Z. Bär

Ina


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„Sind sie bereit?“ Ina atmete tief durch: „Ja“, eigentlich meinte sie nein. Kadir ging unbeirrt weiter auf die kleine Gruppe zu. Die zwei Stühle links von Sebiha waren noch frei. Sebiha sah Ina interessiert an, als sie mit Kadir auf ihn zuging. Nilia drehte seinen Kopf, um zu sehen wer Sebiha’s Aufmerksamkeit auf sich zog. Er stand auf und begrüsste Ina mit einem Kuss auf die Stirn. Auch alle anderen Offiziere erhoben sich. Nilia machte Ina mit jedem einzelnen von ihnen bekannt, bis hin zu Sebiha. „Das ist Botschafter Sebiha“, Nilia's Augen verzogen sich zu kleinen Schlitzen, als er Ina eindringlich anstarrte. Wohlmöglich sollte es soviel heissen wie: beeindrucke ihn! „Ich hatte das rätselhafte Vergnügen ihr Protegé kennen zu lernen bereits, General“, wandte Sebiha ein. Nilia war die Überraschung über diesen Zustand und über Sebiha’s Ausdrucksweise anzusehen. „Zweifelhaft“, erwiderte Ina beiläufig. Einige Offiziere hatten sie nicht gehört, alle anderen warfen ihr fragende Blicke zu. Sebiha liess seine Augen auf Ina’s Gesicht ruhen: „Was ist Zweifelhaft?“

       „Unser Vergnügen Botschafter. Sie sagten Rätselhaft, meinten aber doch Zweifelhaft“, dabei lächelte sie ihn an. Diesmal hatten sie alle Anwesenden gehört und sie wechselten untereinander schockierte Blicke. Jeder wartete auf Sebiha’s Reaktion. Ina fühlte Nilia’s strengen Blick in ihrem Nacken aber sie hielt Sebiha’s Blickkontakt. „Nein, Miss Norak. Ich meinte Rätselhaft. Unser Vergnügen war Rätselhaft.“

       „Für mich war es Zweifelhaft. Um in Gegenwart anderer nicht zu erwähnen, dass es wohlmöglich nicht einmal ein Vergnügen war.“ Niemand gab einen Laut von sich. Einige Offiziere hielten sogar ihren Atem an. Ina rechnete damit jeden Augenblick von Nilia zu Recht gewiesen zu werden. Ihr Herz raste. Sie fühlte die Blicke der Offiziere und wurde unsicher. Sebiha zog seinen rechten Mundwinkel etwas nach hinten: „Sie haben Glück. Ich hätte ihren Stuhl beinahe anderweitig vergeben, da ich annahm sie würden nicht wiederkommen“, Sebiha lud sie mit diesen Worten auf den Stuhl neben sich ein. Wobei keiner der Offiziere begriff, weshalb er das tat und weshalb er Ina nicht zu Recht wies. Nach Kadir's Begrüssung setzten sich alle wieder auf ihre Plätze, wobei das vorher geführte Gespräch nicht weiterging. Man staunte noch über Ina’s Frechheit Sebiha gegenüber und über seine Reaktion darauf. „Was hat sie dazu bewogen wieder zu kommen?“ Dabei warf Sebiha Kadir einen vielsagenden Blick zu. „Das hier, Botschafter, ist mein Platz. Die Frage ist eher, was sie dazu bewogen hat zu bleiben?“ Ihre Stimme war klar und freundlich, obwohl sie sich immer noch nicht sicher war das richtige zu tun. „General Nilia“ gab Sebiha kurz als Antwort. Ina sah kurz zu Nilia, dessen strenger Blick sie beinahe in Fetzen riss, wandte sich dann aber sofort wieder an Sebiha: „Was ist mit General Nilia?“

       „Der Anstand, Miss Norak, untersagt es mir, einen General alleine sitzen zu lassen. Vielleicht hat Neven vergessen ihnen das beizubringen“, sein Tonfall war freundlich und herausfordernd zugleich. Niemand ausser Ina und Kadir verstand seine Andeutung. „Oh doch. Neven hat tatsächlich einmal gesagt, dass ich einen General nicht alleine sitzen lassen darf. Botschafter“, ihre Betonung lag auf seinem Titel. Sebiha lehnte sich in seinem Stuhl zurück: „Schade, dass er ihnen nicht sagte, dass dasselbe auch für Botschafter gilt. Aber wahrscheinlich ging er davon aus, dass sie über genug Intelligenz verfügen, um diesen Schluss selber zu ziehen.“ Ihr Wortwechsel wurde von allen gespannt mitverfolgt. „Botschafter, weder sie noch ich, würden uns anmassen, aufgrund unserer selbst vermuteten Intelligenz, derartige Schlüsse zu ziehen“, Ina's Stimme war Zuckersüss, ihr Lächeln verführerisch, ihre Worte berechnet. Der Offizier, der neben Sebiha sass, biss beinahe den Rand seines Glases ab. Sebiha’s Finger lagen auf seinen Lippen. Man wartete gespannt auf seine Antwort. Ina wich mit ihren Augen nicht von seinem Gesicht. Sie suchte nach etwas, das ihr zeigte, dass sie so weiterverfahren konnte. Es dauerte einige Sekunden bis Sebiha Antwortete: „Ich werde Neven über sein Versagen bei ihrer Erziehung informieren, wenn ich ihn das nächste Mal sehe“, er war ihr ausgewichen, hatte das Thema gewechselt. War das ein gutes Zeichen? „Tun sie das“, Ina hatte nicht vor sich auf ein Gespräch über Neven einzulassen, deshalb hielt sie ihre Antwort kurz, um ihm keine Kontermöglichkeit zu geben. „Ich würde ihn bitten, eine Liste seiner Versäumnisse zu machen. Seiner Versäumnisse und ihrer Fehler. Allerdings ist zu befürchten, dass diese Liste sehr lang werden würde“, er sprach wieder über Neven, sie konnte ihm nicht ausweichen. „Wenn sie das tun, Botschafter, haben sie meine Erlaubnis, den Teil betreffend Arroganz, für ihren eigenen Gebrauch zu kopieren“, ihr Mund trocknete aus. War das zuviel? Wie lange würde Nilia noch schweigen? Seine eiserne Miene haftete an ihr. Vielleicht hätte sie es auf später verschieben sollten, wenn Nilia nicht mehr da war. Sebiha sah sie mit seinen nichts sagenden Augen an. Dann nickte er: „Was werden sie mit ihr tun General?“ Wandte er sich Nilia zu. „Es gibt bereits Pläne“, Nilia versteckte seine ausweichende Antwort hinter einem gespielt zufriedenen Gesichtsausdruck. „Ich habe gehört, dass sie noch einen Jungen von der Strasse finanziert haben General. Hat es sich gelohnt?“ Es war Kapitän Arton, der diese Frage einwarf. Nilia entgegnete selbstgefällig: „Er hat als einer der Besten abgeschlossen.“

       „Ich denke darüber nach, das auch zu tun. Können sie mir sagen, wo sie diesen Jungen gefunden haben?“ Wollte Kapitän Quirin von ihm wissen. „Auf der Strasse“, Nilia’s Antwort war prompt und kühl, damit brachte er alle zum lachen.

       Es wurde viel getrunken und geredet. Je länger der Abend wurde, umso banaler wurden die Gesprächsinhalte. Und je banaler die Gesprächsinhalte wurden, desto mühsamer wurde es für Ina, diesen Gesprächen zu folgen. Bis sie Sebiha’s verstohlene Art bemerkte. Beiläufig fragte er seine bereits betrunkenen Gesprächspartner über Pläne und Ideen aus. Sie haftete ihre Ohren an seinen Mund und erfuhr so einige Dinge die sie erstaunten. Nilia verliess den Tisch im Verlauf des Abends. Somit waren Ina, Sebiha und Kadir die einzigen nüchternen Personen in dieser Gruppe. Nach einigen Stunden fühlte sie ihre Beine nicht mehr, ihr Rücken schmerzte und ihr Nacken war steif. Als ob Kadir es ihr angesehen hätte, lehnte er sich zu ihr und fragte so leise, dass es niemand hören konnte: „Schmerzen?“ Ina wollte ihren Kopf zu ihm drehen, aber ihr Nacken verunmöglichte es. Also drehte sie ihm ihren Körper zu: „Ein wenig.“ Kadir warf einen Blick durch die Runde: „Kommen sie.“ Ina runzelte ihre Stirn. Jetzt gehen? Wo es gerade interessant wurde? „Hier werden sie nichts mehr erreichen. Keiner von denen wird sich morgen noch an ihren Namen erinnern oder daran, wie viele Geheimnisse er Sebiha verraten hat.“ Sie schmunzelte bei seinen letzten Worten. Kadir stand auf und reichte ihr seine Hand. Ina nahm sie danken an, da sie nicht wusste, ob sie noch auf ihren Beinen stehen konnte. Sebiha wandte sich ihr sofort zu als er bemerkte, dass sie im Begriff war zu gehen. „Miss Ina“, er stand auf: „Sie wollen doch nicht gehen ohne sich von mir zu verabschieden? – Ein zweites Mal würde ich es ihnen nicht verzeihen. Nicht an einem Abend“, dabei schenkte er ihr ein freundliches Lächeln. Sie biss sich auf die Lippen: „Dann habe ich wohl Glück, dass wir uns bereits in einem neuen Tag befinden.“ Sebiha’s Lächeln wurde breiter, er griff ihre freie Hand, zog sie hoch, drehte sie, schob den Ärmel nach hinten und küsste ihr Handgelenk: „Ich hoffe, General Nilia verschwendet ihr Talent nicht. Und ich hoffe, sie bald wieder begrüssen zu dürfen Miss Ina. – Es war eine Freude“, er hielt ihre Hand noch fest. Wollte sie scheinbar nicht los lassen ohne eine Antwort von ihr erhalten zu haben.

       „Es war eine Herausforderung“, entgegnete sie ihm mit Charme. „Einigen wir uns auf: freudige Herausforderung“, Sebiha neigte seinen Kopf ein wenig seitwärts nach unten und betrachtete sie mit etwas zusammengedrückten Augen. Mit einem sanften Kopfnicken gab sie ihm ihr Einverständnis. Er liess ihre Hand los und setzte sich wieder. Die Offiziere dieser seltsamen Runde nahmen nicht wahr, dass sie und Kadir gingen. „Fühlen sie ihre Beine noch?“ Es war ein seltsames Gefühl, als Kadir ihren Arm unter seinen zog und mit ihr langsam durch den Saal auf die Tür zuging. „Seit etwa einer Stunde nicht mehr“, Ina wunderte sich, dass sie es überhaupt schaffte ein Bein vor das andere zu setzen. „Wie lange wird das hier noch dauern?“

       „Noch lange“, Kadir ging mit ihr auf ein Fenster zu. Auf der rechten Seite des grossen, runden Fensters, das von der Decke bis zum Boden reichte und von einer zur anderen Wand ging, lehnten sie sich an die Mauer. Von diesem Fenster aus, konnte man auf die ganze Stadt sehen. Der Unterschied zwischen dem reichen und dem armen Teil Seran's war hier deutlich zu erkennen.

       Die beiden Monde standen über dem Gebäude, es musste also ungefähr