Christoph Hoenings

Djihad


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Sekunden die Fotografen hinaus und es wurde wieder ruhig.

      Sabine Sadler versuchte, herauszufinden, wem diese Aufmerksamkeit galt. Die beiden Paare konnte sie nur von hinten sehen. Allerdings erschien wenige Minuten, nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, ein Kellner mit einem Glas Champagner an ihrem Tisch und sagte:

      „Madame Graf, wir bitten Sie höflich, diese Belästigung zu entschuldigen. Paparazzi!“ Das letzte Wort klang, als müsse er sich übergeben.

      In diesem Augenblick drehten sich die beiden Paare vor ihr um und prosteten ihr lächelnd zu: Eine der Damen ein Mitglied des monegassischen Fürstenhauses mit ihrem Gemahl, die andere eine prominente amerikanische Filmschauspielerin mit, Sabine musste zweimal hingucken, um sicher zu sein, einem Gitarristen einer der bekanntesten und ältesten britischen Rockbands, gezwängt in einen mitternachtsblauen Abendanzug!

      Und genau in diesem Moment blinkte noch ein Blitzlicht auf.

      Auch dieser Fotograf wurde sofort unter Schimpfworten der Kellner vertrieben.

      Sabine Sadler fand das Ganze ziemlich grotesk.

      Sie hatte sich nie sonderlich für Berichte in Illustrierten über sogenannte Prominente interessiert, und auch jetzt war sie eher amüsiert über das Theater, das sie gerade miterlebt hatte. Sie war ziemlich sicher, dass einer der Kellner die Presse über das Erscheinen dieser Gäste unterrichtet und dafür bestimmt mehrere großzügige Trinkgelder kassiert hatte.

      Sabine Sadler beobachtete mit einem gewissen Interesse, wie sich um den Tisch der beiden prominenten Paare einige andere Gäste scharten. Alle schienen einander zu kennen. Die Kellner schafften Champagner heran und gossen Gläser voll.

      Sabine Sadler schaute von ihrem Platz aus zu und trank in Ruhe ihr Glas aus. Gerade, als sie sich in ihr, beziehungsweise Rupert Grafs Zimmer zurückziehen wollte, kam wiederum ein Kellner und bat sie, am Tisch Ihrer Fürstlichen Hoheiten doch noch einen Drink zu nehmen. Als sie versuchte, dankend abzulehnen, kam der Rockstar dazu und packte sie stumm am Arm, um sie mit sich zu ziehen. Sie war zu fasziniert von den Falten in seinem Gesicht, die tiefer zu sein schienen als die Gräben des Grand Canyon, und von den Brillanten, die auf der Fliege unter seinem Kinn glitzerten, um ernsthaft protestieren zu können!

      „Was macht diese dämliche Schickse da nur?!“ fluchte Ariel Roth zwei Etagen höher in dem Zimmer, das er sich mit Ezrah Goldstein teilte. Ariel, genannt Ari, war Führungsoffizier dieses Frauenzimmers. „Wann geht denn diese Kuh endlich ins Bett?“

      „Geduld, Ari, Geduld!“ antwortete Ezrah Goldstein.

      Hätte Sabine Sadler mit Rupert Graf je über Ariel gesprochen, hätte er wahrscheinlich darum gebeten, das ihr von Ariel ausgehändigte Telefon dem Sicherheitsdienst seines Unternehmens zur Prüfung aushändigen zu können. Dieser Dienst hätte bemerkt, dass das Telefon aus der Ferne durch ein elektronisches Signal angeschaltet werden konnte, ohne dass dies für den Besitzer überhaupt erkennbar wurde. Und mit dem Moment des Einschaltens fungierte das Telefon wie ein Mikrofon, das alle Geräusche an ein extern eingerichtetes Aufnahmegerät übertrug.

      Wo immer Sabine Sadler gerade war, konnte Ariel jedes Geräusch und jedes gesprochene Wort mithören!

      Und Ari war alles andere als froh, hier noch sitzen und das Geplauder angeheiterter Nachtschwärmer anhören zu müssen. Sein einziger Trost war, dass auch Ezrah Goldstein diesem Gequatsche zuhören musste.

      Sie teilten sich das Zimmer. Ihr Dienst wäre nicht bereit gewesen, für jeden von ihnen den Preis eines Einzelzimmers zu bezahlen. Schon gar nicht in diesem sündhaft teuren Hotel! Zudem konnten sie sich so an dem Gerät ablösen, das die von Sabine Sadlers Telefon aufgenommenen Geräusche wiedergab. Im Moment hatten sie den Kopfhörer, der die Lautsprecher des Gerätes automatisch auf stumm schaltete, herausgezogen, so dass sie beide das Stimmengewirr und Gelächter aus der Hotelbar hören konnten.

      Ari Roth maulte. Er wollte schlafen. Es war tiefe Nacht. Normale Menschen schliefen um diese Zeit. Morgen würden sie abwechselnd Sabine Sadler folgen müssen, und, wenn sie mit Graf zusammen traf, über das Handy die Gespräche zwischen Graf und der jungen Frau mithören, aber auch den Teil der Gespräche, den Graf über sein eigenes Mobiltelefon bestritt.

      „Schschschscht!“ machte Ezrah Goldstein und winkte Ari, er solle still sein. Norbert Schmehling und Rupert Graf waren zu der Gruppe gestoßen.

      Sie hörten zu, wie Schmehling die Mitglieder der fürstlichen Familie begrüßte, mit denen er offensichtlich gut bekannt war, und Rupert Graf vorstellte. Als Graf sich als Begleiter der jungen Dame herausstellte, die Ihre Durchlauchten so freundlich an ihren Tisch eingeladen hatten, gab es großes Hallo und die Aufforderung, sich dazu zu gesellen. Es war Schmehling, der ablehnte mit der Begründung, Graf und er hätten Geschäftliches zu besprechen und wollten sich in einen ruhigen Winkel zurückziehen. Beide redeten jedoch Sabine Sadler zu, bei der Gesellschaft zu bleiben.

      „Scheiße!“ sagte Ari Roth. „Das wäre eine schöne Gelegenheit gewesen, Graf und Schmehling zuzuhören!“

      Aber genau in diesem Augenblick fragte Sabine Sadler:

      „Rupert, bist du so nett, die Mappe mit meinen Unterlagen an dich zu nehmen? Dann muss ich die nicht ständig im Auge behalten!“

      An den Geräuschen aus dem Lautsprecher hörten Ezrah Goldstein und Ari Roth, dass sich das Handy in dieser Mappe befinden musste.

      Goldstein grinste Roth breit an und sagte nur:

      „Massel tow!“

      Hakeem bin Zaif saß wenige Tage später mit einer Reihe von Freunden zusammen im Nebengebäude der Moschee, in der sie sich zum Gebet zu versammeln pflegten. Im Anschluss an das Nachmittagsgebet trafen sie sich hier zu Diskussionen und zu Interpretationen des Heiligen Buches. Als Sohn eines der ranghöchsten Militärs im Lande hatte Hakeem die Ehre, in unmittelbarer Nähe des Imam sitzen zu dürfen.

      Der Imam war ein Mann in den Vierzigern, dessen Vater und dessen Vorväter bereits Gelehrte gewesen waren, die in sämtlichen muslimischen Staaten bis hin nach Indonesien gepredigt und den Koran ausgelegt hatten. Auch Imam Hadschi Omar hatte zu den Gläubigen gesprochen, in Marokko im Westen, in ganz Nordafrika, im Sudan, in Pakistan, Afghanistan, Bangladesh, Malaysia, in Indonesien, sogar auf den Philippinen.

      Hadschi Omar war nach Gaza und in die Westbank gereist, selbst im Iran und im Irak war er gewesen, zu Zeiten, als dort bereits der Krieg tobte.

      Hadschi Omar war ein Held! Ihr Held!

      Was die kleine Gruppe von Schülern und angehenden Studenten vereinte, war ihre Wut.

      Ihre Wut auf Israel, das seit mehr als sechs Jahrzehnten ihre Glaubensbrüder in Palästina unterdrückte, und ihre Wut auf die Amerikaner, die Israel völlig unkritisch unterstützten.

      Sie wussten nicht, auf wen dieser beiden Staaten sie wütender sein sollten. Aber die Amerikaner waren hier! Hier, in ihrem eigenen Land, mit Panzern, Flugzeugen, sogar mit Schiffen, die, wie Hakeem von seinem Vater wusste, in den Marinebasen von Jeddah und Dhahran gewartet und versorgt wurden. Und die im benachbarten Bahrain eine eigene amerikanische Marinebasis besaßen. Ein kleines Stück USA!

      Die Amerikaner, die die gesamte arabische Nation beleidigt hatten, als sie während des Golfkrieges in Scharen in Saudi Arabien eingerückt waren, laut, arrogant, unverhohlen auf die einheimische Bevölkerung herabblickend.

      Nicht nur, dass sie ungefragt und ungebeten den Schutz der arabischen Halbinsel übernommen hatten und im Gegenzug enorme Geldbeträge dafür verlangten. Sie hatten so getan, als seien die Araber zu faul oder zu feige, sich selbst zu verteidigen! Welche Beleidigung für ein Volk, das sich am Anfang des vergangenen Jahrhunderts unter großen Opfern, aber todesmutig den türkischen Besatzern trotz deren überlegenen Waffen entgegengestellt und diese aus dem Lande getrieben hatte! Als wäre die reine Anwesenheit der Amerikaner nicht genug gewesen, hatten diese auch noch Frauen geschickt, Soldatinnen, Wesen ohne Seelen, vorgeblich, um Arabien und die heiligen Stätten des Islam zu schützen! Frauen, die in offenen Jeeps mit wehendem Haar durch die Straßen Riads und der weniger kultivierten Orte gefahren waren, ein Hohn