Heinz-Jürgen Schönhals

Ulrike D.


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alles oft in der pral­len Som­mersonne ausgeführt, war für sie, zumal für zarte Frauen -und Mädchenhänd­e, doch nicht so das Angemessene -

      Je länger Elmar nun von der Bushaltestelle aus zur hochragenden Steinfirst aufblick­te, hinter deren Wald­spitzen der Runenweiher in seiner mystischen Einsamkeit ruhte, umso fester schlossen sich alle seine Gedanken zu der einen Frage zusammen: Gibt es ihr Blockhaus eigentlich noch, welches sie einst unter so großen Mühen erbaut hatten? Stand es noch am Ufer des Sees, einsam und einladend zugleich, oder war es nach über zwei Jahr­zehnten den Zeitläuten zum Opfer gefallen? Nun - dachte er - das wird sich gleich herausstellen; also lenkte er sei­ne Schritte zum Ortsende, von wo man auf einem bequemen Waldweg den Steinfirstsee erreichen konnte.

      Nach einer knappen Stunde Fußmarsch durch den Hochwald der Steinfirst sowie durch einen angrenzenden Höhenzug, dessen Name ihm entfallen war, lockerten die bislang dichtstehender Buchen und Eichen ganz plötzlich vor ihm auf, und zwischen ihren Stämmen konnte er zunächst ein Stück Himmel und bald darauf in einem weit­läufigen Tal das altvertraute Bild des in der Mittagssonne freund­lich schimmernden Sees erkennen. Der bis dahin gerade verlaufende Waldweg fiel in einer scharfen Bie­gung nach links ab, verwandelte sich in einen Hohlweg und entschwand bald darauf Elmars Bli­cken. In einigen Windungen führte er direkt zum See hinunter, vorbei an zahlreichen, hangartig abfallenden Wiesenstücken, die man ob ihres saftig-grünen Grases sehr gut als Viehweiden benutzen konnte, aber, soweit er sich erinnerte, nie­mals als solche gebrauchte, vielleicht weil die in Frage kommenden Bauernhöfe et­was zu weit entfernt lagen.

      Die Sonne verkroch sich eben für kurze Zeit hinter einem dicken Wolkenbal­len, und sofort änderte der See, auf dem Elmars Auge wie gebannt fixiert war, sein Aussehen: seine ziemlich runde, bisher lichtübergossene Fläche verwandelte sich in ein dunkles, tief grü­nes Maar, und da überall an seinen Rändern, wo kurzstämmige Na­delwälder grenzten, nachtschwarze Fichten ihre Wipfel wie spitze Zacken in den Himmel reckten, kam es ihm vor, als läge dort unten im Talkessel ein riesiges, be­wimpertes Insektenauge und starrte boshaft zu ihm herauf. Rasch löste sich sein Blick von der eingebil­deten unheimlichen Erscheinung und eilte in Sekundenschnel­le die Ufer des Runenweihers entlang, bis zu dem Punkt, wo nach seiner Erin­nerung das Wochenendhaus seiner Eltern stehen müsste - vergeblich: der kleine Holzbungal­ow, der ob seiner leuchtend weißen Farbe einem von der Höhe bli­ckenden Wanderer immer sofort ins Auge sprang - er konnte ihn trotz ange­strengten Suchens nicht entdecken, und nach einigen Minuten wurde es ihm zur Gewissheit: das Häuschen war verschwunden, war regelrecht vom Erd­boden ausgetilgt, als hätten unbekannte Kräfte es irgendwann einmal em­porgehoben und anschließend in den See gestoßen.

      Keine Viertelstunde brauchte er, um zum See hinunterzukommen und die Stelle zu erreichen - die leere Stelle -, wo einst ihr Wochenend­haus gestan­den hatte.

      ‚Ja, genau hier muss es gewesen sein’, dachte er und schaute auf ein von Brenneseln und Quecken überzogenes Stück Land. War irgendein Stein oder irgendein Holzbrett erhalten geblieben? Nein! Auch ein Balken war nir­gendwo zu erblicken! Nur Leere starrte ihm entgegen - Leere, gefüllt mit wu­cherndem Unkraut!

      Sein Blick glitt über den See, erfasste seine mit dichten, schwarzgrünen Fichtenwäl­dern umsäumten Ufer. Alles sah aus wie vor über 20 Jahren - nur ihr Blockhaus fehl­te, als wäre es aus dieser Land­schaft herausgenommen und der ursprüngliche, ewig unveränderliche Zustand der Natur wiederher­gestellt worden - kam es ihm vor.

      Genau gegenüber stiegen immer noch die bewaldeten Hänge des Topen­bühls auf, je­nes bereits genannten Waldhügels. Deutlich war er an dem Wildwuchs des Unterhol­zes und zahlreicher bizarr ge­formter Krüppelkiefer zu erkennen. Zur Kuppe des Hü­gels ragten hochstämmige, teilweise von unten nach oben aufgekahlte Fichten em­por, nur hier und da von den breiten Kronen einzelner Altbuchen unterbrochen, die ob ihrer Herbstfärbung wie gelbrote Brandmale aus dem dunkelgrünen Einerlei her­vorstachen.

      Dieser ’Totenbühl’, wie er ja auch genannt wurde, verdankt seine volkstümli­che Be­zeichnung einigen schrecklichen Vorfällen, die sich in seinem einsa­men, wilddurch­wachsenen Gelände ereignet haben sollen. Ein­mal hätte sich dort ein junges Mäd­chen aus Liebeskummer an einer der vielen knorrigen Kiefern erhängt, und man mun­kelte, ihr Geist würde zuweilen noch in dem Waldstück umge­hen, vorwiegend in der Abenddämmerung. Auch könnte man den Geist eines ehemaligen Raubritters an­treffen, dessen Burg im fer­nen Mittelalter auf dem Gipfel des Totenbühls ge­standen haben soll. Von einem zusammengetrommelten Heer, bestehend aus Bürgern der nahe lie­genden Dörfer und Städte, wäre sie irgendwann in der Zeit des Faustrechts „geknackt“ und dem Erdboden gleichgemacht worden. Den Ritter hätten die wutent­brannten Bauern- und Stadtkrieger dabei enthauptet. Man sprach auch von den Ab­stürzen zweier Flugzeuge am Ende des Zweiten Weltkrie­ges: Ein amerikanischer Lancasterbomber sei hier nach einem Luftkampf aufgeprallt; desgleichen - einige Zeit später - ein deutsches Heinkel-Jagd­flugzeug, und von den Besatzungen sei niemand lebend geborgen wor­den, auch die Leichen habe man trotz intensiven Suchens nie gefunden. Diese merkwürdige Häufung von Todesfällen, verbunden mit dem Unheimli­chen, Rätselhaften dieser Vorkommnisse - hier also lag wohl die Ursache der Namensgebung. Sie drückten dem harm­losen, an der Südostecke des Runenweihers gelegenen Waldstück auf immer den Stempel des Unheilvol­len, Schicksalhaften auf, was Elmars kühl und nüchtern veranlagter Familie allerdings nicht hinderte, direkt gegenüber dem angeblichen dü­steren Ort der Heimsuchung jenes hübsche Fe­rienblockhaus zu errichten, unabergläubisch, wie Familie Redlich nun einmal eingestellt war.

      Elmar betrachtete nun etwas genauer das kleine Stück Land, auf dem einst ihr Häus­chen gestanden hatte, vor allem den Teil, der einmal ihr Garten war, und sofort trat es ihm lebhaft vor Augen, wie sie ihn damals mit viel Mühe ange­legt, allen voran wie­der sein Freund Joachim und er, denn sein Vater hatte ihnen eine fulminante Beloh­nung versprochen, falls sie sich wieder so mächtig ins Zeug legten wie bei der Er­richtung des Häuschens, ihm also ei­nen Garten bauten, wie er ihn sich vorstellte: mit wohl anzu­schauenden Zierbäumen, edlen Sträuchern, einem kleinen Ra­senstück und viel Blumen­schmuck auf den Beeten und mit einem kleinen Steingarten.

      Eine wahre Herkulesarbeit war nötig ge­wesen, um seinen Wünschen nachzukomm­en, um der unerbittli­chen, mit starken Wurzeln im Boden veranker­ten Waldnatur die­ses kleine, künstliche Gartengebilde abzuringen: Zunächst mussten kleine Waldbäu­me gefällt, zahlreiche tiefe Gräben ausgeschachtet und das im Erdreich wirr ver­zweigte Wurzelwerk mit Spitzhacke und Beil ausgemerzt werden; später dann, nach­dem die kleine Gartenoase vollendet war, mussten die beiden Jungen immer aufpas­sen, dass der gnadenlose Wildwuchs des Waldes, mit seiner wurzelhaft wühlender Kraft, nicht von au­ßen herandrän­gte und den empfindlichen Gartenpflanzen die Le­benskraft raubte, womit all das ziemlich schnell zerstört sein würde, was sie mit viel Phantasie und viel Eifer aufgebaut hatten.

      Doch bis es soweit war, dass sie sich der Pflege ihres Wer­kes zuwenden konnten, bis die Samen ausgesät, die Jungpflan­zen auf den Beeten und Ra­batten ihre gleichmäßig grünen In­seln bildeten, bis Sträucher und Büsche in verschiedener Dichte und Größe dem Auge das wohlbekannte, abgestufte Pro­fil eines hübschen Ziergartens anzeigten, musste noch hart gearbeitet werden, mussten sie etliche Wochen lang tagaus, tagein zwischen Heimat­dorf und Runenweiher hin- und herpen­deln, zumeist mit einem Lei­terwagen, und auf ihm die Gartenbäume und Sträucher zum See befördern, was eine verdammt anstrengende, vor allem eine zeitraubende, nervtötende Arbeit war: Birken und Ahornbäume, solche von der buntblättrigen Sorte, transpor­tierten sie zum See, außerdem Liguster- und Hartriegelsträucher und na­tür­lich die unvermeidliche, elegante Alpenrose, alle von Elmars Vater in einer Baumschule gekauft. Aber auch der Wald selbst öffnete ihnen seine Schatz­kammern, bot ihnen, während sie tief in seine gewaltigen Gemächer ein­drangen, einige herrlich gewachsene Waldginsterbü­sche an, die sie sogleich ausgruben und ebenfalls auf dem Leiterwagen herankarrten, meist über holpriges Gelände, bestenfalls auf groben, über­wurzelten Pfaden, die oft mitten im Wald endeten, und sie pflanzten sie dann in ihren neu angelegten Ziergar­ten ein, wie die anderen auch, nachdem sie den Boden noch einmal kräftig umgegra­ben und mit Torf ver­bessert hatten. Joachims Eltern, die gute Beziehungen zu einem Gärt­ner hatten, ver­schafften ihnen immer einen günstigen