Heinz-Jürgen Schönhals

Ulrike D.


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ein anderes Mädchen ein - man sagte, es wäre die beste Freundin der Braut gewesen, ein bildschönes Mädchen, eine kleine Helena - weißt du. Und Helena machte die Bezie­hung kaputt, spannte der Braut den Bräutigam aus, brachte die Hochzeit zum Platzen!“

      Jörns schlug, während er die letzten Sätze sprach, mit der Rechten zweimal aufs Lenkrad, dass es laut und dumpf im Wagen knackte; mit weit aufgerissenen Augen blickte er da­bei geradeaus, als befürchte er den Irrlauf eines Tieres oder er erwarte jeden Augenblick die Rückleuchte eines Schwerlasters, dem es auszuweichen gelte.

      „Nun, die Geschichte ist gewiss tragisch“, fuhr er mit sei­ner Erzählung fort, „tra­gisch für das verlassene Mädchen, für die sitzen gelassene Braut, aber so ganz unge­wöhnlich ist sie ja auch wieder nicht, meine ich! Denn bekanntlich kommt es öfter vor, dass die eine der anderen den Freund ausspannt - oder umgekehrt! So läuft das nun mal im Leben, die Liebe ist halt etwas arg Unbeständiges, etwas - wie soll ich sagen? - Flatteriges - wir wissen das ja aus eigener Erfahrung, mit unseren diversen Thusneldas, nicht wahr? Ha, ha, ha, ha!”

      Das schallende Lachen des Erzählers ging in ein Meckern über, was in Anbetracht des tragischen Gegenstandes unangemessen und taktlos anmutete.

      „Nun, das einzig Ungewöhnliche an dieser Geschichte war vielleicht, dass alles so kurz vor der Hochzeit passierte. Ich glaube, so was kommt doch relativ selten vor, nicht? Ganz außerordentlich selten, kann man sogar sagen! - Aber, pass’ auf, Elmar, etwas noch Selteneres, ich möchte fast sagen: Sensationelles passierte dann außer­dem noch in unserer Geschichte! Jetzt meinst du wohl, die bei­den Mädchen seien mit dem Messer aufeinander .losgegangen. Oder jedenfalls die eine, die betrogene, auf die an­dere, oder sie hätte sich mit Mord und Totschlag am verräterischen Bräutigam gerächt, was? - Nein, ganz so schlimm, ganz so blutrünstig ist die Geschich­te nicht ausgegangen! Zunächst geschah etwas, was noch nicht gar so aufregend, aber doch immerhin bemerkenswert war: Die Familie der Braut und diese natürlich selbst ha­ben sich die Treulosigkeit und die Blamage so zu Herzen genom­men, dass sie mit Sack und Pack von Waldstädten wegzogen; sogar das Haus haben sie verkauft, der Vater ließ sich von der Firma versetzen; das Mädchen, das in Waldstädten berufstätig war, ebenfalls. Die ganze Sippe hat sozusagen sämtliche Zelte abge­brochen und ist auf und davon! - Aber jetzt kommt es, das eigentlich Aufsehen Erregende, das Beispiellose - pass auf!“

      Holger Jörns hob den rechten Zeigefinger und blitzte Elmar Redlich mit sei­nen Schlitzaugen von der Seite an.

      „Bevor die Familie also aus Waldstädten regelrecht flüchtete, sprach die verlassene Braut - also man soll’s nicht glauben! Man soll’s nicht glauben! - sie sprach in meh­reren angesehenen Familien vor, beschuldigte ihre Freundin, sie habe ihr Verlöbnis kaputtgemacht, sie wolle das den Familien, sagte sie, offiziell zur Kenntnis geben! Verstehst du: offiziell! - Tja, was sagst du nun, Elmar? Ist das nicht.... Das ist so un­gefähr das Dollste, was mir hier, in unserer Provinz, je zu Ohren gekommen ist - ver­gleichsweise, sagen wir, vergleichsweise! Es gibt natürlich noch ganz andere Sachen, aber so etwas! Eine, der der Bräutigam ausgespannt wurde, geht von Haus zu Haus und beschwert sich, gibt ihre Blamage auch noch offiziell......., nein, so ’was habe ich noch nicht gehört!“

      Der Mann am Steuer legte eine Pause ein, als hätte ihm die­se Sensation die Sprache verschlagen, umständlich griff er mit seiner Rechten in seine Hosentasche und zog ein großes Schnupftuch hervor, mit dem er sich über die vom vielen Reden feucht gewordenen Lippen und über die Stirn fuhr. Dann setzte er seine Erzählung fort:

      „Nun, so ganz unlogisch war diese Melde-Aktion der verlas­senen Braut auch wieder nicht. Man muss nämlich eins wissen: Das kleine, süße Biest, diese...äh....besagte Helena, nicht wahr, die auf so brutale Weise Schicksal spielte - sie stammte aus einer der angesehenen Familien von Waldstädten. Damit wird die Aktion der Braut ziem­lich klar: das Biest sollte angeprangert werden, es sollte Druck auf die Familie aus­geübt werden, dass sie der kaltschnäuzigen Ausspannerin ins Gewissen redet. Und der Bräutigam sollte eventuell wieder zurückgelotst werden. Ein Appell war das so­zusagen, ein Appell an den Anstand des Bräutigams; an sein - wie sagt man? - an sein Schuldgefühl, nicht? - Tja, die Familie des betroge­nen Mädchens ist dann, wie gesagt, auf und davon, nach ei­ner kurzen Zeit des Abwartens - glaube ich; aber der Ver­flossene machte leider keine Anstalten, zur Braut zurück­zukehren - war also nichts mit dem Zurücklotsen, was? Ha, ha, ha, ha! - Sie sind dann, soviel ich weiß, nach Hamburg gezogen, gewissermaßen in die große Welt hinaus....“

      Holger Jörns hatte gerade die Scheinwerfer angestellt, denn es war in dem Wald­stück, das sie durchfuhren, und wegen neu aufgekommener Bewölkung etwas dunkel geworden. Der Scheinwerferkegel des Kraftwagens erfasste kurz darauf das Ortsein­gangsschild von Enkdorf. „Waldstädten, Ortsteil Enkdorf“ las Elmar den altvertrau­ten Namen. Um sich von den unguten Gefühlen, die Jörns mit seiner Geschichte, mehr noch mit seinem meckern­den Lachen bei ihm auslöste, freizuma­chen, schaute er aufmerksamer durch das Wagenfenster, be­obachtete die ersten Häuser des Dorfes, wie sie schattenhaft und flüchtig an ihnen vorbeiglitten.

      „Tja, Elmar“, ließ sich Jörns nach einer länge­ren Pause wieder vernehmen. Er schien seine Ge­schichte beendet zu haben und wollte offenbar zu ei­ner Bewertung, zu ei­nem Resümee übergehen. „Du siehst, es gibt auch andere Gründe, seine Heimat zu verlassen!“, resü­mierte er; „wie soll ich’s nennen? Verletzter Stolz? Ge­kränkte Fami­lienehre? Unerträglicher seelischer Schmerz, den man durch einen Ortswechsel zu lindern sucht? Vielleicht war das alles nicht so ausschlaggebend, aber mitgespielt hat es bestimmt, zu­mindest der seelische Schmerz! Man wollte zu neuen Ufern, zu einem Neu­anfang, weit weg von die­ser total verkorksten Sache, von diesem ... in die Binsen gegan­genen Verlöbnis!“

      Sie waren inzwischen im Zentrum von Enkdorf. angekommen. Holger Jörns hielt nun mit Sprechen inne, da das Rotlicht einer Verkehrsampel die zügige Fahrt unter­brach. Er sah zu Elmar herüber, ähnlich durchdringend und aus­dauernd wie schon zu Beginn seiner Erzählung, so als wollte er ihn zwingen, den Kopf zu wenden, als wollte er unbedingt erreichen, dass er sich diesen Augen stellte, die sich von der Sei­te her förmlich in seinen Mitfahrer hinein­bohrten. Doch dieser tat ihm den Gefallen nicht. Irgend etwas warnte ihn, ein unbestimmtes, aus den Schat­tenzonen seiner See­le aufsteigendes Gefühl, demzufolge er es vorzog, lieber geradeaus durch die Wind­schutzscheibe zu blicken, so als beobachte er aufmerksam, mit geradezu gespanntem Inte­resse das Treiben auf der Dorfstraße; wo allerdings von einem Treiben kaum et­was zu sehen war; nur ein Traktor fuhr vor ihnen her und ein alter Mann kam ihnen, einen Karren schiebend, entgegen. Endlich spürte Elmar, wie dieser lange, prüfende Blick des Journalisten, der ihm beinah physische Schmerzen bereitete, aufhörte. Die Ampel schaltete gerade auf Grün, und Jörns legte wieder den Gang ein, ließ die Kupplung los, und ab ging es über die Kreuzung in die Mitte des Dorfes hinein. Elmar aber sehnte das Ende der Fahrt herbei, denn das Gebaren seines Nachbarn zur Seite war ihm doch lästig geworden.

      „Glaube mir, Elmar“, begann Jörns von Neuem, und seine Stimme verfiel in einen merkwürdig pa­thetischen Ton, „die Natur ist unser Schicksal. Wir sind ihr ausgelie­fert, wir sind ihrer Macht unterworfen, vor al­lem in unserer Ju­gend! Und nur schwer können wir uns gegen sie wehren. Sie macht uns im­mer wieder einen Strich durch unsere klugen Vorausberechnungen. Denk’ nur an das Ge­witter heute morgen, an die Erdmassen, wie sie an manchen Orten losbrachen. Der Laster in Waldgirmes wurde da mitgerissen, zwei Menschen sind schwer verletzt worden! Ich muss mir das gleich mal anse­hen. Alle Vorkehrungen, die wir gegen diese Katastrophen treffen, alle Si­cherheitsvorkehrungen, um die gewalttätige Natur im Zaum zu halten........“ Jörns überlegte kurz, suchte offenbar nach einem treffenderen Vergleich, um ihm die ge­fährlichen Attacken der Naturmächte plausibel zu machen, und indem er mit dem rechten Zeigefin­ger eine kreisende Bewegung in der Luft ausführte, sprach er weiter:

      „Wir bauen Schutzdämme um unsere Behausungen, gegen die Gewalt des Meeres zum Beispiel - gut! Aber was hilft es, wenn die Natur ihre ge­wal­tigsten Kräfte ent­fesselt? Wenn sie Sturmböen, Orkane und - weiß der Geier, was noch? - Springflu­ten, Sturmfluten, Wirbelstürme gegen uns loslässt? Sie überrollen alles, zertrümmern alles! Alles, was wir an trutzigen Bollwerken, an Dämmen, an Schutzdeichen dage­genstellen! - Und, glaube mir,