Christoph Hoenings

Djihad


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Falouf fühlte nichts. Das machte ihm Angst. Es war unheimlich. Alles war unheimlich, die Stille, die Dunkelheit, das Fehlen jeglichen Geräusches. Er überlegte, ob er tot sei. Aber dann würde er wohl nicht atmen. Er hatte in seinem Leben etliche Tote gesehen, seinen Großvater, seine Onkels. Freunde, die von den Israelis erschossen worden waren. Keiner von denen hatte mehr geatmet. Aber er atmete. Nach einigem Überlegen und nach nochmaliger Beobachtung seiner Atemzüge beschloss Ahmed Falouf, er war nicht tot!

      Auf einmal kamen ihm seine Gedanken reichlich albern vor. So albern, dass er lachen musste. Allerdings klang sein Lachen nicht belustigt, sondern hörte sich seltsam heiser an. Und es tat weh, wenn er lachte. Die ganze Brust tat ihm plötzlich weh. So weh, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Die kitzelten, als sie seitwärts aus seinen Augenwinkeln rannen, aber er war außerstande, sie wegzuwischen. Er konnte sich ja nicht bewegen. Er merkte, das Geräusch, dass er jetzt von sich gab, klang mehr wie ein Schluchzen.

      Plötzlich hatte er das Gefühl, eine Tür sei geöffnet worden. Nicht, dass etwas zu sehen gewesen wäre, kein Lichtspalt, nichts. Nur ein leiser Luftzug, und Rascheln, als ob sich eine weitere Person im Raum befände.

      Ahmed Faloufs Wahrnehmungen beschränkten sich voll und ganz auf seinen Gehörsinn. Und er war sicher, den Atem eines anderen Menschen zu hören.

      Ahmed fragte: „Hallo?“

      Keine Antwort. Er fragte noch einmal:

      „Ist da jemand?“

      Aber alles, was er hörte, war das flache Atmen eines anderen Menschen.

      „Doch, absolut, Exzellenz!“ antwortete Rupert Graf.

      „Wenn Sie keine Zeit für unseren Auftrag haben, gehe ich woanders hin!“ sagte Mahmut.

      „Da bekommen Sie Ihre Boote auch nicht schneller,“ antwortete Graf. „Es sei denn, Sie kaufen gebrauchte Boote. Alle anderen haben die selbe Bauzeit.“

      „Wieso das denn?“ wollte Mahmut in wirschem Ton wissen.

      „Das liegt an den Lieferzeiten der Hauptkomponenten. Antriebsmotoren, Computer für die Waffenkontrolle, Sensoren. Stahlplatten zu einem Druckkörper zu formen, ist nicht das Problem. Das Problem ist die Elektronik. Die wird nicht auf Vorrat hergestellt, sondern für jedes neue Boot maßgeschneidert. Schließlich werden Sie nicht alte Technologie haben wollen, sondern die neueste. Und das dauert.“

      „So lange können wir keinesfalls warten!“ sagte Mahmut. „Vier Jahre! Blödsinn!“

      „Dann ist die einzige Alternative der Kauf gebrauchter Boote. Ich will mich gerne umhören, ob einer unserer Kunden bereit ist, von seinen Booten welche abzugeben. Allerdings erhalten Sie dann veraltete Technologie.“

      „Wie alt?“ fragte Mahmut.

      „Zehn Jahre alt,“ sagte Graf ungerührt. „Oder noch älter.“

      „Wieso das?“

      „Nun, das letzte Mal, dass solch kleine Boote ausgeliefert wurden, ist vier Jahre her. Angefragt und entwickelt wurden diese Schiffe mindestens sechs Jahre vorher. Das heißt, die Entwicklung der Computersysteme hat spätestens vor rund sechs Jahren stattgefunden. Damals waren die das Modernste, was es weltweit gab. Selbst, als die Boote in Dienst gestellt wurden, war diese Technologie die modernste, die existierte, denn was immer zu diesem Zeitpunkt in der Planung war, funktionierte ja noch nicht, sondern musste erst noch gebaut und getestet werden. Wenn ein Waffensystem ausgeliefert wird, egal wo auf er Welt, ist es zwar immer im Augenblick das modernste, aber von der Entwicklung schon überholt. Allerdings besitzt zu diesem Zeitpunkt niemand etwas moderneres.“

      „Und Ihre Wettbewerber?“ fragte Mahmut lauernd.

      „Haben Boote der von Ihnen gewünschten Größe zuletzt vor rund zehn Jahren geliefert. Da ist die Technologie noch älter.“

      „Aber die sind doch nicht unmodern!“ antwortete Mahmut.

      „Nein, keineswegs. Aber eben nicht mehr das Beste. Was für ein Auto fahren Sie?“ fragte Graf.

      „Nun, ich habe Autos auf der ganzen Welt. Ganze Wagenparks, für mich, meine Familien, meine Geschäftsfreunde. Mercedes, BMW, Rolls Royce, Bentleys. Was soll diese Frage?“

      „Mit was sind Sie heute hierher gebracht worden?“

      „Mit meinem Maybach,“ antwortete Mahmut. „Das ist wohl im Augenblick das beste Auto, das es gibt.“

      „Ich darf annehmen, dass dieses Auto nach Ihren Wünschen zusammengebaut wurde und Sie dies nicht einfach aus einem Schaufenster gekauft haben.“

      „Allerdings! Alle meine Maybachs sind Sonderanfertigungen!“

      „Und die Lieferzeiten?“ fragte Graf.

      „Verdammt lang, Mr. Graf!“

      „Sehen Sie? Einen Bentley oder eine S-Klasse von Mercedes hätten Sie sicherlich schneller bekommen. Auch unsere Boote sind Sonderanfertigungen.“

      Mahmut grinste, wurde aber plötzlich wieder ernst.

      „Die Lieferzeit ist zu lang. Viel zu lang. Wir benötigen die Boote früher! Viel früher! Wenigstens eines! Bei dem Preis, den wir zahlen, sollen Ihre Leute schneller arbeiten!“

      „Die Lieferzeit ist bedingt durch die Technik. Ein U-Boot wird in Segmenten gebaut. Röhren aus Stahl, je nach Typ etliche Meter lang. Jede dieser Röhren wird völlig ausgerüstet mit den dazugehörigen Maschinen und Komponenten. Kojen, Toiletten, die Kombüse. Erst, wenn alle Geräte eingebaut sind, werden diese Ringe miteinander zum Druckkörper verschweißt. Das kann aber erst geschehen, nachdem alle Systeme in die Segmente installiert sind. Danach hat das Boot nur noch ein paar Luken, gerade groß genug, dass ein Mensch hindurch passt.“

      Mahmut sah missmutig aus. Graf überlegte, ob Mahmuts Verdienst an dem Geschäft erst mit Auslieferung der Boote fällig würde und er deshalb nicht warten mochte.

      „Sie könnten also nur durch Abstriche bei der Technologie etwas Zeit sparen. Zu Lasten der Sicherheit.“

      „Was soll das jetzt wieder heißen?“

      „Nun, wir könnten versuchen, ältere Aggregate und Systeme aufzutreiben, die als Ersatzteile oder Austauschteile verfügbar sind. Ich muss mich erkundigen, ob irgendwo auf der Welt ein Sonarsystem zur Verfügung steht. Eventuell in den USA. Aufgrund der großen Serien, die für die US-Navy aufgelegt werden, sind die USA das einzige Land, das Geräte auf Vorrat baut. Das ist dann zwar auch nicht mehr allerletzter Stand der Technologie, aber das beste, was heute verfügbar ist..“

      „USA? Das geht nicht!“ sagte Mahmut bestimmt. „Die Persönlichkeit, die die Boote bezahlt, ist kein Freund der USA.“

      Ahmed Falouf wurde schläfrig.

      Das angestrengte Lauschen auf die Atemzüge des anderen in diesem dunklen Raum befindlichen Menschen machte ihn müde.

      Ein paarmal noch hatte er in die Dunkelheit hinein „Hallo?“ gefragt, wobei seine Stimmer fester und verständlicher geworden war, aber er hatte keine Antwort bekommen.

      Außerdem war es warm in dem Raum. Nicht so warm wie draußen. Das Gebäude, in dem er sich befand, war augenscheinlich klimatisiert, aber trotzdem war es warm.

      Gerade, als Ahmed Falouf in den Schlaf hinüberdämmern wollte, ging unvermittelt direkt vor seinen Augen ein grelles Licht an, und eine Stimme sagte:

      „Jetzt wollen wir uns mal um dich kümmern!“

      Ezrah Goldstein war überrascht, als Graf und Scheich Mahmut plötzlich aufstanden und zum Ausgang gingen. Es hatte zuvor keinerlei Hinweis auf einen bevorstehenden Aufbruch gegeben. Wahrscheinlich ließ Mahmut die Summe seiner Rechnungen am Ende des Monats bezahlen. Einer der beiden Sonnenbrillenträger beeilte sich, vor Mahmut und Graf an der ins Erdgeschoss führenden Treppe anzulangen und vor den beiden nach unten zu gehen.

      Goldstein wartete, bis er den Blick des Kellners auffing, der an Grafs