Eberhard Weidner

DER REGENMANN


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leid«, sagte Andreas Plattner, der in der offenen Haustür stand. Allerdings konnte er sich ein schadenfrohes Grinsen über ihre Reaktion nicht verkneifen. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«

      »Lügner!«, meinte Anja, lächelte dabei aber, um zu zeigen, dass sie es nicht böse meinte.

      »Ertappt.« Plattner zuckte entschuldigend mit dem Achseln. »Haben Sie die Nachricht geholt?«

      Anja nickte und reichte ihm die Klarsichthülle.

      Er warf nur einen kurzen Blick darauf, bevor er sich wieder ihr zuwandte. »Und haben Sie auch Ihre Überschuhe noch dabei?«

      »Habe ich.« Sie klopfte auf die Tasche, in der sie steckten. »Wieso fragen Sie?«

      Doch anstatt ihre Frage zu beantworten, meinte er nur: »Ziehen Sie sie bitte an und kommen Sie dann rein.«

      Anja zuckte mit den Schultern und tat, was er gesagt hatte.

      »Sind die Kriminaltechniker bereits fertig?«, fragte sie, als sie schließlich im Hausflur neben ihm stand.

      Plattner schüttelte den Kopf. »Noch nicht überall. Aber wir haben grünes Licht bekommen, uns in bestimmten Bereichen des Hauses frei bewegen zu können.«

      »Und?«

      Er zog fragend die Augenbrauen hoch. »Was meinen Sie?«

      »Wurde die Leiche der Frau bereits gefunden?«

      »Ach so.« Er lachte, was Anja in dieser Hinsicht für unangebracht hielt, und schüttelte den Kopf. »Nein. Keine Frauenleiche im ganzen Haus.«

      Anja war beruhigt und fühlte sich daraufhin nicht mehr so unwohl hier drin. »Und was ist mit der Katze?«

      »Die haben wir. Einer der Kriminaltechniker hat sie gefunden.«

      »Wo war sie denn?«

      »Im Keller.«

      »Sie muss sich dort versteckt haben, als der Eindringling während des Regens ins Haus kam.«

      »Das glaube ich kaum«, meinte Plattner mit einem schiefen Grinsen.

      »Warum?«

      »Sie wurde im Gefrierschrank gefunden«, antwortete er. »Von der Nase bis zur Schwanzspitze völlig steif gefroren.«

      »Oh!«

      »Wenn sie sich tatsächlich dort versteckt hätte, dann wäre das ein denkbar ungünstiges Versteck gewesen. Allerdings ist es so gut wie ausgeschlossen, dass sie es ohne fremde Hilfe geschafft hat, die Tür des Gefrierschranks zu öffnen und in eins der Fächer zu klettern. Außerdem sieht es so aus, als hätte ihr jemand vorher das Genick gebrochen.«

      Als ausgesprochene Katzenfreundin verzog Anja mitfühlend das Gesicht. Sie musste dabei natürlich an Yin denken, der momentan draußen herumstromerte. Hoffentlich ging es ihm gut.

      »Immerhin haben wir jetzt eine Leiche«, sagte Plattner grinsend. »Auch wenn es nur die einer Katze ist.«

      »Ich kenne Carina Arendt zwar nicht«, meinte Anja, »aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es war, die ihrer Katze das angetan hat. Also haben wir hier neben den Fuß- und Wasserspuren und dem blutigen und durchlöcherten Bademantel ein weiteres Indiz, dass jemand ins Haus eingedrungen ist. Fragt sich, was er mit der verletzten Carina Arendt oder ihrer Leiche gemacht hat, nachdem er sie angegriffen hatte.«

      »Womöglich erfahren wir ja bald, was sich im Badezimmer abgespielt hat.«

      »Wie das?«

      »Kommen Sie!«, forderte er sie mit einer Kopfbewegung auf und marschierte voraus in Richtung Treppe. Dabei achtete er sorgsam darauf, nicht auf die Fußspuren auf dem Boden zu treten, die inzwischen teilweise mit nummerierten Beweistäfelchen versehen worden waren.

      Anja folgte ihm. »Wohin gehen wir?«

      »Nach oben«, sagte er nur, als hätte sie das nicht schon selbst erraten. »Beeilen Sie sich, sonst verpassen wir noch die Show.«

      Die Show?

      Doch Anja fragte nicht nach, denn allem Anschein nach wollte Plattner so lange wie möglich ein Geheimnis daraus machen. Auf halber Höhe der Treppe sah er sich nach ihr um und grinste wie ein kleiner Junge, der sich auf die Bescherung an Weihnachten freut. Dann konzentrierte er sich wieder darauf, nicht auf die Spuren zu treten, die der Eindringling hinterlassen hatte. Anja zuckte mit den Schultern. Sollte er ruhig seinen Spaß haben. Früher oder später würde sie schon erfahren, was es mit der von ihm erwähnten Show auf sich hatte.

      Sie gingen denselben Weg, den Anja zuvor allein zurückgelegt hatte, indem sie sich stets neben den Spuren hielten, und erreichten schließlich das Badezimmer.

      Melissa Schubert stand mit verschränkten Armen breitbeinig vor der Tür und sah hinein. Als sie Plattner und Anja kommen hörte, warf sie über die Schulter einen Blick nach hinten. »Da sind Sie ja endlich«, sagte sie zu Anja. Dann, an Plattner gewandt: »Hast du die Nachricht, die auf ihrer Türschwelle lag?«

      Plattner nickte und zeigte ihr die Klarsichthülle.

      »Gut«, sagte seine Kollegin. Dann ging sie ein Stück zur Seite, sodass Anja und Plattner, die neben ihr stehen blieben, ebenfalls ins Badezimmer schauen konnten.

      Als Anja die beiden Kriminaltechniker sah, die sämtliche Oberflächen mit einer Flüssigkeit besprühten, fiel bei ihr endlich der Groschen. Jetzt wusste sie, was Plattner mit der Show gemeint hatte.

      Bei der Sprühflüssigkeit handelte es sich um ein Gemisch aus Luminol in Natronlauge und verdünnter Wasserstoffperoxid-Lösung. Damit konnten latente Blutspuren, die für das bloße Auge unsichtbar waren, weil sie nur in geringen Mengen vorhanden oder durch Reinigungsmaßnahmen nahezu vollständig beseitigt worden waren, sichtbar gemacht werden. Das Luminol erzeugte bei Kontakt mit dem Blutfarbstoff Hämoglobin eine chemische Reaktion, worauf es kurzzeitig zu einer Chemolumineszenz, einem bläulichen Leuchten kam.

      Schließlich waren die beiden Kriminaltechniker, einer von ihnen war der Teamleiter, mit dem Einsprühen aller Flächen fertig und positionierten sich in der Nähe der Tür. »Licht aus!«, sagte der Leiter, worauf sein Kollege das Licht im Badezimmer löschte. Und auch Melissa Schubert griff mit ihrer behandschuhten Hand nach dem Lichtschalter des Flurlichts und schaltete es aus.

      »Wow«, sagte Plattner, als es dunkel und wie bei einer Lightshow ein blaues Leuchten sichtbar wurde.

      Als Anja bei ihrem ersten Besuch in diesem Haus im Badezimmer gewesen war, hatte sie angenommen, es wäre gründlich gereinigt worden. Doch nun sah sie, dass diese Reinigung in Wahrheit nur oberflächlich erfolgt war. Allerdings war es nahezu unmöglich, Blutspuren komplett zu beseitigen. Das menschliche Auge ließ sich zwar täuschen, denn die sichtbaren Blutspuren waren nahezu vollständig entfernt worden. Doch mithilfe des Luminols erkannte sie nun, dass noch genügend latente Spuren vorhanden waren, die eine chemische Reaktion ausgelöst hatten.

      An den Wänden und sogar an der Decke gab es unzählige verwischte, blau leuchtende Blutspritzer. Auf den Bodenfliesen in der Mitte des Badezimmers, an den Innenwänden der Dusche und in der Duschwanne selbst war die Chemolumineszenz besonders intensiv, weil dort großflächig Blut vergossen und anschließend aufgewischt worden sein musste. Ein dunkles Rechteck ohne Lumineszenz am Boden zeigte die Stelle, an der eine Badematte gelegen hatte, die der Täter vermutlich zusammen mit dem Opfer beseitigt hatte.

      Der blutbefleckte Bademantel hatte Anja bereits erahnen lassen, dass an diesem Ort eine Menge Blut vergossen worden war. Die Intensität und großflächige Verteilung des bläulichen Leuchtens ließ diese Ahnung nun zur Gewissheit werden.

      In diesem Moment kam wieder Leben in die beiden Kriminaltechniker. Sie holten Fotoapparate aus einem Einsatzkoffer und begannen damit, alle leuchtenden Oberflächen zu fotografieren, um die Spuren später auswerten zu können. Angesichts der Menge an Blutspuren, die das Luminol zum Vorschein gebracht hatte, würde das mit Sicherheit eine Weile dauern.

      Anja drehte sich um. Das Licht der Lampe, die über der Treppe an der