ein anderes Mädchen ein - man sagte, es wäre die beste Freundin der Braut gewesen, ein bildschönes Mädchen, eine kleine Helena - weißt du. Und Helena machte die Beziehung kaputt, spannte der Braut den Bräutigam aus, brachte die Hochzeit zum Platzen!“
Jörns schlug, während er die letzten Sätze sprach, mit der Rechten zweimal aufs Lenkrad, dass es laut und dumpf im Wagen knackte; mit weit aufgerissenen Augen blickte er dabei geradeaus, als befürchte er den Irrlauf eines Tieres oder er erwarte jeden Augenblick die Rückleuchte eines Schwerlasters, dem es auszuweichen gelte.
„Nun, die Geschichte ist gewiss tragisch“, fuhr er mit seiner Erzählung fort, „tragisch für das verlassene Mädchen, für die sitzen gelassene Braut, aber so ganz ungewöhnlich ist sie ja auch wieder nicht, meine ich! Denn bekanntlich kommt es öfter vor, dass die eine der anderen den Freund ausspannt - oder umgekehrt! So läuft das nun mal im Leben, die Liebe ist halt etwas arg Unbeständiges, etwas - wie soll ich sagen? - Flatteriges - wir wissen das ja aus eigener Erfahrung, mit unseren diversen Thusneldas, nicht wahr? Ha, ha, ha, ha!”
Das schallende Lachen des Erzählers ging in ein Meckern über, was in Anbetracht des tragischen Gegenstandes unangemessen und taktlos anmutete.
„Nun, das einzig Ungewöhnliche an dieser Geschichte war vielleicht, dass alles so kurz vor der Hochzeit passierte. Ich glaube, so was kommt doch relativ selten vor, nicht? Ganz außerordentlich selten, kann man sogar sagen! - Aber, pass’ auf, Elmar, etwas noch Selteneres, ich möchte fast sagen: Sensationelles passierte dann außerdem noch in unserer Geschichte! Jetzt meinst du wohl, die beiden Mädchen seien mit dem Messer aufeinander .losgegangen. Oder jedenfalls die eine, die betrogene, auf die andere, oder sie hätte sich mit Mord und Totschlag am verräterischen Bräutigam gerächt, was? - Nein, ganz so schlimm, ganz so blutrünstig ist die Geschichte nicht ausgegangen! Zunächst geschah etwas, was noch nicht gar so aufregend, aber doch immerhin bemerkenswert war: Die Familie der Braut und diese natürlich selbst haben sich die Treulosigkeit und die Blamage so zu Herzen genommen, dass sie mit Sack und Pack von Waldstädten wegzogen; sogar das Haus haben sie verkauft, der Vater ließ sich von der Firma versetzen; das Mädchen, das in Waldstädten berufstätig war, ebenfalls. Die ganze Sippe hat sozusagen sämtliche Zelte abgebrochen und ist auf und davon! - Aber jetzt kommt es, das eigentlich Aufsehen Erregende, das Beispiellose - pass auf!“
Holger Jörns hob den rechten Zeigefinger und blitzte Elmar Redlich mit seinen Schlitzaugen von der Seite an.
„Bevor die Familie also aus Waldstädten regelrecht flüchtete, sprach die verlassene Braut - also man soll’s nicht glauben! Man soll’s nicht glauben! - sie sprach in mehreren angesehenen Familien vor, beschuldigte ihre Freundin, sie habe ihr Verlöbnis kaputtgemacht, sie wolle das den Familien, sagte sie, offiziell zur Kenntnis geben! Verstehst du: offiziell! - Tja, was sagst du nun, Elmar? Ist das nicht.... Das ist so ungefähr das Dollste, was mir hier, in unserer Provinz, je zu Ohren gekommen ist - vergleichsweise, sagen wir, vergleichsweise! Es gibt natürlich noch ganz andere Sachen, aber so etwas! Eine, der der Bräutigam ausgespannt wurde, geht von Haus zu Haus und beschwert sich, gibt ihre Blamage auch noch offiziell......., nein, so ’was habe ich noch nicht gehört!“
Der Mann am Steuer legte eine Pause ein, als hätte ihm diese Sensation die Sprache verschlagen, umständlich griff er mit seiner Rechten in seine Hosentasche und zog ein großes Schnupftuch hervor, mit dem er sich über die vom vielen Reden feucht gewordenen Lippen und über die Stirn fuhr. Dann setzte er seine Erzählung fort:
„Nun, so ganz unlogisch war diese Melde-Aktion der verlassenen Braut auch wieder nicht. Man muss nämlich eins wissen: Das kleine, süße Biest, diese...äh....besagte Helena, nicht wahr, die auf so brutale Weise Schicksal spielte - sie stammte aus einer der angesehenen Familien von Waldstädten. Damit wird die Aktion der Braut ziemlich klar: das Biest sollte angeprangert werden, es sollte Druck auf die Familie ausgeübt werden, dass sie der kaltschnäuzigen Ausspannerin ins Gewissen redet. Und der Bräutigam sollte eventuell wieder zurückgelotst werden. Ein Appell war das sozusagen, ein Appell an den Anstand des Bräutigams; an sein - wie sagt man? - an sein Schuldgefühl, nicht? - Tja, die Familie des betrogenen Mädchens ist dann, wie gesagt, auf und davon, nach einer kurzen Zeit des Abwartens - glaube ich; aber der Verflossene machte leider keine Anstalten, zur Braut zurückzukehren - war also nichts mit dem Zurücklotsen, was? Ha, ha, ha, ha! - Sie sind dann, soviel ich weiß, nach Hamburg gezogen, gewissermaßen in die große Welt hinaus....“
Holger Jörns hatte gerade die Scheinwerfer angestellt, denn es war in dem Waldstück, das sie durchfuhren, und wegen neu aufgekommener Bewölkung etwas dunkel geworden. Der Scheinwerferkegel des Kraftwagens erfasste kurz darauf das Ortseingangsschild von Enkdorf. „Waldstädten, Ortsteil Enkdorf“ las Elmar den altvertrauten Namen. Um sich von den unguten Gefühlen, die Jörns mit seiner Geschichte, mehr noch mit seinem meckernden Lachen bei ihm auslöste, freizumachen, schaute er aufmerksamer durch das Wagenfenster, beobachtete die ersten Häuser des Dorfes, wie sie schattenhaft und flüchtig an ihnen vorbeiglitten.
„Tja, Elmar“, ließ sich Jörns nach einer längeren Pause wieder vernehmen. Er schien seine Geschichte beendet zu haben und wollte offenbar zu einer Bewertung, zu einem Resümee übergehen. „Du siehst, es gibt auch andere Gründe, seine Heimat zu verlassen!“, resümierte er; „wie soll ich’s nennen? Verletzter Stolz? Gekränkte Familienehre? Unerträglicher seelischer Schmerz, den man durch einen Ortswechsel zu lindern sucht? Vielleicht war das alles nicht so ausschlaggebend, aber mitgespielt hat es bestimmt, zumindest der seelische Schmerz! Man wollte zu neuen Ufern, zu einem Neuanfang, weit weg von dieser total verkorksten Sache, von diesem ... in die Binsen gegangenen Verlöbnis!“
Sie waren inzwischen im Zentrum von Enkdorf. angekommen. Holger Jörns hielt nun mit Sprechen inne, da das Rotlicht einer Verkehrsampel die zügige Fahrt unterbrach. Er sah zu Elmar herüber, ähnlich durchdringend und ausdauernd wie schon zu Beginn seiner Erzählung, so als wollte er ihn zwingen, den Kopf zu wenden, als wollte er unbedingt erreichen, dass er sich diesen Augen stellte, die sich von der Seite her förmlich in seinen Mitfahrer hineinbohrten. Doch dieser tat ihm den Gefallen nicht. Irgend etwas warnte ihn, ein unbestimmtes, aus den Schattenzonen seiner Seele aufsteigendes Gefühl, demzufolge er es vorzog, lieber geradeaus durch die Windschutzscheibe zu blicken, so als beobachte er aufmerksam, mit geradezu gespanntem Interesse das Treiben auf der Dorfstraße; wo allerdings von einem Treiben kaum etwas zu sehen war; nur ein Traktor fuhr vor ihnen her und ein alter Mann kam ihnen, einen Karren schiebend, entgegen. Endlich spürte Elmar, wie dieser lange, prüfende Blick des Journalisten, der ihm beinah physische Schmerzen bereitete, aufhörte. Die Ampel schaltete gerade auf Grün, und Jörns legte wieder den Gang ein, ließ die Kupplung los, und ab ging es über die Kreuzung in die Mitte des Dorfes hinein. Elmar aber sehnte das Ende der Fahrt herbei, denn das Gebaren seines Nachbarn zur Seite war ihm doch lästig geworden.
„Glaube mir, Elmar“, begann Jörns von Neuem, und seine Stimme verfiel in einen merkwürdig pathetischen Ton, „die Natur ist unser Schicksal. Wir sind ihr ausgeliefert, wir sind ihrer Macht unterworfen, vor allem in unserer Jugend! Und nur schwer können wir uns gegen sie wehren. Sie macht uns immer wieder einen Strich durch unsere klugen Vorausberechnungen. Denk’ nur an das Gewitter heute morgen, an die Erdmassen, wie sie an manchen Orten losbrachen. Der Laster in Waldgirmes wurde da mitgerissen, zwei Menschen sind schwer verletzt worden! Ich muss mir das gleich mal ansehen. Alle Vorkehrungen, die wir gegen diese Katastrophen treffen, alle Sicherheitsvorkehrungen, um die gewalttätige Natur im Zaum zu halten........“ Jörns überlegte kurz, suchte offenbar nach einem treffenderen Vergleich, um ihm die gefährlichen Attacken der Naturmächte plausibel zu machen, und indem er mit dem rechten Zeigefinger eine kreisende Bewegung in der Luft ausführte, sprach er weiter:
„Wir bauen Schutzdämme um unsere Behausungen, gegen die Gewalt des Meeres zum Beispiel - gut! Aber was hilft es, wenn die Natur ihre gewaltigsten Kräfte entfesselt? Wenn sie Sturmböen, Orkane und - weiß der Geier, was noch? - Springfluten, Sturmfluten, Wirbelstürme gegen uns loslässt? Sie überrollen alles, zertrümmern alles! Alles, was wir an trutzigen Bollwerken, an Dämmen, an Schutzdeichen dagegenstellen! - Und, glaube mir,