Wolfgang Priedl

COLLEGIUM.


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      »... Vogelschlag können wir ausschließen.«, ertönte es aus dem Lautsprecher.

      »Sch … Schau Peter, du bist im Fernsehen«, rief Lucas aus und wies auf den Fernsehapparat.

      Im Hintergrund, neben Grünwalds Kopf entdeckte sich Holzinger, wie er Claudia anstarrte.

      Das Bild wechselte zur Liveschaltung und zeigte die Reporterin in Großaufnahme.

      »Dei … Deine Ex?!«, sprudelte es amüsiert aus Lucas hervor.

      »Ja«, gab sich Peter mit hochrotem Kopf einsilbig. »Alles Vergangenheit. Hier, schau dir lieber die Speisekarte an.«

      »I ... Ich nehme eine Quattro Stagione«, entschied sich Perez, ohne einen Blick in die Karte zu werfen.

      »Ich genehmige mir einen Thunfischsalat.«

      »Verzeihung«, unterbrach sie der Kellner. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich eine junge Dame zu Ihnen an den Tisch setze?«

      Peter schaute zu ihm auf. »Kein Problem. Wir sind nur zu zweit.«

      Milan richtete sich auf und winkte. Eine Frau, Anfang dreißig, schritt durch die Tischreihen. Ihre knabenhaft frauliche Figur zog die Blicke auf sich. An manchen Tischen verstummten die Gespräche. Hälse wurden an ihren maximalen Anschlag gedreht. Ihr schulterlanges, brünettes Haar wiegte sich im Rhythmus ihrer Schritte. Der dunkelgraue Businessanzug betonte ihre Figur. Der Duft eines dezenten, teuren Parfums begleitete sie.

      »Darf ich?«, bat sie mit ihrer leisen, aber nachdrücklichen Stimme, die nur eine Antwort zuließ.

      *

      Lucas schaute der Frau in ihre braunen, mandelförmigen Augen. Seine Pupillen weiteten sich.

      »Selbstverständlich«, antwortete er, ohne zu stottern, während sein Chef ungläubig fragte: »Anna?«

      Die Frau wandte sich Peter zu. Musterte ihn. Keiner sprach ein Wort. Selbst das Gemurmel der Gäste schien verstummt zu sein, als herrschte Ruhe vor dem Sturm.

      »Peter?!« Erstaunt schüttelte sie den Kopf. »Was für eine Überraschung. Ewigkeiten nicht gesehen.« Ihre Augen leuchteten und ein breites Lächeln umspielte ihren Mund. Sie nahm Platz.

      »Anna?«, raunte Lucas seinem Chef fragend zu, als wollte er einen langen Satz in einem Wort zusammenfassen.

      »Jetzt hat mich meine Vergangenheit endgültig eingeholt«, seufzte er leise und wandte sich Anna zu. »Wie geht es dir?«

      »Danke der Nachfrage. Hervorragend«, gab sie knapp zurück.

      Lucas zog seine Kappe vom Kopf und legte sie auf den Nachbarsessel. Mit allen zehn Fingern fuhr er sich durch sein Haar, rückte seine Nickelbrille zurecht und taxierte die junge Frau aus den Augenwinkeln.

      Peters Blick wanderte ständig zwischen Anna und dem TV-Gerät hin und her. Neugierig drehte sie sich um. Just in dem Moment, als Claudia Bigler groß im Bild war.

      »Schau Peter, die Claudi. Sie ist die Chefredakteurin von KURIER-TV.«

      »Ich weiß.« Er kratzte sich an der Schläfe. »Ich habe sie am Flughafen gesehen. Wir waren in der Unglücksmaschine.«

      »Oh Gott«, entfuhr es Anna und deutete mit dem Kinn auf Lucas' verletzte Hand. »Schlimm? Schmerzen?«

      »Nein. Nur eine kleine Schramme«, flunkerte der IT-Spezialist, als sich ihre Blicke trafen.

      »Das sieht aber nicht nach einem ›nur einer kleinen Schramme‹ aus.«

      »Verbrennung«, mischte sich Peter ein.

      Annas Neugier war geweckt worden.

      Abwechselnd erzählten sie ihr, was sie am frühen Abend erlebt hatten. Langsam ging ihre Unterhaltung in einen Small-Talk über. Anna und Peter ließen die Vergangenheit wieder aufleben. Holzinger versicherte ihr, dass er nicht nachtragend sei, dass alles Schnee von gestern sei. Doch er konnte es sich nicht verkneifen, zu erwähnen, dass ihm ihre und Claudias Rolle beinahe den Job gekostet hätte.

      Schließlich war es Anna, die Perez wieder ins Gespräch zog. Schnell fanden sie ihr gemeinsames Thema: die digitale Welt. Im Laufe der Unterhaltung meinte Lucas, dass er sich nach einer Auszeit von der Materie sehnte, einem ›Digital-Detox‹, und sei es nur für eine Woche.

      Als dieser Ausdruck gefallen war, stützte sich Peter gegen seine Lehne und zog sich aus der leidenschaftlichen Diskussion zurück. Einzig, als sie ihre Pizza und die Thunfischsalate verzehrten, geriet das Gespräch ein wenig ins Stocken.

      Holzinger fiel auf, dass Lucas, wenn er sich mit Anna unterhielt, nicht mehr stotterte und viel langsamer als üblich sprach.

      Auch sie schien an ihrem Gegenüber Gefallen zu finden.

      Als sich die Themen ausschließlich um Datenbanken, Firewalls, Blockchains, Transferraten, Server und Kryptografie drehten, schrieb Peter seine Adresse auf einen Zettel und schob ihn seinem Kollegen zu.

      »Uns steht ein anstrengender Tag bevor. Ich werde euch beiden Hübschen verlassen. Lucas, ich lege dir den Wohnungsschlüssel auf den linken Vorderreifen. Hier ist die Adresse. Die Couch findest du im Wohnzimmer. Das Bad, erste Tür rechts.«

      Perez angelte sich den Zettel, warf einen kurzen Blick darauf. Er ignorierte den Wink seines Chefs, dass es an der Zeit war, aufzubrechen.

      »Du bist eingeladen.« Lucas legte seine Hand auf Peters Bon, als plagte ihn ein schlechtes Gewissen.

      Holzinger erhob sich, blieb an der Stirnseite des Tisches stehen und zeigte auf den Adresszettel. »Du kennst dich aus?«

      »Danke, ich nehme mir ein Taxi.«

      »Anna, ich hoffe, man sieht sich in Zukunft öfter.«

      Sie drückte ihm ein Küsschen auf die Wange. »Hoffentlich«, flüsterte sie.

      Peter stützte sich auf seinen Flipstick und humpelte aus dem Lokal.

      Anna sah ihm nach.

      »Oh, hat er sich am Bein verletzt?«

      »Ja, aber nicht heute. – Darf ich dich noch auf einen Drink einladen?«

      Sie schenkte Lucas ein verzauberndes Lächeln. »Gerne.«

      In ihrem Gespräch schmissen sie die Bits und Bytes auf den Tisch und pickten sie langsam auf. Ein Nichtfachmann hätte nur ›Bahnhof‹ verstanden.

      Es war an Milan, sie aus ihrer Welt zu reißen.

      »Scusi, ora di chiusura. Sperrstunde.«

      Lucas beglich die Rechnung und sie verließen das Lokal.

      »Habe ich das richtig mitbekommen, du übersiedelst gerade nach Wien? Du wohnst bei Peter?«, wollte Anna wissen.

      »Wohnen?! Nein, nur für die heutige Nacht. Ich werde mir ein Zimmer nehmen und in den nächsten Tagen eine Wohnung suchen. Von Tomacic habe ich ein Angebot.«

      »Oberst Tomacic?«, fiel sie ihm ins Wort.

      »Ja, von Richard. Kennst du ihn? …« Sie nickte. » … Problem ist, er wohnt in Purkersdorf, außerhalb von Wien und mit dem Glasfaserkabel hapert's auch. Schauen wir mal.«

      »Darf ich dir einen Vorschlag machen? – Meine Junggesellenwohnung, zwei Zimmer, Computerzimmer mit High-Speed-Kabelanschluss inklusive, und Nebenräume, steht leer. Möbliert. Ich würde sie dir für einen fairen Preis anbieten. Hier in der Nähe, auf der Seilerstätte. Nachteil: kein Parkplatz.«

      »Super. Nehme ich. Ich besitze kein Auto.«

      »Willst du sie dir nicht vorher ansehen?«

      »Ich vertraue dir. Wo wohnst du jetzt?« Lucas schob seine Nickelbrille nach oben.

      »In Hietzing, in der Wohnung