Heinz-Jürgen Schönhals

Ulrike D.


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wollte er gar nicht mitkommen. Die Ehe zwischen den beiden......., na ja, Klara hat dir ja sicher davon erzählt, nicht?“

      „Nein!“, erwiderte er, und seine Erregung steigerte sich.

      „So! Na, dann können wir ja morgen darüber....., ich meine, falls Julia noch nicht da ist..... - Ja, ja, Elmar, du kannst dir’ s ja denken, wenn man so viele Kinder hat, dann vervielfachen sich auch die Sorgen.... Na ja, wir können morgen weiter darüber spre­chen, nicht!“

      „Gut!“, sagte Elmar und konnte jetzt ein freudig-erregtes Gefühl kaum noch unter­drücken, „dann also bis morgen Nachmittag, Frau Lambertz, sagen wir so gegen halb vier?“

      „Ja, eine gute Zeit! Ich erwarte dich also und vielleicht wartet auch schon Julia auf dich, ja?“

      „Tschüss, Frau Lambertz!“

      „Tschüss, Elmar!“

      Er legte auf - und schaute sinnend vor sich hin. Seine Hand fuhr mechanisch an seine Stirn, rieb an ihr eine Weile, dann fuhr er mit ihr in seine Haare und wühlte dort eini­ge Zeit herum. Er war drauf und dran, die Fassung zu verlie­ren, so hatte ihn die An­kündigung von Frau Lambertz erschüttert. Sollten sich seine heimlichen Mutmaßun­gen nun doch nicht als Hirngespinste her­ausstellen, wovon er gestern noch überzeugt war, sollte es also doch eine neue Heimat für ihn geben, und alle vernünftigen Ein­wände gegen dieses Wunschdenken, wie er es gestern noch nannte, sich als Ge­schwätz, als Ma­kulatur herausstellen? Er wollte es nicht glauben, noch nicht, aber es schien aller Voraussicht nach genau auf das hinauszulaufen, was er insgeheim und uneingestanden erhofft hatte, wovor er allerdings nicht wenig Angst ver­spürte, weil sich ja in seinem Leben womöglich eine Umwälzung anbahnte, die einigen Men­schen, vor allem denen, die ihm nahe standen, wenig Freude bereitete, genauer ge­sagt: die ihnen Schrecken und Angst einjagen musste.

      Elmar erhob sich mit einem Ruck. Ob alles wirklich so dramatisch ablaufen würde, wie er es sich gerade vorstellte, dessen war er sich noch gar nicht sicher. Bis jetzt konnte er bei all diesen Erwartungen nur auf Andeutungen verweisen. So beschloss er, diese Kapitel, welche noch der unentdeckten, noch nicht ins Leben getretenen Zu­kunft angehörten, nicht weiter zu erör­tern. Zunächst galt es ja, den Plan auszufüh­ren, den er sich für den heutigen Tag zurechtgelegt, und der hieß nicht Besuch ehe­maliger Freunde, wie er Frau Lambertz, nicht ganz bei der Wahrheit bleibend, versi­cherte, sondern einzig und allen hieß das heute: Wanderung zum Steinfirstsee. Damit er keine Zeit verlor, wollte er dieses Mal nicht nach Enkdorf laufen, sondern mit dem Bus hinfahren und anschließend den Weg zu dem vier Kilometer ent­fernten See zu Fuß zurücklegen.

      Nachdem er die für die Wanderung nötige Wanderkluft angezogen hatte, verließ er das Hotel und begab sich zum Bahnhof. Der Bus nach Enkdorf – Waldgirmes stand dort bereits, er brauchte nur eine Fahrkarte zu lösen, schon fuhr der Bus los, fuhr zu­nächst durch die Innenstadt von Waldstädten, um kurz danach in die ihm so vertraute Straße nach Enkdorf einzubiegen. Nicht lange dauerte es, und der Mönchswald, jener breite, zwischen Wald­städten und Enkdorf gelegene Waldrücken ließ sein Ausläu­fer, die er am Horizont über eine Anhöhe schob, in prachtvollem herbstlichem Gold auf­scheinen. Da Elmar jetzt auf seiner zweiten Fahrt nach Enkdorf genauer auf diese Einzelheiten achtete, kam es ihm vor, als winkten ihm die ersten Boten seiner Hei­mat einen freundlichen Willkommensgruß entgegen. Er wuss­te, hinter dieser Anhöhe folgte eine steile Talfahrt mitten ins Herz des Mönchs­waldes hin­ein. Die Straße, dicht umsäumt von mächtigen Bu­chen und Eichen, hoch überwölbt vom Blätterdach ihrer Kronen, glich einem Tunnel, der selbst bei strahlender Sonne seine beklemmen­de Düsternis nicht verlor. Nur im Winter, wenn kahle Äste das Tageslicht ungehin­dert durchlie­ßen, erhellte sich vorübergehend die Miene des Waldes.

      Am Ende der Talfahrt würde dann wie gehabt der Wald zur linken Seite auf­lockern und den Blick auf jene ausgedehnte Talmulde freigeben, in der El­mars Heimat­dorf lag. Jetzt also, nicht mehr abgelenkt durch das Palavern eines aufdringlichen Beglei­ters, konnte er auf alle diese Besonderheiten, die ihm am Herzen lagen, genauer ach­ten, auf das weiß­angestrichene Haus seiner Eltern zum Beispiel, welches auf der ge­genüberliegenden Seite des Tales sofort ins Auge fiel, daneben ein anderes umfang­reiches Waldgebiet, die schon genann­te Steinfirst. Ungefähr in der Mitte ragte das weiße Haus aus einem Kranz hochgewachsener Ahorne hervor, und blickte kraft sei­ner herausge­hobenen Lage über die tiefer liegenden Häuser von Enkdorf hin­weg.

      Als nun der Bus die Stelle passierte, wo der Mönchswald sich zur Linken öffnete, lag das Dorf vor ihm, ausgebreitet zwischen den beiden Waldzügen, und er musste auch jetzt feststellen, nichts hatte sich aus der Ferne besehen geändert, alles sah so aus wie früher, als er noch zur Schule ging. Da kam es ihm wieder wie schon gestern vor, als wohnten sei­ne Eltern immer noch in dem Haus da oben, und sie erwarteten zur Mit­tagszeit seine Rückkehr von der Schule, und er wäre gerade im Begriff, nach Hause zu kommen.

      Doch sein Ziel war diesmal nicht sein Elternhaus; das interessierte ihn nicht mehr. Was hatte er noch mit einem Haus zu tun, welches man in eine städtische Behörde mit Büros unten wie oben verwandelt hatte. Nein, nur noch dem Steinfirstsee galt sein Interesse, nur ihn wollte er heute noch ein­mal aufsuchen, ein letztes Mal, so wie er es sich gestern vorgenommen. An die noch in der Zukunft schlummernden Ereig­nissen, die ihm gestern unauf­hörlich durch den Kopf gingen, wollte er dieses Mal keinen Gedanken mehr verschwenden.

      Der Runenweiher

      „Steinfirstsee“ – der Name ließ sich nicht so gut aussprechen; besser schon geht ei­nem das Wort ‚Runenweiher’ über die Lippen; so heißt der See näm­lich im Volks­mund. Richtiger müsste er ‚Rundhofweiher’ heißen, denn an­geblich stand vor un­denklich langer Zeit an seiner Stelle - so berichtet es eine alte Sage - eine kleine Stadt mit Namen Rundhof. Auch ‚Rundhofweiher’ war nicht gut auszusprechen, und so hatte man daraus bald einen ‚Runen­weiher’ gemacht; vielleicht auch deshalb, weil so viele Sagen über den Steinfirstsee und die geheimnisvolle Stadt „geraunt“ wur­den, uralte Sagen voller dunkler Begebenheiten. Viele Male - erinnerte sich Elmar - wurden sie ihnen als Kinder dargeboten, sei es von seiner Großmutter oder von ih­rem Dorfschullehrer, die beide spannend erzählen konnten, und ihre Kinderher­zen gerieten dann immer in furchtbare Aufregung.

      Eine dieser Sagen, die Elmar niemals vergessen wird, weil sie ihm damals einen ge­waltigen Schrecken eingejagt, handelte von den rei­chen Leuten von Rundhof, ihrem frevelhaften Ehrgeiz, ihrem Hochmut, ihrem lasterhaften Le­ben. Selbstsucht, Hart­herzigkeit und protzende Angeberei hätten sie mit zü­gellosem, die niedrigsten Sinne aufreizenden Genussleben verbunden. Keine Ausschweifung, keine Verdorbenheit sei ihnen fremd gewesen, sprach Elmars Großmutter einst mit schauer­lich verfrem­deter Stimme; keine Schlechtigkeit bis hin zum Verbrechen, zum Mord blieb bei ih­nen ausge­spart, und als das Maß ihrer Sünden endlich voll war, als selbst der Him­mel, an viele Schandtaten der Menschheit durch die Jahrtausen­de hindurch ge­wöhnt, nicht mehr gleichmütig zuschauen konnte, schick­te er seine Strafen­gel herab, die ein furchtbares Strafge­richt über die Rundhofer abhielten, in Gestalt eines gewaltigen Erdbebens, durch das die Stadt Rundhof samt ih­ren Einwohnern auf immer ausgetilgt wurde. Alle ihre Häuser stürzten in ei­nen gigantischen Kra­ter, der sich während des Bebens öffnete, und ver­schwanden in seiner unermesslichen Tiefe, ohne eine Spur zu hinterlas­sen. Mit Schaudern dachte Elmar noch daran, wie seine Großmut­ter das Aufbre­chen des Kraters mit einem fürchterlichen Gäh­nen verglich, zu welchem die Erde angesetzt; ungeheuer weit habe sie ihren Schlund aufsperrt und ihn anschließend nicht mehr zubekommen, weil ein Krampf in der Muskulatur des Schlundes zu einer Art ewiger Maulsperre führte, und aus dem Abgrund des Riesenloches sei allmählich, durch Sickerwasser und Zuflüsse kleiner Bäche Jahrhunderte lang gespeist, der klare Spiegel eines Sees emporge­stiegen und hätte das Kraterbecken bald vollständig ausgefüllt. So also sei der Runenweiher entstan­den. Staunend hatte Elmar als kleiner Junge da­mals dieser unheimlichen Schil­derung gelauscht, und immer, wenn er als Kind an den ein­samen Ufern des Sees entlangging und sich vorstellte, unter seiner regungslosen, grauen Fläche, tief unten auf zerklüf­tetem Grunde, lä­gen die Trümmer der untergegangenen Stadt samt den Überresten ihrer bö­sen