alles oft in der prallen Sommersonne ausgeführt, war für sie, zumal für zarte Frauen -und Mädchenhände, doch nicht so das Angemessene -
Je länger Elmar nun von der Bushaltestelle aus zur hochragenden Steinfirst aufblickte, hinter deren Waldspitzen der Runenweiher in seiner mystischen Einsamkeit ruhte, umso fester schlossen sich alle seine Gedanken zu der einen Frage zusammen: Gibt es ihr Blockhaus eigentlich noch, welches sie einst unter so großen Mühen erbaut hatten? Stand es noch am Ufer des Sees, einsam und einladend zugleich, oder war es nach über zwei Jahrzehnten den Zeitläuten zum Opfer gefallen? Nun - dachte er - das wird sich gleich herausstellen; also lenkte er seine Schritte zum Ortsende, von wo man auf einem bequemen Waldweg den Steinfirstsee erreichen konnte.
Nach einer knappen Stunde Fußmarsch durch den Hochwald der Steinfirst sowie durch einen angrenzenden Höhenzug, dessen Name ihm entfallen war, lockerten die bislang dichtstehender Buchen und Eichen ganz plötzlich vor ihm auf, und zwischen ihren Stämmen konnte er zunächst ein Stück Himmel und bald darauf in einem weitläufigen Tal das altvertraute Bild des in der Mittagssonne freundlich schimmernden Sees erkennen. Der bis dahin gerade verlaufende Waldweg fiel in einer scharfen Biegung nach links ab, verwandelte sich in einen Hohlweg und entschwand bald darauf Elmars Blicken. In einigen Windungen führte er direkt zum See hinunter, vorbei an zahlreichen, hangartig abfallenden Wiesenstücken, die man ob ihres saftig-grünen Grases sehr gut als Viehweiden benutzen konnte, aber, soweit er sich erinnerte, niemals als solche gebrauchte, vielleicht weil die in Frage kommenden Bauernhöfe etwas zu weit entfernt lagen.
Die Sonne verkroch sich eben für kurze Zeit hinter einem dicken Wolkenballen, und sofort änderte der See, auf dem Elmars Auge wie gebannt fixiert war, sein Aussehen: seine ziemlich runde, bisher lichtübergossene Fläche verwandelte sich in ein dunkles, tief grünes Maar, und da überall an seinen Rändern, wo kurzstämmige Nadelwälder grenzten, nachtschwarze Fichten ihre Wipfel wie spitze Zacken in den Himmel reckten, kam es ihm vor, als läge dort unten im Talkessel ein riesiges, bewimpertes Insektenauge und starrte boshaft zu ihm herauf. Rasch löste sich sein Blick von der eingebildeten unheimlichen Erscheinung und eilte in Sekundenschnelle die Ufer des Runenweihers entlang, bis zu dem Punkt, wo nach seiner Erinnerung das Wochenendhaus seiner Eltern stehen müsste - vergeblich: der kleine Holzbungalow, der ob seiner leuchtend weißen Farbe einem von der Höhe blickenden Wanderer immer sofort ins Auge sprang - er konnte ihn trotz angestrengten Suchens nicht entdecken, und nach einigen Minuten wurde es ihm zur Gewissheit: das Häuschen war verschwunden, war regelrecht vom Erdboden ausgetilgt, als hätten unbekannte Kräfte es irgendwann einmal emporgehoben und anschließend in den See gestoßen.
Keine Viertelstunde brauchte er, um zum See hinunterzukommen und die Stelle zu erreichen - die leere Stelle -, wo einst ihr Wochenendhaus gestanden hatte.
‚Ja, genau hier muss es gewesen sein’, dachte er und schaute auf ein von Brenneseln und Quecken überzogenes Stück Land. War irgendein Stein oder irgendein Holzbrett erhalten geblieben? Nein! Auch ein Balken war nirgendwo zu erblicken! Nur Leere starrte ihm entgegen - Leere, gefüllt mit wucherndem Unkraut!
Sein Blick glitt über den See, erfasste seine mit dichten, schwarzgrünen Fichtenwäldern umsäumten Ufer. Alles sah aus wie vor über 20 Jahren - nur ihr Blockhaus fehlte, als wäre es aus dieser Landschaft herausgenommen und der ursprüngliche, ewig unveränderliche Zustand der Natur wiederhergestellt worden - kam es ihm vor.
Genau gegenüber stiegen immer noch die bewaldeten Hänge des Topenbühls auf, jenes bereits genannten Waldhügels. Deutlich war er an dem Wildwuchs des Unterholzes und zahlreicher bizarr geformter Krüppelkiefer zu erkennen. Zur Kuppe des Hügels ragten hochstämmige, teilweise von unten nach oben aufgekahlte Fichten empor, nur hier und da von den breiten Kronen einzelner Altbuchen unterbrochen, die ob ihrer Herbstfärbung wie gelbrote Brandmale aus dem dunkelgrünen Einerlei hervorstachen.
Dieser ’Totenbühl’, wie er ja auch genannt wurde, verdankt seine volkstümliche Bezeichnung einigen schrecklichen Vorfällen, die sich in seinem einsamen, wilddurchwachsenen Gelände ereignet haben sollen. Einmal hätte sich dort ein junges Mädchen aus Liebeskummer an einer der vielen knorrigen Kiefern erhängt, und man munkelte, ihr Geist würde zuweilen noch in dem Waldstück umgehen, vorwiegend in der Abenddämmerung. Auch könnte man den Geist eines ehemaligen Raubritters antreffen, dessen Burg im fernen Mittelalter auf dem Gipfel des Totenbühls gestanden haben soll. Von einem zusammengetrommelten Heer, bestehend aus Bürgern der nahe liegenden Dörfer und Städte, wäre sie irgendwann in der Zeit des Faustrechts „geknackt“ und dem Erdboden gleichgemacht worden. Den Ritter hätten die wutentbrannten Bauern- und Stadtkrieger dabei enthauptet. Man sprach auch von den Abstürzen zweier Flugzeuge am Ende des Zweiten Weltkrieges: Ein amerikanischer Lancasterbomber sei hier nach einem Luftkampf aufgeprallt; desgleichen - einige Zeit später - ein deutsches Heinkel-Jagdflugzeug, und von den Besatzungen sei niemand lebend geborgen worden, auch die Leichen habe man trotz intensiven Suchens nie gefunden. Diese merkwürdige Häufung von Todesfällen, verbunden mit dem Unheimlichen, Rätselhaften dieser Vorkommnisse - hier also lag wohl die Ursache der Namensgebung. Sie drückten dem harmlosen, an der Südostecke des Runenweihers gelegenen Waldstück auf immer den Stempel des Unheilvollen, Schicksalhaften auf, was Elmars kühl und nüchtern veranlagter Familie allerdings nicht hinderte, direkt gegenüber dem angeblichen düsteren Ort der Heimsuchung jenes hübsche Ferienblockhaus zu errichten, unabergläubisch, wie Familie Redlich nun einmal eingestellt war.
Elmar betrachtete nun etwas genauer das kleine Stück Land, auf dem einst ihr Häuschen gestanden hatte, vor allem den Teil, der einmal ihr Garten war, und sofort trat es ihm lebhaft vor Augen, wie sie ihn damals mit viel Mühe angelegt, allen voran wieder sein Freund Joachim und er, denn sein Vater hatte ihnen eine fulminante Belohnung versprochen, falls sie sich wieder so mächtig ins Zeug legten wie bei der Errichtung des Häuschens, ihm also einen Garten bauten, wie er ihn sich vorstellte: mit wohl anzuschauenden Zierbäumen, edlen Sträuchern, einem kleinen Rasenstück und viel Blumenschmuck auf den Beeten und mit einem kleinen Steingarten.
Eine wahre Herkulesarbeit war nötig gewesen, um seinen Wünschen nachzukommen, um der unerbittlichen, mit starken Wurzeln im Boden verankerten Waldnatur dieses kleine, künstliche Gartengebilde abzuringen: Zunächst mussten kleine Waldbäume gefällt, zahlreiche tiefe Gräben ausgeschachtet und das im Erdreich wirr verzweigte Wurzelwerk mit Spitzhacke und Beil ausgemerzt werden; später dann, nachdem die kleine Gartenoase vollendet war, mussten die beiden Jungen immer aufpassen, dass der gnadenlose Wildwuchs des Waldes, mit seiner wurzelhaft wühlender Kraft, nicht von außen herandrängte und den empfindlichen Gartenpflanzen die Lebenskraft raubte, womit all das ziemlich schnell zerstört sein würde, was sie mit viel Phantasie und viel Eifer aufgebaut hatten.
Doch bis es soweit war, dass sie sich der Pflege ihres Werkes zuwenden konnten, bis die Samen ausgesät, die Jungpflanzen auf den Beeten und Rabatten ihre gleichmäßig grünen Inseln bildeten, bis Sträucher und Büsche in verschiedener Dichte und Größe dem Auge das wohlbekannte, abgestufte Profil eines hübschen Ziergartens anzeigten, musste noch hart gearbeitet werden, mussten sie etliche Wochen lang tagaus, tagein zwischen Heimatdorf und Runenweiher hin- und herpendeln, zumeist mit einem Leiterwagen, und auf ihm die Gartenbäume und Sträucher zum See befördern, was eine verdammt anstrengende, vor allem eine zeitraubende, nervtötende Arbeit war: Birken und Ahornbäume, solche von der buntblättrigen Sorte, transportierten sie zum See, außerdem Liguster- und Hartriegelsträucher und natürlich die unvermeidliche, elegante Alpenrose, alle von Elmars Vater in einer Baumschule gekauft. Aber auch der Wald selbst öffnete ihnen seine Schatzkammern, bot ihnen, während sie tief in seine gewaltigen Gemächer eindrangen, einige herrlich gewachsene Waldginsterbüsche an, die sie sogleich ausgruben und ebenfalls auf dem Leiterwagen herankarrten, meist über holpriges Gelände, bestenfalls auf groben, überwurzelten Pfaden, die oft mitten im Wald endeten, und sie pflanzten sie dann in ihren neu angelegten Ziergarten ein, wie die anderen auch, nachdem sie den Boden noch einmal kräftig umgegraben und mit Torf verbessert hatten. Joachims Eltern, die gute Beziehungen zu einem Gärtner hatten, verschafften ihnen immer einen günstigen