Helder Colaço

BIBELJAGD


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isoliert und ausgeschlossen, wie Virenträger unter Quarantäne.

      Saramago, der Nobelpreisträger, wanderte aus. Selbst Columbus verweigerte man bekanntlich sein Schiff in Portugal. Endlose Beispiele zogen sich wie Schandflecke durch die Geschichte hindurch bis in die Gegenwart hinein.

      Der Portugiese neigte nicht zur Aggression als mögliche Arbeitshypothese. Es konnte selbst einen begabten Wortschmied überfordern, das Wirkungsgefüge eines nationalen Systems darzustellen, in dem jedes Teil mit jedem anderen in einem Verhältnis wechselseitiger ursächlicher Beeinflussung stand.

      Zu meinem Leidtragen kam noch erschwerend hinzu, dass das Wirkungsgefüge der triebmäßigen und kulturell erworbenen Verhaltensweisen, die das Gesellschaftsleben der Portugiesen ausmachten, so ziemlich das komplizierteste und paradoxeste aller Systeme war. Um nur wenige kausale Zusammenhänge anhand des Verhaltens verständlich zu machen, musste ich weit ausholen und die Charaktere in zeitlich springenden Handlungssträngen hindurch verfolgen. Wie seltsam suspekt erschienen mir die Berater und Experten, die eine kurze Weile verbleiben durften, alles oberflächlich betrachteten, um alles über den gleichen Kamm der Prozeduren zu ziehen und den Einheimischen anschließend eine fremde Denkweise aufzwingen wollten mit ihren endlosen Verbesserungsvorschlägen. Es bedarf hinreichender Kenntnisse über die Menschen, deren Kultur und Verhaltensparameter, bevor irgendwelche voreiligen Strategien entworfen werden können. Wie umso erstaunter waren sie dann, als sie im Nachhinein die Lösung der eigenen Probleme vorfanden, in einem interessanten Prozess des respektvollen, kulturellen Austauschs.

      An den weiß gestrichenen Wänden machte sich die Kristallisation von Salzen bemerkbar, als Beweis dafür, dass die Bauunternehmer sich nicht einmal mehr die Mühe machten, das Salz aus dem Sand zu waschen. Man konnte sie zwar verklagen, aber angesichts der endlosen Gerichtsprozesse, rieten die Anwälte eher davon ab. Und sollte man vor Gericht gewinnen, so erst dann, wenn die Baufirmen bereits nicht mehr existierten und dieselben Inhaber unter einem anderen Namen ihr Unwesen trieben. Auf die Gefügigkeit der Portugiesen war eben schon immer Verlass. Sie ändern die Probleme nicht, sondern gewöhnen sich eher an die selbst eingebildete und bequeme Frustration und Resignation, diese nicht ändern zu können. Man las ratlos die Zeitung. Großvater Chico las die Zeitung ebenfalls und sagte immer wieder seine eigenen Verse auf:

       Wieder nehmen wir Unsinn in Kauf.

       Mein Volk, wann wachst du auf?

       Wann wachst du endlich auf mein Volk?

       Wann ist das Maß endlich voll?

       Wie kannst du das nur dulden?

       So bleiben dir nichts als Schulden.

       Trojanische Pferde galoppieren hier —

       Nichts als Schulden bleiben dir!

      So trafen die Portugiesen fast alle ihre Fehlentscheidungen aufgrund einer negativen Bewertung der Kausalität der Sachverhältnisse und eines pfauenhaften, geistigen Hochmuts, der sich im Laufe der Jahrhunderte als ein Widerstand aus stumpfsinniger Beratungs- und Lernresistenz erwies.

      Erst fiel ein leichter Nieselregen, dann wurden die Tropfen größer und ein Dauerregen hing über der Stadt. Stundenlang glänzten die Straßen vor Nässe, Rinnsale flossen entlang der Gehsteige, die Autos spritzten Fontänen auf die Passanten, die unter Schirmen in Mäntel gehüllt mit nassen Schuhen Zuflucht in den Hotels, Läden und Einkaufszentren nahmen, an dessen Fassaden sich der Vogelkot in Wasserfäden auflöste. Der darauffolgende Nebel schien ewig anzuhalten und schwebte über der Stadt mit seiner Grippeepidemie, die zwar nicht lebensgefährlich war, dennoch die Apotheken füllte und die Algarvios ungeduldig und ratlos in ihren bescheidenen Appartements hin- und herlaufen ließ, des Fernsehens und der Zeitungen überdrüssig, alle zwanzig Minuten aus dem Fenster blickend in Erwartung eines erlösenden Sonnenstrahls. Auch ich saß, für derartig lang andauernden Regen völlig unvorbereitet, in meinem Hotelzimmer fest und starrte auf meine rostigen Golfschläger in der Ecke hinter der Eingangstür und wärmte meine Gedanken mit der Vorstellung einer graziösen, wohlproportionierten Gestalt einer ungewissen, von Manuel schwärmerisch beschriebenen Schönheit vom Lande, mit ihren betörenden Grünen Augen, der ich nun bald begegnen würde, wehrlos ihren Regungen und Neigungen ausgeliefert, dem bevorstehenden Wunder des ersten Augenblicks entgegen eifernd, der, Manuels Andeutungen zufolge, sich als ebenso unbegreiflich wie überwältigend entpuppen würde.

      Unmerklich hatte der Regen sich verzogen und der Nebel gelockert. Mit einem Male schimmerte der blaue Himmel zwischen den Nebelmassen hervor, undeutlich zuerst, dann klarer und mächtiger. Lange Schatten machten sich auf dem nassen Asphalt bemerkbar und glänzten im niederbrechenden Licht. Die Straßen wimmelten von herausgeputzten Spaziergängern und unter dem strahlend blauen und unwirklichen Himmel schien sie die ganze Stadt zu grüßen.

      Von der Sonne erheitert trat ich vom Hotelausgang direkt auf die Strandpromonade Quarteiras, dessen erweiterte Fußgängerzone zu einer autofreien Zone erklärt worden war, was den Erholungswert in nicht unbeträchtlichem Maße steigerte.

      Bläulich-grüne, energische Wellen brachen schäumend über schwerfällige, rothäutige Urlauber, die, kaum war die Sonne hervorgetreten, unverzüglich den Strand in Beschlag nahmen und weiterhin dem dummen Glauben verfielen, die Sonnencreme mit hohem Faktor biete einen halben Tag lang genügend Schutz vor einem Sonnenbrand.

      Zwar gab es in der Region wohl kaum Boulevards vom Reiz und der urbanen Anziehung wie Portos Avenida da Boavista oder Lissabons Avenida da Liberdade, die sich in einem eleganten Bogen aufwärts schwingt, oder wie die schöne Harmonie des Chiado in perspektivischer Flucht zu der Höhe der Häuser verhält, aber die Schönheit Quarteiras war eher nüchtern, ein wenig hausbacken vielleicht, mit der weit ausschwingenden Bucht, etwas entstellt von den in regelmäßigen Abständen ins Meer ragenden, künstlichen Felsblockreihen, die sich der drohenden Erosion entgegenstemmten.

      Auf dem Weg zum Fischmarkt, wo ich Dom Isidro treffen wollte, um diesen mysteriösen Brief in Empfang zu nehmen, dessen Existenz er während unseres letzten Treffens angedeutet hatte, beschloss ich, einen kleinen Abstecher in die alte Kirche zu machen. Der alte Pfarrer Azevedo da Motta hätte vielleicht zugegen sein können und da er immer ein Freund der Familie gewesen war, hätte ein pflichtgemäßer Besuch nicht schaden können.

      Jener Straßenverkäufer, der schon seit einer halben Ewigkeit drei Tage in der Woche seine Produkte anprangerte, war noch da. Nichts hatte sich verändert. Keine Neuheiten, keine Evolution, stets das gleiche Sortiment. Ein melancholischer Straßenhändler, der die Mandelspezialitäten der Region feilbot, kunstvoll verzierte Kuchensorten, mit einer dünnen Glasur, Schokolade und Orangencreme; eine hoffnungslos üppige Vielfalt auf einer Balustrade ausgelegt, über die hinweg er sich mit den Kunden unterhielt, mit bescheidenem Umsatz. Früher hatte es wohl Tage gegeben, in denen er sein gesamtes Sortiment in nur 3 Stunden verkaufte. Mensch, dachte ich, bald ist er weg, kauft einen Laden, expandiert, wächst, entwickelt sich zu einem großen Unternehmer. Falsch gedacht, denn das Geschäft war klein geblieben wie eh und je. Ich trat an ihn heran:

      »Ich hätte schwören können, sie wären längst ein großer Unternehmer geworden!« rief ich ihm über die Balustrade zu.

      »War ich auch, zwei Jahre lang, 15 Angestellte. Eine eigene Marke, alles.« erzählte er traurig.

      »Was ist schiefgelaufen?«

      »Die Kreditzinsen haben mich aufgefressen, als es mal weniger gut lief.« antwortete er verbittert.

      »Das ist schade, sie haben den besten Mandelkuchen weit und breit.«

      Er musterte mich von oben bis unten, dann sagte er:

      »Danke, nehmen sie sich ein Stückchen, der ist frisch.«

      »Oh, danke, was macht das?«

      »Nur ein Lächeln, mein Herr!«

      »Dann packen sie mir ein Dutzend ein. In etwa zwei Stunden komme ich wieder vorbei. Ich muss noch einige Besorgungen machen und möchte den Mandelkuchen nicht ständig mit mir herumschleppen.«

      »Das