Wolfgang Priedl

COLLEGIUM.


Скачать книгу

Und welches ist mein Büro?«

      »Dritte Tür rechts. Zwischen uns ist Sarahs Zimmer.«

      »Da … Dann bis später.«

      Lucas ließ seinen Chef am Gang stehen und stapfte davon. Die Büros hielten, was der Korridor versprach. Das ehemals weiß getünchte Arbeitszimmer hatte schon lange keinen Maler gesehen. Dunkle Ränder markierten die Plätze, wo einst Bilder gehangen haben. Krumme Stahlstifte ragten in unregelmäßigen Abständen aus den Wänden. Er nahm seine Schirmkappe ab und platzierte sie an einem der Nägel.

      Die Verbindungstür zu Sarahs Zimmer stand offen. Er steckte seinen Kopf durch den Rahmen. Sieht wenigstens bewohnt aus, dachte er und fragte sich laut: »Warum habe ich mich überreden lassen?«. Die Antwort blieb er sich schuldig. Er vermisste sein gläsernes Büro in Den Haag und zog den Laptop aus dem Rucksack.

      Während er ihn hochfahren ließ, schaute er aus dem Fenster über die Dächer Wiens, hinüber Richtung Stephansdom, dessen Turm sich schattenhaft hinter dem dichten Schneefall abzeichnete.

      Anschließend warf er einen Blick unter seinen Schreibtisch, wo er einen funkelnagelneuen Computer erblickte, an dem zwei ausladende Monitore angeschlossen waren.

      Er ließ sich auf den federnden, mit Skai bezogenen Chefsessel fallen, der seine beste Zeit längst hinter sich hatte. Lucas zog seinen Laptop zu sich und hämmerte in die Tasten, während er sich weiter im Zimmer umsah. Er hielt inne, zog ein Kabel aus seinem Backpack, steckte es seitlich in den Rechner und verkabelte den HDMI-Ausgang mit einem der Bildschirme. Anschließend überprüfte er die Einstellungen seiner Firewall, startete die Hotspot-App auf dem Smartphone und verband es mit dem Laptop.

      Lucas schob ein Fenster nach dem anderen auf den Standmonitor. Eines zeigte eine Passagierliste. Er drückte auf die Aktualisierungstaste. Er loggte sich ins lokale Netzwerk ein, fand einen Drucker und sandte die Aufstellung – mit einer Weiteren – zweifach ab. Er lauschte. In Sarahs Zimmer sprang der Laserdrucker an. Er ging hinüber und verglich die Ausdrucke. Die neue Liste der Passagiere war mittlerweile in Abschnitte eingeteilt worden: Unverletzt – verletzt – Schwer verletzt – Tot und vermisst. Unter dem Punkt ›Schwerverletzt‹ fand er Sarah Mutes` Namen, daneben der Hinweis: ›Donauklinik‹. Am Ende der Liste befanden sich unter der Rubrik ›Vermisst‹ zwei Namen.

      Lucas grinste und schüttelte den Kopf.

      »Pe ... Peter, wir werden vermisst«, rief er durch die Verbindungstür.

      »Wie? Wir werden vermisst?«

      Lucas stellte sich in den Türrahmen und hielt eine Liste in die Höhe.

      »Ste ... Steht auf der Passagierliste der AUA.«

      Holzinger runzelt die Stirn und bat seinen Kollegen, ihm das Blatt zu reichen. Er überflog es mit einem argwöhnischen Blick, während Lucas sich auf den Besuchersessel fallen ließ.

      Bedächtig legte Peter seinen Kopf schief und starrte sein Gegenüber an.

      »Ich habe vorhin eine Mail bekommen, dass ich mich gestern vom Flughafen aus in meinen Account eingeloggt hätte, und mit ›Gefahr in Verzug‹ auf das Netzwerk der AUA zugegriffen habe. Die wollen von mir eine Sachverhaltsdarstellung. Warst du das?«.

      »Ja. Wa ... Warum? Wo ist das Problem?«

      »Sag, spinnst du? Ich habe dir gesagt: Kein Hacken! Wir halten uns an den Dienstweg!«, brüllte ihn sein Chef an.

      »I ... Ich habe doch nicht gehackt«, erwiderte Lucas gelassen. »Ich habe mich nur in deinen Account eingeloggt, weil ich meine Zugangsdaten noch nicht hatte.«

      »Und woher hast du meine Daten, wenn ich fragen darf?«

      »Na von ... von dir. Wer dich kennt, kennt auch das Passwort, Herr Gleitschirm, geboren 1991. Ich habe mich lediglich in deinen Geschäftsaccount eingeloggt. Oder haben wir in unserem Job Geheimnisse voreinander? Also, beruhige dich. Und weil wir gerade dabei sind: von wegen Routinejob. Vergleiche die beiden Listen! Fünf Fluggäste stehen auf der Besucherliste des Kongresses. Einer davon ist ein Vorstandsmitglied. Das war kein Unfall, mein Lieber.«

      Peter rang nach Worten.

      In diesem Augenblick machte sich ein Uniformierter in der Eingangstür breit.

      »Hallo. Ich habe gehört, dass ihr in dem Flugzeug gewesen seid? Wie war es?«

      »Servus. Du – ich habe keine Zeit. Vielleicht später«, winkte Holzinger genervt ab.

      Die Nachricht von ihrer Anwesenheit hatte sich in Windeseile im ganzen Haus verbreitet. Immer mehr Kollegen kamen vorbei, jeder mit den gleichen Fragen.

      »Könnt ihr bitte allen sagen, …«

      Peter setzte sich an seinen Schreibtisch.

      » … dass Frau Mutes eine schwere Gehirnerschütterung und einen gebrochenen Oberarm hat. Sie fällt für sechs Wochen aus. Wenn nicht länger. Wir beide sind ›Okay‹«, rief er schließlich in die Menge und schob seine Kollegen aus dem Zimmer. »Startet lieber eine Kollekte: Die Frau Chefinspektor wird sich über eure Blumen freuen.«

      Er seufzte und wartete, bis sie alleine waren.

      »Apropos Sarah, ...«

      Sein Streitgespräch mit Lucas hatte er mittlerweile verdrängt.

      »… wir brauchen rasch geeigneten Ersatz. – Ich hätte eine Idee ...«

      *

      Holzinger griff zum Telefon und tippte auf eine Nummer aus dem Kurzwahlspeicher.

      »Es wird Zeit, dass du uns im neuen Büro besuchst«, begann er grußlos das Gespräch.

      »Wie meinst du das?«

      »Sarah fällt für zwei Monate aus.«

      »Was hat das mit mir zu tun? Weshalb soll ich euch besuchen? Sag, seid ihr gestern in dem ...«

      »... Ja. Wir brauchen dich. Ich will, dass du in mein Team kommst. Das Innenministerium würde dir einen Konsulentenvertrag anbieten …«, fiel er ihm ins Wort.

      Am anderen Ende der Leitung herrschte Totenstille.

      »... Hallo, Richard, bist du noch dran?«

      »Ja, bin noch dran. Ich bin im Ruhestand. Schon vergessen?«

      »Richtig. Du bist im Ruhestand und nicht in Rente. Staatsdiener können jederzeit wieder in ihre Funktion berufen werden«, lachte Peter mit einem verschmitzten Unterton.

      Richard antwortete nicht.

      »Sag doch etwas ...«, forderte er seinen Ex-Boss auf.

      »Ich überlege gerade. – Bedeutet das, du wärst mein Vorgesetzter?«

      »Gibt Schlimmeres«, gab Peter vergnügt zurück und fuhr sich mit den Fingern durch seine Mähne.

      »Ich war jahrelang dein Boss und jetzt willst du ...«

      Peter sah vor seinem geistigen Auge, wie Richards Kinn nach allen Seiten mahlte.

      »... Habt ihr eine Kaffeemaschine?«

      »Nein. Warum?«

      »Nur so. – Okay. Ich sage einfach zu, du als mein Boss, das ist ein reizvoller Gedanke.«

      »Gut. Wann kannst du anfangen?«

      »In zwei Stunden.«

      »Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Super.«

      Peter überlegte kurz.

      »Wir haben um 10:00 Uhr ein Meeting. Schaffst du das?«

      »Das ist in 50 Minuten. Solange brauche ich bei diesem Sauwetter aus Purkersdorf zum Ring ... Verspreche nichts, aber ich beeile mich.«

      »Bis gleich.« Peter warf den Hörer