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Handbuch Jüdische Studien


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um Taten zu tun, wenn sie was auszurichten gedächten.“40 Josephus äußert sich hierzu explizit:

      Unser Gesetzgeber aber fügte beides ineinander mit viel Bedacht. Weder ließ er nämlich stumpfsinnig die Einübung der Sitten, noch ließ er die Lehre aus dem Gesetz unausgeübt, sondern sofort, beginnend mit der ersten Nahrung und der häuslichen Lebensweise aller überließ er nichts, auch nicht das Geringste, selbstbestimmt dem Willen derer, die unter den Gesetzen leben sollten. Sondern auch über Speisen, welcher man sich enthalten muss und welche man zu sich nehmen kann, über die, die diese Lebensweise teilen sollten, über Arbeitszeiten und andererseits Ruhezeiten setzte er als Bestimmung und Richtschnur das Gesetz, damit wir unter diesem wie unter einem Vater und Herrscher leben und weder willentlich noch aus Unwissenheit etwas Sündiges tun. Denn er ließ nicht einmal die Entschuldigung wegen Unwissenheit als Möglichkeit, sondern als schönstes und notwendigstes Erziehungsgut bestimmte er das Gesetz für sie, damit sie es nicht nur ein einziges Mal anhören oder zweimal oder öfter, sondern er hieß sie, jeden siebten Tag von allen anderen Werken abzulassen und sich zum Anhören des Gesetzes zu versammeln und dieses genau auswendig zu lernen. Das haben anscheinend alle [anderen] Gesetzgeber versäumt. [2,173–175]

      Josephus ist hier so weit davon entfernt, die Tora mit „Religion“ gleichzusetzen, dass er Moses als Gesetzgeber [nomothetēs] bezeichnet.41 Seine Beschreibung des Gemeinwesens als theokratia freilich hat er nicht vergessen. Die Tatsache, dass Moses das Gesetz Gottes gestiftet hat, verleiht ihm den Status eines göttlichen Menschen [theion andra]. Mehr noch, der Hauptzweck der Schabbatruhe soll das Tora-Studium sein. Moses verband die Unterweisung der Israeliten in die Tugenden zu einem perfekten Ganzen, indem er weder die Lehre unausgedrückt noch Worte als Theorie oder unausgeübt ließ. Der nomos ist somit der perfekte Ausdruck und Lehrmechanismus judäischer Werte. Die Verbindung zwischen ständigem Hören der Worte und Ausübung der darin erwähnten Taten ist die besondere Qualität: „Für uns aber, die wir überzeugt sind, dass das Gesetz von Anfang an gemäß dem Willen Gottes gegeben wurde, wäre es nicht fromm, dieses nicht einzuhalten.“ [2,184]

      An diesem Punkt führt Josephus die vom nomos vermittelten Werte und Tugenden aus, unter denen sich auch solche befinden, die wir in unserem modernen Denken dem „Politischen“, dem „Religiösen“ und dem „Gesetzlichen“ zuordnen, wobei Josephus diese drei neuzeitlichen Abstraktionen nicht voneinander unterscheidet. Der nomos hat also zu einer übereinstimmenden Gottesauffassung unter den Judäern geführt. Zudem trägt auch ihr gemeinsamer Lebensstil [bios] zur Übereinstimmung bei. Der nomos entwirft eine Welt, über der Gott als Gebieter des Universums thront, der die Priester zu Verwaltern und Aufsehern und zu Richtern der in Streit Geratenen bestimmt [2,187]. Josephus schließt daran einen Gedanken an, der zunächst unlogisch erscheinen mag, nämlich, dass eine der Tugenden des judäischen Volkes die Fähigkeit sei, das Leben jederzeit als Ritus und Mysterium zu bewahren [2,188 f.]. Als wäre die ganze Verfassung wie ein mystischer Ritus [telete] aufgebaut.

      Alles in der Tora – das Zivilrecht, die Herrschaftsregeln, die Riten, Ethik und Moral, die gesamte „Verfassung“ [politeia] – gestaltet sich wie ein Mysterieninitiationsritual. Die Mysterien waren ein essentieller Bestandteil des Lebens der Athener und der Hellenen. Während uns über die Initiation nicht viel bekannt ist (genau das macht ja die Mysterien aus), wissen wir dennoch, dass diese Rituale aus gemeinsamen Handlungen und Sprüchen bestanden. Laut Josephus ist es ja genau das, was die Tora als judäische Verfassung gegenüber den Verfassungen der hellenischen poleis besonders auszeichnet. Er scheint also darzulegen, dass während die Athener durch ihre Mysterien zwar lehrten und die Lehre durch eine Worte und Handlungen umfassende Praxis transformierten, kann das von der Athener Verfassung als Ganzes nicht gesagt werden. Die judäische Konstitution hingegen verkörpere solches Handeln und Reden in ihrer gesamten Existenz und sei somit wie eine Mysterieninitiation für alle aufgebaut.

      Zunächst erwähnt Josephus die Gebote, die von Gott sprechen: das Verbot anderer Götter und das Verbot, sich ein Ebenbild von Gott zu machen. Dann erwähnt er die Opfer, die Regeln des Opferns, Gebete sowie Rituale der Reinigung, und er schließt diesen Abschnitt mit dem Hinweis ab, dass es sich um feste Bestandteile des nomos handle [2,198]. Diesem folgt eine Diskussion über Sexualpraktiken und Heiratsgesetze, Reinigungs- und Bestattungsrituale und das Ehren der Eltern. Anschließend erfahren wir, dass das Gesetz vorschreibt, wie wir uns gegenüber Freunden zu verhalten haben und welche Anforderungen Richter erfüllen müssen. Des Weiteren erläutert er Gesetze, etwa zum Umgang mit Kriegsgefangenen [2,212], mit Tieren [2,213] und zu redlichem Geschäftsverhalten. Josephus’ Ausführungen fassen also all das, was wir unter Staat, Ritualen, Religion, Politik und Gesetz verstehen, unter einer Rubrik zusammen – nomos.

      Dieser Punkt kann am besten mit Josephus’ eigener Zusammenfassung abgeschlossen werden:

      Über die Gesetze bedurfte es keiner längeren Ausführung. Sie selbst nämlich wurden erkennbar durch sich selbst, dass sie nicht Gottlosigkeit, sondern wahrhaftigste Gottesfurcht lehren, nicht zum Menschenhass, sondern zur Gemeinschaft mit allen Lebewesen auffordern, feind der Ungerechtigkeit, besorgt um Gerechtigkeit sind, Trägheit und Luxus ausschließen, lehren, selbstgenügsam und bereitwillig in Mühen zu sein. Von Kriegen zum Machtgewinn halten sie fern, sie ordnen aber an, tapfer für sich selbst zu sein, unerbittlich gegenüber den Strafen, unsophistisch in der Anordnung der Worte, durch Taten immer bekräftigt. Denn diese Taten bieten wir stets dar, augenfälliger als Buchstaben. Deshalb möchte ich kühn sagen, dass wir die ersten Lehrer der meisten und zugleich schönsten Dinge für die anderen geworden sind. Denn was ist schöner als unwandelbare Gottesverehrung? Was ist gerechter als den Gesetzen zu gehorchen?

       Oder was ist förderlicher als miteinander übereinzustimmen und weder in schlimmen Zeiten sich zu entzweien noch in glücklichen Zeiten gegeneinander aufzustehen aus Übermut, sondern im Krieg den Tod zu verachten, sich im Frieden aber den Handwerken oder der Landwirtschaft zu widmen und überzeugt zu sein, dass Gott überall auf alles schaut und alles regiert? [2,291–294]

      Im Gegensatz zu der stereotypen Vorstellung, die griechisch-jüdischen Schriftsteller hätten die Tora zum „Gesetz“ reduziert, wird bei Josephus deutlich, dass er nomos auf eine Art und Weise interpretiert, die weit über unser heutiges Verständnis von „Gesetz“ hinausgeht. Für ihn schließt der Begriff Zivil- und Strafgesetz, die Staatsform und zusätzlich den Kultus, inklusive Glaubensausübung im Tempel und als Individuum, sowie Gottesglaube mit ein, also weit mehr als „Gesetz“, „Politik“ oder „Religion“.

      An diesem Punkt könnte man sagen: Entscheidend ist nicht der Name. Obwohl Josephus ganz andere lexikalische Begriffe verwendet, um die judäische Lebensart zu beschreiben, sieht er sie dennoch als Einheit. Warum sollte sie also nicht „Judentum“ genannt werden? Entscheidend ist hier die Frage, ob Josephus diese judäische Lebensart als Spezies des Genus interpretiert, zu dem er die Griechen, Assyrer, Römer und Skyten zählt, oder als etwas Singuläres, sui generis. Der Umstand, dass Josephus den Begriff Ioudaismos nicht anwendet, zeigt meines Erachtens, dass Amir genau falsch liegt: Die Juden/Judäer haben kein singuläres Selbstverständnis als Volk, das sich von dem anderer Völker als separater Genus abhebt. Wie Josephus bezeugt (und in Übereinstimmung mit Masons Standpunkt) sehen sie sich gleichsam als Teil der „Völkerfamilie“.

      Ioudaismos in Inschriften

      Zwei epigraphische Funde scheinen diese Sichtweise (entgegen Amirs Darstellung42) ebenfalls zu bestätigen. Eine Inschrift von Stobi (spätes 3. bis 4. Jahrhundert)43 bezieht sich auf eine Person (oder vielmehr bezieht sich die in dieser Inschrift genannte Person auf sich selbst) als „πολιτϵυσάμϵνος πᾶσαν πολιτϵίαν κατ τὸν Iουδαισμον“.44 Amir übersetzt das erwartungsgemäß mit „verhielt sich in der Öffentlichkeit nach den Regeln des Judentums“ und fügt folgenden Kommentar hinzu: „Die Bedeutung scheint einfach, dass er die Gebote streng beachtete.“ Ich stimme zwar Amirs Interpretation zu, doch ist seine Übersetzung irreführend. Wie erwähnt ist „Judaisieren“, d. h., wie ein Judäer zu handeln, sich zu verhalten, wie es Judäer tun (gut oder schlecht, in diesem Fall Ersteres) viel näher am erstrebten Sinn als „Judentum“, das die Bedeutungen des modernen -ismus-Begriffes impliziert. Hengel übersetzt es als „jüdische Sitte“,45