Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


Скачать книгу

klingelte es. Ein Fremder stand vor der Haustür, wie die Überwachungskamera zeigte.

      „Bitte ihn hinein, Lilia.“

      Unsicher öffnete ich dem immerhin sympathisch aussehenden Mittdreißiger.

      „Entschuldigen Sie bitte die Störung, ich bin Georg, der Bruder von Golo.“

      Es dauerte eine Sekunde, bis ich begriff, dass er meinen Nachbarn meinte. „Kommen Sie doch herein.“

      Wir setzten uns in die Küche.

      „Ihr Name stand auf der Gästeliste, deshalb dachte ich, Sie waren eine Freundin von ihm.“

      „Waren?“ Noch bevor er weitersprach, wusste ich, was geschehen sein musste. Wie hatten es die Sternelben nüchtern prophezeit: Das Problem würde in naher Zukunft verschwinden.

      „Mein Bruder ist Samstagnacht bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“

      „Das muss schrecklich für Sie sein, mein Beileid“, antwortete ich aufrichtig.

      „Ehrlich gesagt, wir standen uns nie nahe, hatten uns seit Jahren nicht mehr gesehen“, brachte er erklärend hervor. Der Tod seines Bruders traf ihn trotzdem, denn dieser Mann stellte dessen komplettes Gegenteil dar.

      „Jedenfalls, die Beerdigung findet am Freitag statt, falls Sie kommen möchten.“

      „Sag zu.“

      „Danke, das werde ich selbstverständlich tun.“

      Die Party mit ihren Folgen hinterließ bei mir zwei Lektionen: über das Urvertrauen und über das Schicksal.

      Am Freitag, kurz vor elf Uhr, betrat ich in Erwartung eines Menschenauflaufs die Kapelle des Westfriedhofs. Irritiert blinzelte ich in das schummrige Licht, bis sich ein kleines Häuflein herausschälte.

      Georg löste sich aus der Gruppe und kam auf mich zu. „Wenigstens eine, die ihr Versprechen hält. Na ja, irgendwie nicht verwunderlich. Waren Sie eigentlich eine enge Freundin von Golo?“

      Er überspielte seine Nervosität, ich lächelte ihm beruhigend zu. „Nein, bloß seine neue Nachbarin.“

      Aus welchem Grund auch immer gefiel ihm meine Antwort spürbar. „Dann wollen wir die Zeremonie hinter uns bringen, Golo war ja kein gläubiger Mensch.“

      „Und Sie?“, fragte ich unverschämt neugierig.

      „Offen gestanden, meistens weiß ich nicht, was ich glauben soll. Ich bin Wissenschaftler“, fügte er halb entschuldigend hinzu. Sein Blick zuckte an mir vorbei. „Mensch, wo bleibst du denn?“, rief er einem jungenhaft aussehenden Mann entgegen.

      Was war der süß, schlaksig, mit hellbraunem Lockenschopf. Aus der Nähe schätzte ich ihn unwesentlich jünger als Georg.

      „Ich konnte keinen Parkplatz finden, Schorsch“, verteidigte er sich atemlos.

      „Darf ich vorstellen, mein Lebensgefährte Jay. Und das ist Lilia, unsere baldige Nachbarin.“

      „Interessant!“

      Wenn das Wetter es zuließ, ging ich neuerdings wieder am frühen Morgen joggen. Der zwingend notwendige Ausgleich zu dem Übermaß an Kopfarbeit. Seit der Party befand sich mein Innerstes in einem gewaltigen Prozess des Wandels. Erstens wusste ich die gruselige Erfahrung mit dem Dämon kaum zu verdauen. Zweitens nährte sich beständig die Furcht, mich selbst zu verlieren. Nach meinem Empfinden schlichen Monster um mein Heim, während sich ein fremdes Wesen in meinem ebenso fremden Körper ausbreitete. Da kam mein Kopf nicht annähernd mit.

      Elin half und ermutigte, wo sie es vermochte. „Das Elbenkind in dir wächst. Selbst wenn es dir fremd erscheint, war es doch immer ein Teil von dir.“

      Direkt am Tag nach der Party hatte sich die drastischste Veränderung gezeigt. Meine Magie floss in Strömen, völlig ohne Konzentration oder den bestärkenden Handschlenker.

      „Meine Güte“, hauchte Elin, „wahrhaft beeindruckend“.

      Doch in Wahrheit benötigte ich die Elbe mehr denn je – als Anker, Ratgeberin und Schutz vor mir selbst.

      Gerade brütete ich an einer vagen Idee. „Was meinst du, Elin, sollte ich in die Kirche gehen und die Sternelben bitten, mir meine Furcht zu nehmen?“

      Sie stimmte mit Bedacht zu: „Aber unbedingt nur den überflüssigen Teil, denn gesunde Furcht ist ein wichtiger Ratgeber.“

      Aus dem Buch „Inghean“

      Die sehenden Sternschwestern wissen weit mehr, als sie einer Dienerin wie mir mitteilen. Verborgene Kräfte wirken in dem Menschenkind. Die Seelenschmelze naht, und mit ihr die Rückkehr meiner Fürstin.

      Zu frühzeitig erreichte ich Santa Christiana, glaubte ich angesichts der fleißig werkelnden Orgelbauer. Sie begannen jedoch gerade, für den Feierabend aufzuräumen. Die Männer grüßend, fragte ich nach dem Stand der Dinge.

      „Da liegen noch etliche Monate harter Arbeit vor uns, schon wegen der komplett neu zu fertigenden Teile“, meinte Meister Janes. „Wie ich dem Herrn Pfarrer schon sagte, vierhunderttausend Euro werden vorne und hinten nicht reichen, wenn die Orgel hinterher originalgetreu klingen soll.“

      Bestürzt, weil ahnungslos, bat ich den Meister um eine neue Schätzung.

      Nach kurzer Überlegung brachte er vor: „Nochmal gut die Hälfte des Betrags oben drauf, das sollte in jedem Fall reichen.“

      Höchst erstaunt nahm er mein Versprechen entgegen, die Sache umgehend zu regeln.

      „Priester, dir lese ich die Leviten!“

      Nachdem die Orgelbauer gegangen waren, setzte ich mich neben dem Altar auf das neue große Kissen. Ein Geschenk von Raimund. Das Licht strahlte mittlerweile um ein Vielfaches intensiver als zu Anbeginn. In der Folge speicherte mein Körper immer größere Mengen an Energie. Aber ich besaß nicht den Schimmer einer Ahnung, wie viel Macht dadurch bereits in mir steckte, geschweige denn, was damit anzufangen wäre. „Bald strahle ich wie ein Leuchtturm“, bemerkte ich scherzhaft gegenüber den Sternelben.

      Ihre Antwort haute mich um.

      „Nur, wenn du es willst.“ Noch immer taktierten sie mit rätselhaften Andeutungen. „Jedes zu seiner Zeit!“

      Dennoch sandte ich ihnen meine Gedanken über die Furcht.

      Sie erkannten die unnötige Quälerei und versprachen Abhilfe. „Lass es geschehen, das Elbenkind wird dich sicher führen“, forderten sie eindringlich.

      Nackte Angst kam als Antwort. Dann, ganz langsam, zog sie sich zurück.

      Wir schwiegen eine geraume Weile.

      „Lilia, wir möchten dir eine Aufgabe übertragen.“

      Total überrumpelt zuckte ich zusammen.

      „Keine Sorge, es ist kaum mehr als eine Übung.“ Sie weihten mich in ihren Plan ein.

      Erleichtert, mehr noch erstaunt, verließ ich zwei Stunden später die Kirche. Welches Rad dadurch in Bewegung gesetzt würde, vergleichbar einem Schneeball, der zur totbringenden Lawine mutiert, wussten selbst die Sternelben nur vage.

      Das Schicksal ist voller Fallstricke und Abzweigungen.

      Als ich am nächsten Morgen vom ausgiebigen Jogging aus dem nahen Stadtwald zurückkehrte, stand ein enorm großer Umzugswagen vor dem Haupthaus.

      „Lilia!“ Hinter zwei kräftigen Kerlen, schwer an einer mir bekannten ledernen Scheußlichkeit schleppend, tauchte Schorsch auf. Sein Spitzname klang wirklich cooler als Georg.

      „Hallo, das sieht mir mehr nach Auszug denn Einzug aus“, bemerkte ich enttäuscht.

      „Na,