das Auge freundlich zum Ausruhen einladenden Steingarten anlegen, und zwar seitlich an der Terrasse. Also mussten erst einmal Steine herangeschleppt, guter Mutterboden aus Walderde, Sand und Torf gemischt, außerdem Polsterstauden in reicher Zahl eingekauft werden, und nachdem dies geschehen, nachdem alle diese Pflanzenjuwele, zunächst noch unansehnlich grün ausschauend, eingegraben waren, dauerte es nicht mehr lange, bis die stolzen Kohorten der Frühjahrs- und Sommerblüher nacheinander ihre Farbteppiche direkt vor der Terrasse prachtvoll und bunt entrollten: zuerst das gelbe Steinkraut und das dunkelviolette Blaukissen, dann der karminrote Riesensteinbrech und die Küchenschelle mit ihren zartvioletten Blütenblättern und gelben Kelchen. Ihr folgten bald das weißleuchtende Hornkraut mit seinen silbrigen Blättern und Stängeln sowie die duftendblauen Glocken der Campanula; schließlich - als krönenden Abschluss - entfalteten die rotvioletten und die rosa-weißen Blüten der Flammenblume ihren ganzen feurigen Charme. Auf den Randbeeten, wo ein Drahtzaun die kleine Kulturlandschaft von dem Wald trennte, prangten wie selbstverständlich in allen denkbaren Farbtönungen die Polianda- und Floribundarosen, und in den beiden Winkeln des hinteren Zaunes streckte ab August, jeweils aus dichten Horsten, der Sonnenhut seine goldgelb strahlenden Köpfe empor. -
Doch wo war all diese Herrlichkeit geblieben? Vergeblich suchte Elmar einige seiner Gartenlieblinge wiederzufinden. Es war buchstäblich nichts mehr vorhanden; nur von den Birken und Ahornen stand noch je ein Exemplar, aber kläglich dahinkümmernd, weil fast vollständig zugedeckt von urwüchsig wuchernden Schlehen und Heckenkirschen. Und die Gartenbeete? Der Zaun war selbstverständlich nicht mehr da. Innerhalb des Bereiches, den er einst schützend umhegte, war alles von Brennnesseln und Queckenhorsten überwachsen; dazwischen schossen einige Jungfichten in verschiedener Größe platzgreifend empor; im übrigen war der von ihnen einst unter großen Mühen urbar gemachte Boden von bizarr durcheinanderlaufenden Baumwurzeln zerschnitten und zerschunden. Keine Spur mehr von den prachtvollen Rhododendrenbüschen! Der grüngoldene Liguster, die buntblättrigen Hartriegelsträucher - wie vom Erdboden verschluckt! Und der Waldginster, jener stolze Strauch mit seinen im Frühsommer goldfunkelnden Blütentrauben? Auch er verschwunden in dem Gewirr von Brennnesseln und buschigem Wollgras!
Elmar bückte sich. Zwischen zwei buckligen Grasbüschen hatte er etwas entdeckt, einen Backstein. Also doch ein Überrest! Aber von Moos überzogen. Er gehörte offenbar zu den Grundmauern ihres Hauses. Er hob ihn auf, betrachtete kurz das zerbröckelte, rissige Gebilde und warf es dann in hohem Bogen in den See, dorthin, wo nach seiner Vorstellung auch die übrigen Teile des Hauses versunken waren. Vielleicht hatte ein Sturm das morsch gewordene Holzhaus irgendwann zum Einsturz gebracht, zahlreiche Balken mochten ins Wasser gefallen und abgetrieben sein; andere waren vielleicht eines Tages von irgendeinem Bauern samt den Ziegelsteine, die er vielleicht gut gebrauchen konnte, abtransportiert worden. Das Holz hatte er vermutlich verfeuert, die Ziegelsteine anderweitig verwendet, vielleicht als Grundmauern für einen neuen Stall.
In Gedanken verloren, setzte sich Elmar auf einen Baumstumpf, sein Blick wanderte den Weg entlang, den er gerade gekommen war, hielt bei einer vereinzelt stehenden Pyramidenpappel an, durch welche der Wind wie rasend hindurchging. Er erinnerte sich, den Baum schon in frühester Jugend so beobachtet zu haben, in gleicher Größe und Gestalt; ja das Bild seiner unbändig im Wind hin und her schwankenden Krone schien ihm plötzlich so vertraut, als stände dort ein alter Bekannter und grüßte mit heftiger Gebärde zu ihm herüber, um seiner wilden Freude über ihr Wiedersehen Ausdruck zu verleihen. Da dieser Baum für ihn gleichsam das Verbindungsglied zu den früheren Zeiten darstellte, reizte es ihn, die alte Zeit wieder in Erinnerung zurückzurufen. Dagegen musste erst einmal ein anderer, warnender Gedanke niedergerungen werden, der ihm riet, die alten Geschichten, statt sie zu seinem Missvergnügen zu neuem Leben zu erwecken, lieber in den verschlossenen Schubfächern seines Gedächtnisses ruhen zu lassen.
Doch das Verlangen, gerade dies zu tun, das heißt die Schubfächer aufzuschließen und in Augenschein zu nehmen, regte sich bei ihm, es regte sich umso mehr, je stärker er den Wunsch verspürte, von seinen künftigen Alpträumen befreit zu werden, die vielleicht noch belastender, noch qualvoller sein könnten, als die Erinnerung an irgendwelche unguten Ereignisse seiner Vergangenheit. Instinktiv ahnte er, es hätte Vorfälle um Ulrike Düsterwald und um Julia gegeben, an denen er beteiligt gewesen war und die bei ihm ein schlechtes Gewissen, ja ein Schuldgefühl ausgelöst hatten. Welche Vorfälle das waren, wusste er nicht mehr genau. Er hatte alle Erlebnisse, die mit Julia zusammenhingen, weitestgehend verdrängt. Sein Entschluss damals, sich niemals mehr des Kapitels, das Julia Lambertz hieß, zu erinnern, führte im Laufe der Zeit dazu, dass ihm der ganze Beziehungsknäuel entglitt, dass sich in seinem Gedächtnis, was die Erlebnisse mit Julia im Einzelnen betraf, eine große, weiße Fläche herausgebildet hatte. Doch diese Fläche - überlegte er - wenn er auf sie jetzt wieder die Bilder dieser bestimmten, anvisierten Phase seines Lebens projizierte - könnte sich das für ihn nicht doch positiv auswirken? Könnte er nicht, indem er den Sperrriegel seines Verdrängungsmechanismus löste und die genannten Schubfächer, wo seine Erlebnisse mit Julia Lambertz sozusagen ausgelagert waren, genauer inspizierte, durch ein solches gezieltes Erinnern den Gang jener Ereignisse in seiner Folgerichtigkeit erst richtig erkennen und verstehen und sie auch am Ende richtig verarbeiten? Klar - sagte er sich - das wäre doch immerhin möglich. Den ganzen verdrängten Erlebniskomplex, der sich in seiner Seele zu dem bekannten unseligen Störfaktor ausgewachsen hatte, zum Wohle seines künftigen Nachtschlafes unschädlich zu machen - etwas Besseres könnte ihm doch gar nicht passieren! Heilen durch Erinnern, diesen Spruch hatte er irgendwo einmal gelesen. Er bekam für ihn jetzt eine aktuelle Bedeutung. So sah er in seinem Vorhaben, in die Vergangenheit zurückzukehren, schließlich keine Alternative mehr. Jedenfalls die andere Möglichkeit, einfach diesen Ort der Erinnerung wieder zu verlassen und nach Waldstädten zurückzukehren, kam für ihn nicht mehr in Frage. Und also überwand er ziemlich schnell seinen Widerwillen gegen das Heraufbeschwören früherer Zeiten, er negierte auch die weiter in ihm hochtreibenden und heftig widersprechenden Warnungen vor solchen Rückblicken, sondern erteilte seinen Gedanken den Befehl, die gewaltige Distanz, die ihn von jenen Ereignissen trennte, im Nu zu überbrücken. Gleichzeitig heftete er seinen Blick unverwandt auf den sich im brausenden Wind weiter hin- und herbiegenden Baum, als ob er für ihn der Wegweiser zu den alten Zeiten wäre, als ob er ihn nur lange genug anstarren müsste, schon wären seine zurückeilenden Gedanken in der versunkenen Welt angekommen. Und in der Tat trat etwas Seltsames ein: die kleine Scholle, auf der er regungslos auf dem Baumstumpf saß, begann sich wieder dem Zustand von ehedem anzunähern, auch der See selbst und der Topenbühl samt den ausgedehnten Steinfirstwäldern veränderten etwas ihr Aussehen, aber eigentlich brauchten sie das nicht, sie sahen ohnehin wie früher aus. Die Zeit lief rückwärts und seine Gedanken liefen mit, sie durcheilten die Jahre und Jahrzehnte, tauchten tief hinab in die Vergangenheit, die wie ein Lichtjahre entfernter, winziger Sternennebel, allmählich größer und größer werdend, auf ihn zukam; immer näher schwebte er heran, der Nebel, und wurde schließlich zu einer Wolke, die sich ständig vergrößerte, und aus ihr schaute bald irgend etwas heraus, zunächst in Umrissen, dann, nachdem die Nebelschleier sich verzogen, trat dieses Etwas in kristallener Schärfe hervor: es war - ihr Blockhaus von einst! Auf solidem Backsteinfundament gebaut, stand es auf einmal vor ihm, mit gediegenen Holzwänden, von denen das Flachdach, an allen Seiten vorspringend und gegen Regenschauer und stechende Sonne Schutz bietend, getragen wurde. Der wildüberwachsene Waldboden vor der Terrasse verwandelte sich in einen zauberhaften Garten, freundlich leuchteten ihm die Frühlings- und Frühsommerblüher unter den Stauden entgegen, und die ersten Rosen hatten ihre wunderschönen Blüten bereits entfaltet. Verblüfft stellte Elmar fest: Die Zeit hatte sich verwandelt, er war wieder in der Jugend. Er stand mit einem Jungen vor dem Häuschen und betrachtete mit ihm ehrfurchtsvoll den Garten, welchen sie kurz zuvor vollendet hatten. Der Junge war Joachim Schaller, sein Jugendfreund.
Der Jugendfreund
„Nun, Achim“, sagte er (vor über 20 Jahren) „darf ich vorstellen: unser frisch erblühter Garten! Das Haus kennst du ja bereits! Alles reserviert für uns - sagt mein Vater;