Wolfgang Priedl

COLLEGIUM.


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dass der Flieger mit einer Drohne zum Absturz gebracht wurde? Ist das technisch überhaupt möglich?«

      Lucas atmete tief ein und sagte langsam: »Also, ich habe einige Szenarien durchgespielt. Ich bezweifle, dass man einen Anschlag verübt, bei dem über zweihundert Menschen sterben könnten, wenn man nur einen töten will. – Aber vorstellbar ist, dass der Angriff, der Fluglinie galt. – Oder der Luftfahrtbranche. – Oder dem Flughafen. In diesem Fall sehe ich keinen Zusammenhang mit unserem Auftrag. Deshalb lasse uns die Passagierliste durchsehen. Du hattest gestern etwas von Erpresserbriefen gesagt. Vielleicht hat einer – oder sogar mehrere – einen Drohbrief erhalten. Dann müssen wir uns in die örtlichen Ermittlungen einmischen und jeden Einzelnen überprüfen.«

      »Wie willst du das bis morgen anstellen?« Peter zerstach mit der Gabel die dünne Haut seines Dotters. »Die Maschine war voll besetzt. Über zweihundert Fluggäste. Wird schwierig werden, sie alle persönlich zu interviewen. Einige könnten ihre Reise sogar fortgesetzt haben und sind nicht mehr in Österreich. Die Staatsanwaltschaft müsste schnell reagieren und uns auf die Passagierlisten der AUA zugreifen lassen.« Er massierte seine Nasenwurzel.

      »Fü … Für die Telefonate borgen wir uns ein paar Exekutivbeamte aus ...« Lucas lächelte und war sich der Tragweite seiner Aussage bewusst. » … Wir beginnen mit dem Organisationskomitee. Ich könnte mir vorstellen, dass wir etwas finden. Wenn nicht, umso besser. Du hast das Meeting für 10:00 Uhr angesetzt?«

      Peter nickte und presste die Lippen aufeinander. »Warum bist du dir sicher?«

      »Ge … Gegenfrage: Warum sollen wir den Kongress begleiten, sichern?«

      »Weil sehr viel Wirtschaftsprominenz auf einem Fleck zusammentrifft. Die Teilnehmerliste liest sich wie die eines G7-Treffens. Das mit den Erpresserbriefen ist nur eine Zusatzinfo. Doch der Gedanke daran lässt mich nicht los.«

      »Pe … Peter, wenn du bis morgen Gewissheit brauchst, kann ich meinen Computer ein wenig in der Weltgeschichte herumsurfen lassen. Er könnte sich Daten von den Unternehmen holen und sie einer ›Rasterfahndung‹ unterziehen.«

      »Lucas!«, fuhr ihn Peter an und warf die Gabel auf den Teller. Er würgte den Bissen hinunter. »Habe ich dich soeben richtig verstanden? Du möchtest die Netzwerke der Teilnehmer hacken?« Er ließ eine Pause entstehen. »Nein und nochmals Nein. Geht das nicht in deinen Kopf hinein? Wir müssen nicht die Erpressungsgeschichten aufklären. Das ist die Aufgabe der Polizei in den jeweiligen Ländern. Wir begleiten den Wirtschaftsgipfel – sicherheitstechnisch. Mit offenen Ohren. Ich wiederhole mich: Kein Hacken! Wir halten uns an die Vorschriften!«, fuhr er ihn ärgerlich an.

      »I … Ich wollte nur Zeit sparen. Zeit, die der Amtsschimmel vergeudet. Zeit, die uns fehlt, wenn sich der Verdacht erhärtet. Wenn ich etwas über Amtswege gelernt habe, dann, dass ihre Entfernungsangaben immer unter- oder übertrieben sind. Aber ich habe dich trotzdem verstanden: kein Hacken.«

      »Siehst du, ich wusste doch, dass wir uns verstehen.«

      Mit einem Stück Brot wischte Peter die letzten Krümel vom Teller.

      »I ... Ich würde es aber nicht hacken nennen«, gab sich Lucas nicht geschlagen. »Informationsbeschaffung träfe es eher. Sag, gelten für unsere Ermittlungen die Vorgaben der EU oder die österreichischen?«

      »Beides«, presste er nach kurzem Zögern hervor, doch er war sich nicht sicher.

      Lucas räumte das Geschirr in die Spüle.

      »Lass das, ihr müsst ins Büro«, protestierte Sabine lautstark.

      »Wi ... Wie es wohl Sarah geht?«

      »Ich habe gestern Abend mit ihrem Mann telefoniert und ihm alles erzählt. Er war geschockt und ist sofort zu ihr ins Spital aufgebrochen. Wir rufen ihn vom Auto aus an. Komm, es wird Zeit.«

      »Gu ... Gute Idee, lass uns unser Tagwerk beginnen.«

      *

      Als sie vor das Haus traten, schneite es noch immer. Eine solche Menge Schnee war seit Jahren nicht mehr gefallen. Nicht Ende November.

      Peter balancierte mithilfe seines Stockes zum Auto. Seine Westernstiefel mit den glatten Sohlen waren nicht die beste Wahl. Er fuhr mit dem Finger der Fuge der Wagentür entlang und öffnete sie einen Spalt, gerade so viel, dass er sich den Schneebesen aus dem Fußraum angeln konnte.

      Er benötigte drei Anläufe, um mit durchdrehenden Rädern aus der Parklücke zu kommen.

      Auf der Fahrt lauschten sie den Nachrichten, die den größten Teil ihrer Sendezeit dem gestrigen Flugzeugcrash widmeten. Zweiundachtzig Verletzte, fünfzehn Schwerletzte und drei Tote. Eine erschreckende Bilanz.

      »Ich muss Sarahs Mann anrufen«, erinnerte sich Peter und wählte die Festnetznummer am Display aus. »Guten Morgen. Holzinger spricht ... da fällt mir ein Stein vom Herzen ... Ja, gebe ich an die Personalabteilung weiter ... Mindestens sechs Wochen? … Wir wünschen ihr gute Besserung. Danke für die Info.« Peter unterbrach die Verbindung. »Sarah wird für zwei Monate im Krankenstand sein«, seufzte er und schob seinen Unterkiefer zur Seite. »Wir brauchen Unterstützung. Zu zweit ist das alles nicht zu schaffen.«

      »D … Du kennst doch fähige Kollegen, die du anfordern kannst.«

      »Einige ... Problem ist nur, dass man ihnen Zeit geben muss, um sich mit dem Aufgabengebiet vertraut zu machen. Sie haben keine internationalen Verbindungen. Sarah und ich haben uns in den letzten zwei Monaten eingearbeitet. Du bist drei Jahre in Den Haag gewesen, kennst dich ja aus.« An der Ampel legte Peter seinen Kopf schief. »Ich denke, ich hätte da eine Idee.«

      Lucas kam nicht dazu, den Einfall zu hinterfragen, denn sein Smartphone vibrierte. Er streckte das Bein und zog das Mobile aus der Hosentasche. ›18:00 Seilerstätte vor dem Ronacher? lga‹, las er und wandte sich an Peter. »I ... Ich muss um sechs Uhr in der Innenstadt sein.« Er biss sich mit einem Schmunzeln auf die Unterlippe, während er ›Passt! Freu mich. lgl‹ tippte.

      »Warum?«

      »I ... Ich habe mir gestern Abend eine Wohnung gemietet. Um sechs ist Schlüsselübergabe.«

      »Das ging aber schnell. – Dann kann ich Richard sagen, dass du von seinem Vorschlag keinen Gebrauch machst?«

      »Ja, bi … bitte und richte ihm meinen besten Dank für sein Angebot aus.«

      »Und wie bist du dazu gekommen? Wir waren doch ...«

      »A … Annas Junggesellenwohnung – mit Glasfaserkabel«, unterbrach er ihn und erzählte, wie der weitere Abend verlief.

      »Das ging aber schnell«, wiederholte Peter mehrdeutig.

      »Kei … Keine Fehlinterpretationen, Chef«, erwiderte Lucas langsam.

      Holzinger fuhr in den Innenhof der Bundespolizeidirektion.

      »Komm, unsere Büros sind im sechsten Stock.«

      »Ho … Hoffentlich mit Blick über Wien«, grinste Perez, während sie sich in den Aufzug zwängten.

      »Du wirst nicht viel Zeit haben, den Panoramablick zu genießen. Denke an den Bericht.«

      »I ... Ich denke an nichts anderes«, antwortete er mit gespielter Ernsthaftigkeit, während der Fahrstuhl hüpfend anhielt.

      Peter zeigte zum linken Korridor, ging vor und zog die gläserne Gangtür auf, deren Feder widerwillig knarzte. Von dem Gang zweigten zu beiden Seiten jeweils vier Zimmer ab, den Boden schmückte eine abgetretene Auslegeware aus ehemals dunkelbraunem Filz. Die Wände zierten alte Werbeplakate der Bundespolizeidirektion, die mit vergilbten Klebestreifen befestigt waren. Ein A0-Bogen erklärte die Rangabzeichen. Daneben hing zwischen zwei Glasplatten ein welliger Druck von Albrecht Dürers betenden Händen. Abgestandene Luft stieg Lucas in die Nase. »Ri … Riecht ein wenig muffig ...«, bemerkte er.

      Peter klopfte seinem Freund aufmunternd auf den Rücken. »... man