit des Ethischen bin ich näher auf die Unterscheidung zwischen der Politik und dem Politischen eingegangen. Damit gelingt eine Öffnung des politischen Raums, was ermöglicht, die normative Ordnung der Politik in Frage zu stellen. Vor diesem Hintergrund habe ich drei verschiedene Konstellationen des Ethisch-Politischen problematisiert. Weder die Perspektive einer Versöhnung zwischen dem Ethischen und dem Politischen (1) noch eine radikal-unauflösliche Entgegensetzung beider Sphären (2) wurden als überzeugende Lösungen diskutiert. Vielmehr habe ich für einen produktiven Widerstreit zwischen dem Ethischen und dem Politischen (3) plädiert, so dass aus einer konflikttheoretischen Perspektive ein Changieren zwischen einem unmöglichen und möglichen Verhältnis als Ausweg verdeutlicht werden konnte. Anhand der aktuellen Flüchtlingskrise habe ich diese Position versucht fruchtbar zu machen und die Vorzüge eines solchen Verständnisses auszuweisen. Gerade in Zeiten pragmatischer Lösungsvorschläge erscheint es mir besonders wichtig, auf die unbedingte Ethik der Gastfreundschaft hinzuweisen, die sich jedoch nicht einfach in Rechtsverhältnisse in der politischen Ordnung übersetzen lassen darf. Allerdings darf der „Stachel der Ethik“ nicht derart verabsolutiert werden, so dass keine politischen Lösungen mehr möglich wären. In diesem Spagat müssen die politisch Verantwortlichen und die Zivilgesellschaft um gemeinsame Lösungen ringen.

      Literatur

      Arendt, Hannah (2016, [orig. 1943]). Wir Flüchtlinge. Mit einem Essay von Thomas Meyer. Stuttgart: Reclam.

      Bedorf, Thomas (Hrsg.) (2010). Das Politische und die Politik. Berlin: Suhrkamp.

      Bescherer, Peter/Wetzel, Dietmar J. (2016). Urbane Sicherheit – Gerechtigkeitsansprüche in Theorie und Praxis am Beispiel von Bürgerbeteiligungen. In: Frevel, Bernhard (Hrsg.) Sicherheitsproduktion zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft. Wiesbaden: Springer VS, 11–30.

      Cornell, Drucilla (1991). Beyond Accomodation. Ethical Feminism, Deconstruction, and the Law. New York/London: Routledge.

      Critchley, Simon (1994). Habermas und Derrida werden verheiratet. Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42:6, 1025–1036.

      Derrida, Jacques (1997). De l’hospitalité. Anne Dufourmantelle invite Jacques Derrida à répondre. Paris: Calmann-Lévy.

      Habermas, Jürgen (1992). Erläuterungen zur Diskursethik. 2. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

      Habermas, Jürgen (1994). Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. 4. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

      Han, Byung-Chul (2016). Die Austreibung des Anderen. Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute. Frankfurt am Main: Fischer.

      Honneth, Axel (1994). Das Andere der Gerechtigkeit. Habermas und die ethische Herausforderung der Postmoderne. Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42:2, 195–220.

      Kermani, Navid (2016). Einbruch der Wirklichkeit. Auf dem Flüchtlingstreck durch Europa. Mit dem Magnum-Photographen Moises Saman. München: CH. Beck.

      Liepold-Mosser, Bernd (1995). Performanz und Unterbrechung. Prolegomena zu einer Philosophie des Politischen. Wien: Turia + Kant.

      Lipowatz, Thanos (1994). Das Ethische und das Politische. Fragen an die Psychoanalyse. In: Gondek, Hans-Dieter/Widmer, Peter (Hrsg.) Ethik und Psychoanalyse. Vom kategorischen Imperativ zum Gesetz des Begehrens: Kant und Lacan. Frankfurt am Main: Fischer, 79–92.

      Lipowatz, Thanos (1998). Politik der Psyche. Eine Einführung in die Psychopathologie des Politischen. Wien: Turia + Kant.

      Lyotard, Jean-François (1989). Der Widerstreit. 2. Auflage. München: Wilhelm Fink.

      Nancy, Jean-Luc (2004). Das gemeinsame Erscheinen. Von der Existenz des Kommunismus zur Gemeinschaftlichkeit der Existenz. In: Vogl, Joseph (Hrsg.) Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 167–204.

      Rancière, Jacques (2002). Das Unvernehmen. Politik und Philosophie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

      Reese-Schäfer, Walter (1997). Grenzgötter der Moral. Der neuere europäisch-amerikanische Diskurs zur politischen Ethik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

      Ruby, Christian (2009). L’interruption. Jacques Rancière et la politique. Paris: La fabrique éditions.

      Ruhnau,