Heinz-Jürgen Schönhals

Ulrike D.


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ja? Genießen die Landschaft und so.....“

      „Aha!“, rief Elmar erheitert aus, „Spießers Gartenlaube lässt grüßen.“

      Achims grinsendes Gesicht war mit einem Schlag ernst geworden. Man konnte ihm keine größere Be­leidigung antun, als ihn mit Spießern auf eine Stufe zu stellen. Spie­ßige Menschen hasste er, wie man seine ärgsten Feinde nur hassen kann. Er hatte sich intensiv mit dem Problem des 'Spießertums in unserer Gesellschaft' auseinan­dergesetzt; zur Zeit arbeitete er, angeregt von ihrem Deutsch- und Sozialkundelehrer Dr. Tegelmann, an einem Referat mit dem Thema "Spießer und Philister in der deut­schen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts". Dabei hatte er ein ungeheures Wissen über diese abscheuliche Menschengattung zusam­mengetragen, das er bei jeder Gele­genheit an den Mann zu bringen suchte, und man brauchte nur einen entsprechenden Impuls zu geben, schon brach es aus ihm, dem gnadenlosen Anti-Bour­geois, heraus in einem unerhörten Redeerguss, voll Spott und tiefer Verachtung.

      "Spießer werden wir selbstverständlich nicht!". Achims Stimme klang zwar ruhig und temperiert, Elmar glaubte dennoch, ein ärgerliches Knurren herauszuhören, was bedeutete, dass er seine empfindliche Stelle getroffen hatte.

      "Muss man Spießer sein, wenn man dem Leben die schönen Seiten abgewinnen will?", fuhr er mit dem grollenden Unterton in der Stimme fort, und der Freund er­wartete nun die bekann­te, eifernde Spottrede über seine Intimfeinde. „Ich glaube, ‚Lebenskünstler’ ist das richtige Wort. Außerdem, wir treiben hier Sport, um seiner selbst willen, was Spießer in den meisten Fällen nicht tun, die sind in diversen Golf- und Tennisclubs nur, weil sie damit angeben können. Was glaubst du wohl, was Spießer tun, wenn sie ein Wochenendhäuschen wie wir besitzen und haben keine Gelegenheit, ihre Person gebührend he­rauszustellen? Sie setzen sich auf die Bank, er schmaucht sein Pfeifchen, sie strickt einen Wollpullover, und sie sind’ s zufrieden....“

      „Genau das wolltest du doch eben auch tun!“, warf Elmar ein, „du wolltest dich auch auf die Bank setzen und....“

      „Aber wir sind dabei nicht satt und zufrieden, wie die Spießer“, rechtfertigte sich Joachim, „der Spießer ist das aber, und zwar in ganz starkem Maße: satt und zufrie­den! Zufriedenheit ist überhaupt ein Hauptkennzeichen dieser Leute. Sie denken nicht an eine geistige Weiterentwicklung; sie sind geistig vollkommen saturiert. Wenn sie Bedürfnisse haben, dann nur rein physischer Art: das Verlangen nach Reichtum, Rang, Einfluss, Macht – das geht dem Philister über alles, nur in diesen physischen Sachen möchte er sich weiterentwickeln, möchte er andere übertreffen, andere ihre Unterlegenheit spüren lassen oder sich von ihnen ehren lassen. Gern sucht er auch die Bekanntschaft von solchen, die in diesen Dingen herausragen; dann möchte er sich im Schein ihres Glanzes sonnen und mit seiner bedeutenden Bekannt­schaft hausieren gehen. So sind Spie­ßer! Und außerdem.......“, Achim fuhr jetzt mir erhobener Stimme fort, wobei der bislang eher sachlich-kritische Ton immer mehr von einer zornigen Erregung überlagert wurde, „wir pflegen hier echte Freund­schaft; auch das tun Spießer nicht. Die haben nur ihren nützlichen Umgang, ihre Empfänge, ihre gepfleg­ten Gesellschaften. Schau doch deine Eltern an oder meine: haben die Freunde? Wirkliche, wahrhaftige Freunde? Nein, die haben nur sogenannte Freunde, besser gesagt: Bekannte! Und sie treffen sich mit ihnen, um sich vor ihnen zu zeigen, denn sie lechzen nach ihrer Anerkennung, ihrem Beifall; dann beweihräuchern sie den anderen für irgendein angeblich respektgebietendes Bour­geois-Betragen; gleich­zeitig suchen sie ihn durch eigenes Imponiergehabe zu verunsichern, sie wollen ihm dann Achtung und Wohlwollen abverlangen. Beispielsweise so....“

      Achims Stimme nahm wieder den bekannten gekünstelten Ton an:

      „Haben gnädige Frau schon unsere neuesten Dias von unserer Reise nach Kenia mit Einschluss der Masai - Mara -Safari gesehen? Nein? Aber, aber! Da wird es höchste Zeit! Sie werden entzückt sein; kommen Sie doch morgen Abend mit ihrem Gatten bei uns vorbei!“ -

      Achim sprach das ‚Gatten’ so aus, als hätte es mindestens fünf Te’ s.

      „Die Meiers sind auch eingeladen. Welche Meiers? Na, der Tennis-Meier natürlich, der Präsident vom Tennisclub nebst Gattin; Prokurist bei Kleider-Böckmann, rechte Hand vom Chef! – Übrigens, auch einige köstliche Tropfen erwarten Sie: ein exqui­siter Meursault und ein umwerfender Chabli premier cru! Haben Sie schon unseren brandneuen Opel-Kapitän gesehen; Sie wissen, das neue Modell zu 25000 Mark! Nein? Den werden Sie sich doch nicht entgehen lassen wollen! – Wir haben übrigens auch unser Herrenzimmer neu möbliert: neue Polstergarnitur, neuer Bücherschrank, Massivholz, echt Eiche! Und ein nagelneuer Mahagoni-Schreibtisch! Umwerfend, sage ich Ihnen! Ein phantastisches, erlesenes Stück! Die Preise sind natürlich streng vertraulich, wissen Sie, Sie fallen aber um, wenn ich sie Ihnen nenne: zehntausend Mark die Polstergarnitur und der Schreibtisch erst: zwölf Riesen mussten wir hin­blättern...... und so weiter und so weiter.“

      Achim sprach jetzt wieder mit normaler Stimme: „Na, wie werden deine Eltern wohl reagieren, Elmar? Wollen Sie die kostbare gesellschaftliche Verbindung zu diesen einflussreichen Freunden nicht verlieren, müssen Sie zurückklotzen. Sie faseln dann etwas von Kommodore oder Mercedes, den sie sich gerade neu zugelegt haben; sie laden zu echtem Rheingauer-Super-Auslesewein ein, und ihren nächsten Urlaub müssen sie wohl min­destens in Gran Canaria oder auf Rhodos, am besten in Übersee verbringen: Mauritius, Seychellen, Sri Lanka.... Wer nicht mithält bei diesem Protzwettbewerb, vielleicht weil er nicht kann oder weil er einfach keine Lust auf Spießergetue hat, weil ihm das Ganze zu dumm ist, eben zu philiströs - ja, was pas­siert mit dem? Er gerät ins Abseits. Die netten Freunde fan­gen an zu tuscheln, wis­pern schadenfroh hinter seinem Rücken, und man lässt ihn fallen, den guten Freund von ehedem, wie eine heiße Kar­toffel - und warum? Man kann mit ihm keinen Staat mehr machen, er hat sich in degoutanter Weise klein gemacht, hat sich auf eine nied­rigere Rangstufe gestellt; das bedeutet: er hat gegen die von den Spießern peinlich eingehaltene Rangordnung verstoßen. ’Urlaub im Westerwald?’“, sprach Joachim jetzt wieder mit über­drehter Stimme, „nein danke, da regnet es doch immer! Ge­brauchten VW. gekauft? Igitt, igitt! - Tafelwein aus dem Kon­sum wagte er uns anzu­bieten! Er sollte doch bitte auf meinen emp­findlichen Magen Rücksicht nehmen!’ - Das sind Spießer, Elmar! Sind wir so? Ich sage: Nein!!“

      „Donnerwetter!“, rief Elmar aus und bewunderte seinen Freund wegen seines pro­funden Wissens, gleichzeitig bezweifelte er, ob all das, was er ihm in seiner flam­menden Anti-Spießer- Rede vorgetragen hatte, auf seinem eigenen Mist gewachsen war. Elmar wusste, Dr. Tegelmann hatte ihm einige Bücher ausgeliehen, die er sich in einer Großstadtbibliothek selbst besorgt hatte; „du hast wohl auswendig gelernt, was du in der Spießerliteratur von Dr. Tegelmann gelesen hast, was?“

      „Klar habe ich mich informiert“, gab Joachim seine Sekundärkenntnisse zu, ohne al­lerdings eine Spur von Unsicherheit zu verraten, „man kann sich ja diese Sachen nicht aus den Fingern saugen...“

      Achim legte kurz eine Pause ein, wohl um sich noch weitere Beispiele aus dem spie­ßigen Heldenleben zu überlegen, dann fuhr er fort:

      „Spießer sind eine scheußliche, schäbige Sorte von Mensch. Haben sie zum Beispiel eine Schwäche bei einem ihrer Bekannten ausgemacht, sagen wir: einen wunden Punkt, irgend etwas, weißt du, was den anderen in ihren Augen herabsetzt, zum Bei­spiel ein Makel in der Familie - der Sohn hat das Staatsexamen nicht bestanden oder die verheiratete Tochter ist mit einem Liebhaber durchgebrannt - schon spürt der Spießer Überlegenheitsgefühle, er spürt, wie bei dem Gebrandmarkten das Prestige dahinwelkt, wie der eben noch Geachtete zur Schnecke mutiert im Ansehen seiner Philisterfreunde, denn bei dem herrscht ja das Chaos, während bei ihm, dem Philis­ter, alles in bester Ordnung ist, jedenfalls nach außen hin; das genügt ihm, um diese Pechnase von Bekannten von oben herab zu behandeln, ihm das Wort im Mund her­umzudrehen, ihm seine Argumente zu entkräften, wo’s nur geht, seine Meinung ins Lächerliche zu ziehen, seine Ehre durch üble Nachrede weiter zu zerpflücken. Er will ihm halt demonstrieren, dass er ihn nicht mehr ernst nimmt, dass alle ihn nicht mehr ernst nehmen, denn der Gute hat sich ja diese fatale Schwäche geleistet, und an der rankt sich der Spießer nun hoch, aus dieser Schwäche des anderen nährt er sein Selbstbewusstsein.“

      „Okay, ist schon gut!“, rief Elmar aus, amüsiert und erleich­tert zugleich,