Wolfgang Priedl

COLLEGIUM.


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ist hier?«, fragte Frederico überrascht. »Mit deinem Sohn? Wie geht es den beiden Frischvermählten?«

      »Ja, sie sind auf Hochzeitsreise.« Craig verdrehte die Augen und strich sich über seinen grauen Dreitagesbart.

      »Probleme?«

      »Sie nervt. Und mein Sohn ...« Er holte tief Luft. »... Christian, wie soll ich es sagen. Ein Schwächling. An dem ist ein Mädchen verloren gegangen. Kein Mumm. Du kennst ihn.«

      Die Zigarre glühte grell auf.

      »Kinder eben.« Frederico seufzte. »Deiner ist zu wenig Mann. Meine Frederica zu wenig Frau.«

      »Aber dafür ungemein hübsch, und sehr intelligent, im Gegensatz zu ...«

      »... sie ist achtundzwanzig und lässt kein männliches Wesen an sich ran.«

      »Vielleicht wartet sie auf den Märchenprinzen, der auch dir gefällt?«, versuchte Craig zu scherzen.

      »Hoffentlich nicht zu lange«, erwiderte Costa und ließ die Schultern hängen. Er steckte seine Zigarre zwischen die Zähne, als wollte er davon abbeißen.

      Sie drängten sich in die Nische, die ihnen nur ungenügend Schutz vor den eisigen Windböen bot.

      »Craig, Rico?«, hörten sie Hajo vom Eingang rufen.

      Morrison trat in den Wind. »Hier sind wir.«

      »Neuigkeiten?«

      »Leider nein«, erwiderte Hajo. »Wir haben die größeren Spitäler kontaktiert: Das AKH, die Donauklinik, das Lorenz-Böhler-Unfallkrankenhaus, das Meidlinger UKH und einige weitere, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe. Erfolglos. Entweder hieß es, dass man noch nicht über die Listen der Neuaufnahmen verfüge, oder man redete sich auf den Datenschutz heraus.«

      »Möchtest du eine Zigarre?«, bot ihm Craig zum Trost an.

      »Nein danke, ist mir zu kalt hier draußen.« Hajo zeigte auf seine dünnen Lederschuhe.

      »Hast du keine Stiefel dabei?«, versuchte Morrison das Thema zu wechseln, um die Stimmung zu heben.

      Unvermutet stand Gerard vor ihnen, über seinem weißen Hemd nur mit dem schwarzen Gilet bekleidet.

      »Herr Voss, ich habe soeben erfahren, dass unser Shuttleservice die Hotelgäste abholen kann.«

      Hajo fuhr herum wuchs um gut drei Zentimeter, während seine Augen hoffnungsvoll aufleuchteten.

      »Ist meine Tochter dabei?«

      Der Barkeeper trat von einem Bein auf das andere, die Schultern nach vorgezogen.

      »Nein. Wie mir der Chauffeur mitteilte, kann er sieben Gäste abholen. Mehr oder minder unverletzt. Frau Voss ist leider nicht dabei. Soviel wir wissen, ist sie auch nicht unter den Verletzten.«

      »Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?«, rätselte der Niederländer.

      »Lass mich das Pferd nochmals in den Parcours reiten«, begann Craig, auf der Suche nach einer Erklärung. »Bist du dir sicher, dass Kirstin an Bord war? Ich kann mir gut vorstellen, dass sie den Flieger versäumt hat, oder sie hat es sich im letzten Augenblick anders überlegt.«

      »Ich weiß nicht, was ich glauben soll.« Voss atmete tief durch. »Gerard, danke für Ihre Info.«

      »Hajo – etwas mehr Zuversicht. Erst wenn sie Tiere paarweise nach Cape Canaveral treiben, würde ich mir ernsthafte Gedanken machen«, versuchte Frederico Optimismus zu verbreiten, ließ seine Zigarre fallen und trat die Glut aus.

      Craig schnipste seine Corona in das Rinnsal und zeigte zum Eingang.

      »In die Bar mit uns, bevor wir hier zu Eiszapfen erstarren.«

      An der Tür hielt der Barkeeper Morrison zurück.

      »Es gibt drei Tote«, raunte er ihm zu und verschwand mit ernster Miene.

      *

      Frederica, Edith und Christian saßen um einen Tisch in der Bar und winkten ihnen zu.

      »Hallo ihr Hübschen. Wie war der Abend?«, begrüßte sie Frederico mit seiner nachdrücklichen Stimme. »Dürfen wir uns zu euch setzen?«

      Christians Lächeln wirkte wie aufgemalt, als wollte er ›wenn es sein muss‹ sagen.

      »Bitte«, gab er zurück und zog bedächtig einen Sessel vom Nachbartisch heran. Hajo und Craig folgten seinem Beispiel.

      Gerard servierte die Longdrinks und tauschte leere Knabbergebäckschalen gegen volle aus. Die Italienerin bedankte sich, griff in die Schale und zerbiss geräuschvoll ein Stück Rohscheibe.

      »... überlege es dir. Unser Angebot steht. Du bist jederzeit willkommen«, hörte Morrison im Niedersetzen seine Schwiegertochter zu Frederica sagen, während sie ihren Arm tätschelte.

      Craig wollte sich nach dem Vorschlag erkundigen, doch der Barkeeper kam ihm mit seiner Frage zuvor.

      »Das Übliche? Whiskey, Wein und Campari-Soda?«

      Hajo streckte beide Daumen in die Höhe.

      Gerard schenkte die Drinks ein, als das Haustelefon an der Theke läutete. Während des Telefonats schaute er abwechselnd zur Rezeption und zu seinen Gästen. Gemächlich stellte er die Gläser auf das Tablett.

      Craig merkte die besorgten Blicke des Bartenders. Er drehte sich zu ihm. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn.

      Mit schweren Schritten kam Gerard zum Tisch und verteilte die Getränke. Zuletzt beugte er sich zu Morrisons Ohr und flüsterte: »Kirstin Voss ist eine der Toten.«

      Eine Garrotte umspannte Craigs Hals. Langsam schloss sie sich enger und hinderte ihn am Reden.

      »Was hat er gesagt?«, wollte Frederico wissen.

      Sein Freund sah ihm in die Augen, blähte seine Wangen auf, und schüttelte leise den Kopf. Costa rümpfte die Nase und öffnete einen Spalt weit seinen Mund. Er schwieg, denn er erriet bereits die Antwort. Keiner von den beiden wollte der Überbringer der Hiobsbotschaft sein.

      »Weiß man schon, wo Kirstin abgeblieben ist?«, platzte es aus Edith hervor, die ständig über ihr Smartphone wischte, ohne ihren Blick zu heben.

      »Nein ...«, antwortete Voss knapp. »...wir warten noch auf eine Nachricht von ihr«, fügte er flüsternd hinzu. Er zog sein Mobile aus der Tasche und legte es griffbereit auf den Tisch. Besorgt musterte Frederica sein Gesicht, als könnte sie die Antworten auf ihre Fragen daraus ablesen.

      Edith streckte ihr Smartphone in die Höhe, zog Christian zu sich und schoss ein Selfie; für wen auch immer.

      Craig bedachte seine Schwiegertochter mit einem abfälligen Blick, der an ihr abperlte, wie Wasser auf einem wasserdichten Stoff.

      Frederico legte seinem Freund tröstend die Hand auf den Arm.

      Es tat gut, seine eigene Meinung bestätigt zu bekommen. Morrison griff sich an den Hals, massierte ihn und zerbrach sich den Kopf, wie er Hajo die Nachricht übermitteln sollte. Coram publico oder unter vier Augen? Immer wieder schaute er hilfesuchend zu Frederico, den die gleichen Gedanken plagten. Wenn sich ihre Blicke trafen, zuckte sein Freund mit den Schultern und rieb sich über das Kinn.

      Unbehagliche Stille herrschte am Tisch, als würde man sich im Auge eines Hurrikans befinden,

      »Laut unseren Statuten müssen wir einen zusätzlichen Vorstand nominieren«, versuchte Frederico ein Gespräch zu initiieren.

      »Um dem Quotenwahnsinn Genüge zu tun, schlage ich Claire oder Mathilde vor.« Craig atmete tief ein und war für den Themenwechsel dankbar, der ihm Zeit verschaffte.

      »Ich bin für Claire. Vergiss Mathilde«, entschied der Italiener mit ruhiger Stimme, die jede weitere