Z. Bär

Ina


Скачать книгу

sagte worum es ging oder die es nicht nötig hatten jemanden zu beeindrucken. Wobei diese Sorte zweifellos überwog. Ihr fielen Offiziere auf, die das Verhalten der frischgebackenen Soldaten studierten und andere, denen es egal war. Mit einem Schlag war Ina hellwach. Sie hörte eine Stimme. Suchte das Gesicht dazu. In einer kleinen Gruppe von angetrunkenen Offizieren und Soldaten fand sie ihn und neben ihm stand ein weiteres Gesicht das sie niemals vergessen würde. Sie war ihnen einmal begegnet. Ein einziges Mal in ihrem Leben. Doch diese Begegnung reichte aus, um ihr ganzes Leben zu verändern. Ina’s Körper versteifte sich. Sie hielt ihren Atem an und starrte in ihre Richtung. „Ist etwas?“ Kadir unterbrach die Stille.

       „Nichts!“ stiess sie hinaus. „Natürlich“, er liess sie merken, dass sie ihn nicht überzeugt hatte. Dann folgte er ihrem Blick bis zu der Gruppe jener Offiziere und liess seine Augen wieder zurück auf Ina gleiten: „Kennen sie ihn?“

       „Wen?“ Sie konnte ihre Augen nicht von ihnen losreissen. „Ifeta – Kennen sie ihn?“ In Kadir's stimme lag etwas Abwertendes. „Nein! – Ja – Nein“, sie stotterte. Kadir stellte sich vor sie, um ihr die Sicht auf Ifeta, den sie anstarrte, zu versperren. Mit seinen eindringlichen, dunklen Augen suchte er ihren Augenkontakt und hielt ihn. „Können wir gehen?“ Obwohl er sich über ihre Bitte wunderte, nickte er kurz, reichte ihr seinen Arm und ging mit ihr in einen anderen Saal an einen Tresen. Nach zwei Gläsern Talila und keinem einzigen Wort fragte Kadir schliesslich: „Wollen sie darüber reden?“

       „Nein!“ Ina’s Antwort kam ihm wie ein Pfeil entgegen geschossen. Er akzeptierte es und schwieg. Sie standen lange da, ohne miteinander zu sprechen. Doch Ina genoss die Stille. Sie hatte an diesem Abend genug gesagt, war müde, ihre Gedanken waren durcheinander gewirbelt und sie wollte einfach nur da stehen und ihre Umgebung beobachten. Kadir tat dasselbe. Stand da und beobachtete. Hin und wieder wechselten sie einige Worte miteinander, aber es ergab sich kein Gespräch daraus. „Kapitän“, Saira’s Förmlichkeit, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war, war kaum zu übertreffen. Kadir begegnete ihr mit derselben Form: „Soldat.“ Dann wandte sie sich zu Ina: „Ich gehe. Davut kann kaum noch gerade stehen“, Saira kam etwas näher zu Ina, damit sie in ihr Ohr flüstern konnte: „Soll ich dich von diesem Ekel befreien?“

       „Richte Davut Grüsse von mir aus, wenn er wieder bei Verstand ist“, entgegnete Ina offen, so dass es Kadir auch hören konnte. Bei diesen Worten verdrehte Saira die Augen, verabschiedete sich in aller Form von Kadir und ging mit Davut in den Armen davon. Kadir betrachtete Ina lange und ungeniert. „Weshalb sehen sie mich so an, Sir?“

       „Wollten sie nicht auch gehen?“

       „Wenn ich gehen wollte, Kapitän, würde ich nicht auf Unterstützung warten“, Ina sprach direkt und kühl. Der Abend dauerte bereits zu lange, um noch Höflichkeit vorzutäuschen. In Kadir's Augen erkannte Ina ein kleines Aufblitzen von Triumph. „Das bedeutet nur, dass ich gerne hier stehe und beobachte. – Mehr nicht“, füge Ina hastig an. Auf keinen Fall wollte sie ihm den Eindruck vermitteln, dass sie seine Gesellschaft mochte. „Natürlich“, seine Miene sagte den Rest. Er wusste, dass sie ihre Meinung über ihn geändert hatte. „Allerdings. Ich habe tatsächlich vor zu gehen Kapitän“, noch länger mit Kadir dort zu verweilen, hätte er als eindeutige Aussage auffassen können. „Ich werde sie Nachhause begleiten.“

       „Das müssen sie nicht tun“, Ina wollte noch alleine sein. Doch Kadir hatte nicht vor, das zu zulassen: „Der Anstand lässt nicht zu, dass ich sie spät Nachts alleine gehen lasse.“ Bei diesen Worten musste sie unwillkürlich lachen. Denn die Sonne war bereits aufgegangen. Mit einer Handbewegung gab sie ihm ihr Einverständnis.

      Die Sonne blendete, als sie das Gebäude verliessen. Ina hatte Mühe damit, sich an den grellen Lichtunterschied zu gewöhnen. Sie drückte ihre Augenlieder zusammen und hielt schützend ihre Hand davor, doch sie war fast blind. Kadir hatte diesen Makel an ihr während der Rekrutenschule zur genüge kennen gelernt. Also nahm er ohne ausflüchte ihren Arm und führte sie sicher bis zur U-Bahn. Im Untergrund war die Beleuchtung nicht so grell und sie sah die Hindernisse auf ihrem Weg wieder. Ihre Beine waren schwer, und die Treppe die hinunter führte, schien endlos zu sein. In der High-Speed-Bahn sassen sie schweigend nebeneinander. Ina war zu müde um ein Gespräch zu führen. Wie bereits die Treppe, kam ihr die Fahrt endlos vor. Ihre Augenlieder wurden schwer, das Bild vor ihren Augen verschwamm. Es war nicht nur Müdigkeit. Kadir stand auf. Ina folgte ihm neben die Ausgangstür. Ihre Beine waren wackelig, daher hielt sie sich an einem Riemen, der von der Decke hing, fest. Als die Bahn stoppte, rutschte ihr der Riemen aus der Hand, ihre Beine knickten zur Seite und sie landete in Kadir's Armen. Für ihn war es ein Vergnügen, sie in seinen Armen zu haben. Er sah mit einem charmanten Lächeln auf sie hinunter, als er ihr half sich wieder aufzurichten. Ihr war es unangenehm. Sie stiegen aus und gingen in den Fahrstuhl. Als er sich in Bewegung setzte geriet sie ins Schaukeln, wollte sich an der Tür abstützen, doch diese war weiter weg als sie dachte. Ihre Hand griff ins leere. Mit Sicherheit wäre sie hingefallen, wenn sie sich nicht mit ihrer anderen Hand an Kadir's Arm geklammert hätte. Um sie herum begann sich alles zu drehen. Kadir's Blick ruhte auf ihr. Aber Ina hatte die Tür fixiert, wartete darauf, dass sie sich endlich öffnete, die Luft kam ihr stickig vor, sie hatte das Gefühl erdrückt zu werden. Endlich, die Tür ging auf, liess sie wieder zu Luft kommen, dafür wurden ihre Augen aber wieder gequält. „Wollen sie sich einen Augenblick setzen?“

       „Nein, es wird schlimmer“, es würde nicht mehr lange dauern bis sie sich nicht mehr auf ihren Beinen halten konnte. Kadir nahm ihren Arm unter seinen und ging los. Er hätte sie irgendwohin bringen können, ohne dass sie es bemerkt hätte. Ina war so gut wie Blind. Ihre Knie wurden weich. Ihre Augen fühlten sich an, als ob jemand mit Nadeln hinein stechen würde. Ihrem Kopf ging es nicht besser. Grässliche Kopfschmerzen! Sie fürchtete jeden Moment einzubrechen. Ihre Stirn war feucht von ihrem kalten Schweiss. Ihre Hände zittrig und nass. Allmählich wurde ihr übel. Kadir legte seinen Arm um sie, seine Hand in ihre Seite, um sie zu stützen. Noch vor wenigen Stunden, hätte sie ihn dafür angespuckt, doch jetzt war sie ihm Dankbar. „Können sie noch gehen?“ Er klang irgendwie besorgt. „Ja“, entgegnete Ina forsch.

      „Sind sie sicher?“ Kadir hatte sie schon mehr als ein Mal so gesehen. Nur war er bis her noch nie in dieser Position. „Wollen sie mich tragen?“

       „Das wäre eine Möglichkeit.“ Zweifellos hätte er das sofort getan. „Ich habe nicht vor, den Bediensteten die Grundlage für ein Gerücht zu liefern. Sir.“ Kadir antwortete nicht darauf. Da sie nichts sehen konnte, hoffte sie, ihn mit ihrer Antwort nicht zu sehr getroffen zu haben. Er bog ab, stoppte kurz und ging weiter als die Worte: „Sie dürfen passieren, Sir“, erklangen. Vor der Tür blieb er stehen. Er holte Luft um etwas zu sagen, als jemand die Tür öffnete. Einen kurzen Augenblick herrschte Stille. „Kommen sie Kapitän.“ Es war einer der Bediensteten, den Ina noch nicht kannte. Sie gingen die Treppe hoch, um eine Ecke, dann in einen Raum und weiter. Ina hatte die Orientierung verloren, sie hatte keine Ahnung wo im Haus sie gerade waren. „Dein Mündel hat wohl zuviel getrunken“, Madam Nilia’s Tonfall war herablassend. Doch vor allem war ihre Aussage nicht zutreffend. Ina hörte Schritte, die rasant auf sie zugingen. Eine Silhouette erschien vor ihren Augen. „Ina“, Kilven's Stimme hatte etwas Entsetztes in sich. Er legte seine Hände auf ihr Gesicht, dann auf ihre Hüfte. Kadir liess sie los und ehe sie begriff was geschah, hatte Kilven sie hochgehoben und trug sie weg. Ina legte ihre Arme um Kilven's Hals und ihren Kopf an seine Schulter. Es schien ihm keine Mühe zu bereiten, sie so in ihr Zimmer zu tragen. Dort angekommen, legte er sie sanft auf ihr Bett und strich mit seiner Hand über ihren Kopf: „Hörst du mich Ina?“ Seine Stimme war besorgt, sanft, weit weg.

      Kapitel 4

      Ina öffnete ihre Augen. Die Sonne schien durch das geöffnete Fenster. Sie lag in ihrem Bett, ausgezogen, zugedeckt. Hatte diesen Geschmack in ihrer Kehle. Wie viel Zeit war vergangen? Sie richtete sich langsam auf. Es ging ihr gut. Fühlte sich erholt und ihr war nicht schwindlig. Dass ihr Kopf noch weh tat war vollkommen normal. Von draussen hörte sie dumpfe Schläge, unregelmässige Schläge, Stimmen die etwas riefen, das sie nicht verstand. Applaus. Ina wickelte das Lacken um ihren Körper und ging zum Fenster. Auf dem Trainingsplatz am Rand des Rasens führten zwei Personen einen