Bernd Boden

Dismatched: View und Brachvogel


Скачать книгу

Gespannen der schwerfälligen Zugebsel aufgebrochen, um Saat, Pflüge, Eggen und Proviant zu den Brachen zu schaffen. Sie hatten in die Mitte der Äcker den Pflugpfahl gesetzt und waren dann zu Fuß zur Klave zurückgekehrt, um an der Zere­monie teilnehmen zu können. Jeweils eine Wächterin war zur Bewachung der Tiere, der Ackergerätschaften und der Säcke kostbaren Saatguts auf den zu bearbeitenden Brachen zurückgeblieben.

      Jetzt saßen Brachvogel und Agror in einem der übervollen Boote, die auf der breiten Bahn schimmernden Lichts, die die Mondin aufs Wasser warf, die Gleiß hinuntertrieben. Am Ufer zogen die Gewerke und Hütten der Klave vorbei und bald schon hatten sie den südlichen Wall hinter sich gelassen. Die Flanke der Fernwarte senkte sich allmählich und das Land öffnete sich Wiesen, niedrigem Gehölz und kleinen Baumgruppen. Gelegentlich schallte der klagende Ruf eines Ufervogels, der sich gestört fühlte, über die weite Wasserfläche, sonst herrschte bis auf das Knarren der Ruder in den Dollen eine mondene Stille.

      An einer bestimmten Landmarke hieß die im Heck sitzende Weisungsfrau die Mannlinge ans Ufer steuern und die erste Gruppe verließ das Boot und machte sich zu den ihr zugeteilten Äckern auf. Dies wiederholte sich einige Male, bis schließlich auch die beiden Freunde an der Reihe waren. Obwohl das Pflügen zu den Obliegenheiten der Springlinge gehörte, hatte es die Eisenfrau auf Brachvogels Bitte hin so einzurichten gewusst, dass diesmal auch ihr Gehilfling Agror mit zum Pflügen ausfuhr. Denn lange schon bewegte Brachvogel eine Idee in seinem Kopf und hatte deren praktische Umsetzung, die er in dieser Nacht erproben wollte, auch schon mit seinem Freunde ausgeheckt.

      Vom Fluss war es noch eine Strecke Weges bis zu den Äckern und die beiden Mannlinge schritten, nachdem sie Morast und Röhricht des Ufers hinter sich gelassen hatten, kräftig aus. Der schmale, wenig ausgetretene Pfad wand sich um einige Hügel, bis sie schließlich auf eine weit gestreckte Ebene kamen, von der die Weisen Frauen einst aus Gründen, die sich Brach­vogels Nachvollzug entzogen, orakelt hatten, dass sie geeignet sei, Frucht zu tragen. Am Rande einer kleinen Baumgruppe hoben sich drei kreisrunde und nach dem Sicheln und Jäten schon wieder von handbreit hoch stehenden Unkräutern überwucherte Flächen von den grasbestandenen und mit kleinen und größeren Steinen übersäten Bodenwellen ab. Der jeweils in ihrer Mitte ragende Pflugpfahl warf schon einen deutlich längeren Schatten als Brachvogel zum Zeitpunkt seines Aufbruchs.

      Da kam ihnen auch schon sichtlich ungeduldig eine Gestalt entgegen. Gewiss die Wächterin, die hier Wacht hielt und ihrer schon geharrt hatte. Als sie näherkam, erkannte Brachvogel, um wen es sich handelte. „Natürlich, ausgerechnet Bruna“, stöhnte er innerlich, denn mit dieser Frau lag er in Dauerfehde und sie drangsalierte und kujonierte ihn, wo und wie sie nur konnte.

      „Um Lunas Willen, wo bleibt ihr denn? Bequemt ihr tumbes Mannlingsvolk euch auch endlich mal her?, herrschte sie die beiden Freunde an. „Brachvogel, du magst zwar Zeugungsträger sein“, sie richtete einen despektierlichen Blick auf seinen Schritt, „aber auch solche wie du haben mit anzupacken. Wir haben jetzt viel­leicht noch fünf Stunden, bis die Sonne aufgeht und unsere Mühen hinfällig werden lässt. Los ihr Tränentiere, kommt in die Hufe und sputet euch gefälligst.“

      Wie bittere, den Schlund hochsteigende Galle schluckte Brachvogel eine scharfzüngige Ent­gegnung hinunter. Im Laufe der Zeit hatte er ge­lernt, dass es sinnlos war, zu versuchen, den Frauen auf ihrem angestammten Feld etwas ent­gegenzusetzen. Sie hatten nun einmal das Heft in der Hand und die meisten Mannlinge waren zudem so gestrickt, dass sie ihren Antreibe­rinnen willig folgten wie eine Herde Schafe. Da half es nicht weiter, wenn ein Mannling in alltäg­lichen Belangen den Widerborst spielte und viel­leicht sogar einmal in einem Wortgefecht den Sieg davontrug. Wenn Brachvogel etwas ändern wollte, musste er auf grundlegenderer Ebene ansetzen. Er musste den Kreis der Weisen Frauen und insbesondere die Archontin davon überzeugen, dass es Möglichkeiten gab, die Dinge zu verbessern. Dass das, was seit Genera­tionen althergebracht war und mit den natürli­chen Kreisläufen in Übereinstimmung lag, nicht notwendig auch immer das Beste für die Klave sein musste. Gelang es ihm, seine Ideen umzusetzen, war das der Beweis, dass Mannlinge mehr waren als nur willfährige Gehilflinge und kräftige Arbeitstiere, die von Ebseln im Grunde nur unterschied, dass sie sich Befehle und Anweisungen merken und der Reihe nach abarbeiten konnten. Und das vorzubereiten, bot sich vielleicht heute Nacht die Gelegenheit. Also machte sich Brachvogel ans Werk, ohne Bruna ihren Ausbruch mit gleicher Münze heimzuzahlen. Aus dem Augenwinkel heraus vermeinte er in ihrer Miene Enttäuschung darüber zu lesen, dass er auf ihren Ausfall nicht eingegangen war, den sie auf ihn losgelassen hatte, wie man einem Hund einen Knochen hinwarf.

      Es galt als Ackerfrevel, Mutter Erde ihre Früchte frech in einer schnurgeraden Furche abzu­trot­zen. Nach Art der Frauen schmeichelte man ihr die Bitte um Gaben vielmehr in Form einer kreisrunden Furche in den Acker ein. Zu diesem Behufe wurde in die Mitte des Feldes der Pflugpfahl eingeschlagen, um den herum, durch ein Seil geführt, der Pflug seine Kreise zog. Jede der drei Brachen, die Brachvogel zu bearbeiten hatte, erstreckte sich etwa über einhundertvierzig Schritt, also betrug der Halbmesser siebzig Schritt. Das eine Ende eines Seils etwa dieser Länge hieß Brachvogel Agror nun unten um den Pflugpfahl schlingen, während er das andere Ende an dem Joch befestigte, in das er den Zugebsel spannte, der am Rande der Brachen angepflockt war. Dann hakten sie den Pflug in das Geschirr, machten sich geschäftig hier und da zu schaffen und warteten auf den Moment, in dem Bruna, die sie unablässig im Auge hielt, in ihrer Aufmerksamkeit nachlassen würde. Da diese sie aber nach wie vor mit scharfen Blicken überzog, ergriff Brachvogel den Pflug, schnalzte mit der Zunge und der Ebsel zog an. Wider Willen sammelte sich Brachvogel, denn es erforderte einiges Geschick, das Tier so zu führen, dass es den Pflugpfahl nicht aus der Erde zog, (was es mühelos gekonnt hätte), das Seil aber stets so gespannt zu halten, dass der Pflug einen makellosen Kreis zog und die Furche nicht zum Kreismittelpunkt hin einbrach. Da sich die Länge des Seils nach jeder vollen Runde um den Durchmesser des Pflugpfahles verringerte, um den es sich wickelte, wurden die Kreise allmählich immer näher an ihren Mittelpunkt herangeführt. Lagen dann nach etlichen Runden schließlich mehrere Schichten Seils übereinander, wurde der Abstand zwischen den Furchen immer größer. Deshalb setzte Agror dann dort, wo das Seil die Wicklung verließ, eine Markie­rung, streifte die ganze Wicklung von unten nach oben über den zu diesem Zweck gut ein­geölten Pflugpfahl und schlang das Seil an der markierten Stelle erneut um das Holz. So erreichten sie, dass der Abstand zwischen den Furchen in etwa gleichblieb.

      Als sie sah, dass alles reibungslos lief, wandte Bruna sich endlich ab und schickte sich an, sich die Beine zu vertreten. Nun war endlich der Moment gekommen, dass Brachvogel seine Kopf­geburt zur Welt bringen konnte.

      Getreu der Losung, sich nur das zu nehmen, was die Natur freiwillig zu geben bereit war, nutzte die Klave seit Frauengedenken Pflüge, die nicht ungestüm und tief in die Erde einbra­chen, sondern deren Sporn den Boden zur Aufnahme des Samens allenfalls anderthalb Handbreit tief ritzten. Die Unkräuter, die die Brachen nach dem Jäten wieder oder noch bedeckten, wurden so zwar entwurzelt, blieben aber auf dem Acker liegen und mussten entfernt werden, bevor gesät und das Saatgut in die vom Pflug gezogenen Rillen eingearbeitet wurde. Nachdem Brachvogel unzählige Male zu solcher Fron eingeteilt worden war, schoss ihm die Idee für einen Pflug durch den Kopf, der die Erde nicht nur ritzen, sondern auch gleich in großen Schollen umwerfen würde. Die Unkräuter würden so nicht nur entwurzelt, sondern untergepflügt werden. Er hatte einmal beobachtet, wie aus einem in die Erde gesunkenen Wurzelballen, der zuoberst der Pflanzen lag, die aus ihm hervorgegangen waren, abermals besonders dichtes Grün spross. Offensichtlich spendeten Pflanzen in der Erde dieser im Vergehen Nährstoffe für neues Wachstum. Vor allem aber würde der Samen so auf eine viel größere Fläche aufnahmebereiter, schwarzer Erde fallen, als nur in die schmalen Furchen eingestreut, die der Ritzpflug hinterließ. Um das zu erreichen hatte er eine Vorrichtung ersonnen, die statt der schmalen Spitze des Ritzpfluges wie eine hohle Hand durch die Erde fahren, diese erst aufwölben und dann umwerfen und zerkrümeln würde.

      Um zu erproben, ob sich dies auch in der Praxis so verhielt, führte Brachvogel in seinem Pro­viant­beutel einen handspannenbreiten Holzkeil mit, der sich zu zwei Seiten hin ver­jüngte. Diesen brachte er jetzt zusammen mit Agror mittels eines Seiles dergestalt an dem Pflug an, dass die breite Seite des Keiles an dessen Sporn anlag. Das würde nicht lange halten, dürfte aber genügen, um zu erweisen, ob seine Idee wirklich