J.D. David

Sternenglanz


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reichten schon lange nicht mehr, um all die Hütten und Häuser zu umschließen. In Fendheim lebten viele Menschen, denen es schon unter dem König Kargats schlecht gegangen war. Unter dem Kaiserreich wurde es nicht besser. Dafür sorgten die kaiserlichen Soldaten für unnachgiebige Verfolgung jeglicher Straftaten. Aufwieglung zählte da dazu. Durch seine Bevölkerungsstruktur war aber Fendheim schon in den letzten Jahren ein guter Nährboden für das Nachtrudel gewesen, trotz der Entfernung zu Dornat. Deswegen war Berlans Wahl auf diese Stadt gefallen. Hier sollte der Widerstand im besetzten Kargat neu belebt werden. Und was bot da einen besseren Grund als die Hinrichtung von scheinbar unschuldigen Menschen.

      „Sollten wir gehen?“, fragte Sivert seinen Vater. Der Blick des Jungen war noch stur nach vorne auf die Hingerichteten gerichtet, doch er spürte, wie sich die Menge langsam zerstreute. Sie sollten nicht als letztes hier verbleiben. Denn es bestand zu befürchten, dass in Kargat noch der ein oder andere Steckbrief, zumindest von Berlan, zu finden war.

      „Noch nicht.“, sagte Berlan. Er hatte sich einen dicken Mantel übergeworfen und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Dennoch suchten seine Augen den Platz ab. Nach Menschen, die er kannte. Oder anderen Anzeichen von jenen, die dem Kaiser nicht unbedingt loyal gesinnt waren. Über die Jahre hatte er die Anzeichen gelernt. Der verbitterte Blick zum Galgen. Die genaue Beobachtung der Besatzer. Versteckte Klingen. All jene Dinge, die ihn wohl auch ausgemacht hatten, als er noch nicht gelernt hatte, sich im Zweifel zu beherrschen. Unauffällig zu wirken, aber eben nicht so unauffällig, dass er wieder verdächtig wurde. Es war ein schmaler Grat.

      Recht unvermittelt wurde Berlan von einem Mann angerempelt, der gerade den Platz verließ. Sofort griff Sivert an die Klinge seines Dolches, den er unter dem Mantel. „Pass doch auf.“, fuhr er den Mann an.

      „Es tut mir leid, mein Herr.“, sagte dieser nur kleinlaut mit gesenktem Blick. „Ich bitte um Entschuldigung.“, sagte er weiter, ging aber gleichzeitig rückwärts weiter und drehte sich dann weg, um in der Menge zu verschwinden.

      „Hat der Mann keine Augen?“, fragte Sivert seinen Vater, der auf den Rempler kaum reagiert hatte. Einen Berg bewegte man eben nicht allzu leicht. Doch dann erkannte der Sohn ein Lächeln im Gesicht des Vaters.

      „Oh doch, mein Sohn. Er hatte sehr gute Augen.“, sagte Berlan. Er öffnete leicht die rechte Hand, ließ sie dann aber wieder unter dem Mantel verschwinden. Doch es hatte gereicht, damit Sivert den Zettel erkannte, den der Mann Berlan offensichtlich zugesteckt hatte.

      Mühle. Mitternacht. Die zwei Worte hatten auf dem Zettel gestanden. Berlan wusste, dass es ein Risiko war. Es könnte eine Falle sein. Andererseits war das gesamte Vorhaben ein großes Risiko, und sie hatten nicht viel zu verlieren. Also fanden sie sich in tiefster Nacht etwas außerhalb der Stadt wieder. An der großen Mühle, die normalerweise von dem nahen Fluss angetrieben wurde. Doch nun war dieser vollkommen vereist, und die Mühle wirkte geisterhaft ruhig.

      „Denkst du, dass jemand kommt?“, fragte Sivert, als sie schon einige Zeit warteten. Der Junge zitterte ob der Kälte. Berlan hatte ihn noch in Valorien offen gefragt, ob er mit ihm gehen wollte. Ansonsten hätte er bei seinem Onkel am herzoglichen Palast in Tjemin verweilen können. Aber das fühlte sich nicht nach dem Leben an, das Sivert gewohnt war. Er fühlte sich nicht Adelig. Er war es eigentlich nie gewesen, und würde es wohl auch nie sein. Also hatte der Entschluss, seinen Vater zu begleiten, schnell festgestanden.

      „Ja. Irgendjemand wird kommen. Ansonsten müssen wir schnell weiterziehen.“, antwortete Berlan, den die Kälte anscheinend deutlich weniger störte.

      „Verstanden.“, sagte Sievert und schaute sich ungläubig in der Nacht um. Es wirkte nicht so, als wäre noch irgendjemand wach, außer der Wachen, die auf den Mauern der Stadt patrouillierten. „Ich bin gleich wieder da.“, sagte er und ging dann um die Scheune herum, um sich zu erleichtern.

      Als er um die Ecke gebogen war, stockte er kurz. Hinter der Scheune fiel der Boden abwärts hin zu dem kleinen Fluss. Dort war auch das große Mühlrad. Aber hatte er dort nicht gerade weißen Dampf gesehen, wie vom Atem eines Mannes? „Hallo, ist da jemand?“, fragte Sivert leise. Gleichzeitig legte er seine Hand um den Dolch, den er unter der Kleidung trug. Doch nichts regte sich. Vorsichtig stieg Sivert durch den Schnee nach unten. „Hallo?“, fragte er erneut.

      Plötzlich sprang in der Tat eine Gestalt aus dem Schatten. Statt allerdings mit Sivert zu reden, hob der Mann eine Axt und ging auf den Jungen zu. Innerlich hatte er zwar mit einem Angriff gerechnet, doch als er seinen Dolch ziehen wollte und seinen Stand verstärkte, spürte er, wie er wegrutschte. Obwohl er noch versuchte, die Balance zu halten, rutschte er vollkommen weg und fiel so auf den Hosenboden, während der Angreifer auf ihn zustürmte.

      Er hörte ein Klacken. Dann ein kurzes Sirren. Und dann sah Sivert, wie ein Bolzen in die Brust des Mannes schlug und ihn nach hinten warf. Getroffen rutschte der Angreifer nach unten und auf den gefrorenen Fluss. Sivert drehte sich um, und erkannte zwei Gestalten, die angelaufen kamen. Ein dritter Mann kniete in einiger Entfernung und senkte gerade die Armbrust.

      Bevor Sivert sich vollständig aufgerappelt hatte, kam schon sein Vater um die Ecke gerannt. Blitzschnell musterte Berlan die Situation. Er hatte die Axt bereits in der Hand, die er stets mit sich trug.

      „Kein Grund zur Sorge. Wir sind nicht euer Feind.“, sagte der vordere Mann, als er Berlans Waffe erkannte. Er blieb in einiger Entfernung stehen, schaute sich dann noch einmal um, und steckte dann die Klinge weg, die er gerade noch getragen hatte. „Aber ihr solltet darauf achten, wer euch folgt.“, mahnte er.

      „Wer seid ihr? Und wer war das?“, fragte Berlan und deutete auf den Toten, dessen Blut gerade Schnee und Eis rot färbte.

      „Wahrscheinlich eine Ratte. Die Kaiserlichen belohnen all jene gut, die Aufständische oder Verdächtige denunziert. Anscheinend habt ihr als Fremde etwas viel Aufmerksamkeit auf euch gezogen.“, sagte der Mann und ging dann langsam auf Berlan zu. „Und Berlan, ich hoffe, dass du mich noch kennst.“, sagte er dann grinsend.

      Berlan legte die Stirn kurz in Falten, aber dann erkannte er den Mann unter dessen wildem, dunkelbraunen Bart, den er früher nicht getragen hatte. Damals, als er fast militärisch aussah, und das Nachtrudel im Norden Kargats geordnet hatte. Berlan hatte den Kamerad tot vermutet, was sich aber offensichtlich als falsch herausstellte.

      „Ansgar.“, sagte er erleichtert. „Ich gehe davon aus, dass wir schnell verschwinden sollten?“

      Der Anführer nickte. „Ja, wenn wir nicht die nächsten am Galgen sein wollen, sollten wir das. Wer ist der Junge?“, fragte Ansgar den einstigen Hauptmann.

      „Mein Sohn, Sivert.“

      Ansgar lächelte und zeigte dabei einige Zahnlücken. „Der Kleine? Ich erinnere mich. Ist aber groß geworden.“

      „Du kennst mich?“, fragte Sivert und trat nun auch näher.

      „Ich kannte deine Mutter. Und dich, naja, in kleiner Version. Aber genug der Plauderei. Wir sollten los.“

      Ihr Weg hatte sie weg von der Stadt in die Berge hineingeführt. Zuerst hatte Sivert gedacht, dass Ansgar sie in ein abgelegenes Bergdorf führen würde. Statt aber einen der kleinen Pfade hoch in die Hügel zu nehmen, waren sie zu einem Stollen gegangen. Nach ihrem langen Weg durch den Kal Dor hatte der Junge immer noch einen gewissen Respekt davor, unter Tage zu gehen. Aber es gab keine Alternative, als seinem Vater und dessen Kamerad zu folgen.

      Am Eingang wartete bereits ein weiterer Mann mit einer Fackel. Sie entzündeten zwei weitere Fackeln und liefen dann in den engen Stollen hinab. Der Weg schlängelte sich tiefer in den Berg. Als Sivert schon dachte, dass der Weg immer enger wurde, erreichten sie hinter einer Ecke auf einmal eine größere Halle. Es schien eine natürliche Höhle zu sein, auf die einst Bergleute gestoßen waren. Das Innere war von mehrere Fackeln und Feuern erleuchtet. An der Decke erkannte Sivert einige Löcher und Spalten, die den Blick auf den Sternenhimmel freigaben und dem Rauch erlaubten, abzuziehen. Im Inneren der Höhle schliefen viele Männer, andere saßen noch an Tischen und tranken oder spielten mit Karten und Würfeln. Am Rand erkannte der Junge auch einen Bach, der durch die Höhle lief, und dann wieder im Fels verschwand.